mRNA-Impfstoffe: Welcher Meilenstein als nächster folgt

Forscher hoffen, mRNA für eine ganze Reihe von Impfstoffen und Therapeutika nutzen zu können. Gearbeitet wird bereits am Einsatz als Impfstoff gegen Grippe.

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(Bild: RossHelen / Shutterstock.com)

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Von
  • Cassandra Willyard
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Für die beiden Forschenden sollte die Auszeichnung mit dem Nobelpreis nicht überraschend gekommen sein. Katalin Karikó und Drew Weissman hatten bereits viele Prestige-trächtige Preise erhalten, viele sagten den Nobelpreis daher als unmittelbar bevorstehend voraus. Die US-Ausgabe von MIT Technology Review zählte die mRNA-Impfstoffe etwa zu den "Top 10 Breakthrough Technologies" von 2021. In der Corona-Pandemie hatten diese Vakzine ihren großen Auftritt, doch beim Kampf gegen SARS-CoV-2 sollen sie nicht stehen bleiben.

Ein Blick auf den Verdienst von Karikó und Weissman: Die meisten Impfstoffe trainieren das Immunsystem, indem sie den Erreger liefern, gegen den sie schützen sollen – entweder den gesamten Erreger oder einen entscheidenden Bestandteil. Die mRNA-Impfstoffe funktionieren ein wenig anders. Sie liefern einen genetischen Code, den die Körperzellen in Proteine übersetzen können. Im Fall von Covid-19 enthalten die Impfstoffe mRNA, die für das "Spike"-Protein kodiert ist, das aus der äußeren Oberfläche des Virus herausragt. Der Körper produziert dann Kopien dieses Proteins, und das Immunsystem lernt, es zu erkennen.

Die Idee, mRNA in Impfstoffen zu verwenden, gibt es schon seit Jahrzehnten, aber die Wissenschaftler stießen schon früh auf einen großen Stolperstein. Antonio Regalado hat in seinem Beitrag über mRNA in der MIT Technology Review aus dem Jahr 2021 einen Teil dieser Geschichte erzählt. Als Forscher mRNA in Mäuse injizierten, wurden die Tiere krank. "Ihr Fell sträubt sich. Sie verlieren an Gewicht und hören auf, herumzulaufen", sagte Weissman zu Regalado. Größere Dosen erwiesen sich als tödlich. "Wir haben schnell erkannt, dass die Boten-RNA nicht brauchbar ist", sagte er.

Wenn fremde mRNA in den Körper injiziert wird, erkennt das Immunsystem eine Bedrohung und löst eine Entzündung aus. Karikó und Weissman fanden heraus, dass sie dieses Problem durch eine geringfügige Veränderung des genetischen Codes nahezu ausschalten konnten. Als die Pandemie im Jahr 2020 ausbrach, hatten die Wissenschaftler ihre Methode bereits zur Entwicklung von mRNA-Impfstoffen für andere Infektionskrankheiten eingesetzt, sodass es relativ einfach war, auf Covid-19 umzuschwenken.

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Die Impfstoffe sind so einfach zu produzieren. Als die Hersteller ihre Covid-Impfstoffe in diesem Herbst aktualisieren wollten, mussten sie lediglich einen neuen Code einfügen. Durch den Austausch verschiedener Codes sollten sie in der Lage sein, unterschiedliche Krankheitserreger zu bekämpfen.

Moderna hat bereits einen Antrag auf Zulassung eines mRNA-Impfstoffs gegen das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) gestellt, eine erkältungsähnliche Krankheit, die bei Säuglingen und älteren Erwachsenen schwer verlaufen kann. Das Unternehmen hat auch einen mRNA-Grippeimpfstoff in der späten Phase der klinischen Erprobung. Eine Zwischenanalyse im September zeigte, dass der Impfstoff in allen Altersgruppen besser abschneidet als herkömmliche Grippeimpfungen, so Moderna. Pfizer testet ebenfalls einen mRNA-Grippeimpfstoff, ebenso wie Sanofi Pasteur und GlaxoSmithKline in Zusammenarbeit mit CureVac. Mehrere dieser Unternehmen arbeiten auch an Kombinationsimpfstoffen, die gegen Covid-19 und Grippe schützen.

Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum mehrere Unternehmen ihre mRNA-Bemühungen auf die Grippe konzentrieren. Erstens beruhen die derzeitigen Grippeimpfstoffe auf Viren, die in Hühnereiern oder Zellen gezüchtet werden, ein mühsamer Prozess, der Monate dauert. Durch die Verwendung von mRNA für die Grippeimpfung entfiele die Notwendigkeit, das Virus zu züchten, und der Prozess würde erheblich beschleunigt. Dies könnte eine bessere Übereinstimmung zwischen dem Impfstoff und den zirkulierenden Grippestämmen ermöglichen (weil die Stämme näher an der Grippesaison ausgewählt werden könnten) und eine schnellere Reaktion im Falle einer Grippepandemie.

Der andere Grund ist, dass die Forscher mRNA für viele verschiedene Grippestämme hinzufügen können, um einen Impfstoff zu entwickeln, der einen breiteren Schutz bieten könnte. Letztes Jahr testete ein Team an der University of Pennsylvania einen mRNA-Impfstoff, der Antigene von allen 20 bekannten Grippe-Subtypen enthält, die Menschen infizieren. Bei Mäusen und Frettchen schützte der Impfstoff gegen Stämme, die mit dem Impfstoff übereinstimmten, und gegen Stämme, die dies nicht taten. In diesem Jahr haben die National Institutes of Health eine klinische Studie gestartet, um einen anderen mRNA-Grippeimpfstoff zu testen, der nicht mehrere Antigene enthält, sondern eine Reaktion auf einen Teil des Virus auslösen soll, der sich nicht so leicht von Jahr zu Jahr verändert.

Die Liste der Krankheiten, für die mRNA-Impfstoffe entwickelt werden, geht weiter und weiter: Malaria, HIV, Zika-Virus, Epstein-Barr-Virus, Cytomegalovirus, Herpes, Norovirus, Lyme-Krankheit, Nipah-Virus, C. difficile, Hepatitis C, Leptospirose, Tuberkulose, Gürtelrose, Akne, Chlamydien und viele andere.

Und da hört es noch nicht auf: mRNA könnte ebenfalls ein wirksames Mittel zur Behandlung von Krankheiten sein, nicht nur zu deren Vorbeugung. Ursprünglich war sie sogar als Therapeutikum gedacht. mRNA-basierte Krebstherapien werden bereits seit einem Jahrzehnt erprobt. Die Idee dabei ist, mRNA bereitzustellen, die für Proteine auf der Oberfläche des Tumors kodiert. Das Immunsystem würde dann lernen, diese Antigene zu erkennen, und kann das Krebsgewebe besser aufspüren und angreifen.

Unternehmen arbeiten auch an mRNA-Therapien für seltene Krankheiten, wie z. B. Mukoviszidose. Menschen mit dieser Krankheit haben Mutationen in einem Gen namens CFTR (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator). Diese Mutationen führen dazu, dass das CFTR-Protein, das den Wasserfluss in und aus den Zellen unterstützt, nicht richtig funktioniert, was zu klebrigem Schleim führt, der die Lungen verstopft und wiederkehrende Atemwegsinfektionen verursacht.

Vertex hat in Zusammenarbeit mit Moderna eine mRNA entwickelt, die inhaliert werden soll. In der Lunge angekommen, übersetzen die Zellen den Code in funktionales CFTR. Ende letzten Jahres gab die US-Zulassungsbehörde FDA Vertex grünes Licht für den Start einer Studie zur Erprobung von mRNA für Mukoviszidose. Moderna hat außerdem klinische Studien zur Erprobung von Therapien für Methylmalonsäureanämie, eine Krankheit, die die Funktion der Leber beeinträchtigt, und Propionsäureanämie, eine seltene Stoffwechselstörung, eingeleitet.

Nicht alle diese Versuche werden erfolgreich sein, wahrscheinlich sogar viele davon nicht. Aber der Glücksfall mRNA wird mit Sicherheit auch zu einigen Erfolgen führen. Als Karikó und Weissman 2005 ihre bahnbrechende Entdeckung machten, "sagte ich zu Kati, dass unsere Telefone ununterbrochen klingeln würden", sagte Weissman in einem Interview mit dem Alumni-Magazin der Boston University im Jahr 2021. "Aber nichts passierte. Wir bekamen keinen einzigen Anruf." Dieser Tage kann man wohl davon ausgehen, dass ihre Telefone nicht aufhören werden zu klingeln.

(jle)