Wie lässt sich Zahnschmelz regenerieren?​

Das härteste Material des Körpers kann sich nach Schäden nicht erneuern. Nun wurde die Schmelzbildung entschlüsselt, was lebende Füllungen ermöglichen könnte.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 45 Kommentare lesen

(Bild: Dean Drobot / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Zahnschmelz ist das härteste Material im menschlichen Körper und schützt die Zähne vor mechanischem Stress beim Kauen und auch vor Verfall. Bei mehr als 90 Prozent der Erwachsenen ist der Schutzschild ihrer bleibenden Zähne allerdings geschädigt oder teilweise sogar verloren gegangen. Saure Lebensmittel und säurebildende Bakterien, die sich vom Zucker auf den Zähnen ernähren, können den Schmelz bei mangelnder Zahnhygiene schädigen.

Es können Löcher (Karies) und Brüche entstehen. Weil aber bleibende Zähne keine schmelzbildenden Zellen (Ameloblasten) mehr besitzen, die beim Durchbruch der Zähne absterben, lässt sich der Schmelz später nicht mehr regenerieren.

Das Team von Hannele Ruohola-Baker von der University of Washington (UW) in Seattle will das ändern. Dafür hat es die Entwicklung von Ameloblasten aus Stammzellen nachvollzogen und anschließend Mini-Zahn-Organoide gezüchtet, die mehrere Eiweiß-Bausteine (Proteine) von Zahnschmelz herstellen können. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler im Fachjournal "Developmental Cell" veröffentlicht.

Es sei ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zur Entwicklung von stammzellenbasierten Behandlungen, "um beschädigte Zähne zu reparieren und verlorene Zähne zu regenerieren", sagte Hai Zhang, Professor für restaurative Zahnmedizin an der UW School of Dentistry und einer der Mitautoren der Studie, den UW Medicine News.

Die Fähigkeit, Zahnschmelz zu regenerieren, wäre nicht nur bei Beschädigungen wichtig. Es gibt auch angeborene genetische Defekte, wie "Amelogenesis imperfecta", bei der die Schmelzbildung von vornherein gestört ist und nicht ordnungsgemäß abläuft. Die Zähne sind anfälliger für Karies und sind auch sehr temperaturempfindlich. Darüber hinaus sind sie gelblich oder grau-braun verfärbt.

Manche Tiere wie Mäuse vermögen den Schmelz ihrer Zähne kontinuierlich zu erneuern. Die Nager bilden dabei keinen zweiten Zahntyp wie Menschen, sondern besitzen kontinuierlich wachsende Zähne. In diesen bleiben die schmelzbildenden Stammzellen erhalten, um beständig neuen Schmelz bilden zu können.

Um Ameloblasten im Labor zu erzeugen, mussten die Forscher zunächst das genetische Programm verstehen, das fötale Stammzellen dazu antreibt, sich zu diesen spezialisierten schmelzproduzierenden Zellen zu entwickeln. Mithilfe einer RNA-Sequenziertechnologie entschlüsselten sie, welche Gene in den verschiedenen Stadien der Ameloblast-Entwicklung aktiv sind.

Jede mRNA ist eine Abschrift aus der DNA und fungiert als mobiler Bauplan für ein Protein. Lässt sie eine mRNA nachweisen, ist das zugehörige Gen aktiv. Gehen mRNA-Konzentrationen hoch oder runter, wird die Genaktivität hoch- oder runtergefahren, das Gen also ein- oder ausgeschaltet.

Mit Hilfe eines Computerprogramms namens Monocle rekonstruierten die Forscher dann den wahrscheinlichen Verlauf der Genaktivitäten, die bei der Entwicklung von Stammzellen zu differenzierten Ameloblasten auftreten. Das Computerprogramm hat also gewissermaßen den richtigen genetischen Fahrplan ermittelt, um im nächsten Schritt die schmelzbildenden Zellen im Labor entstehen zu lassen.

Dafür musste Ruohola-Bakers Team zuerst die Reihenfolge der chemischen Signale herausfinden, um die Gene in der gewünschten Abfolge zu aktivieren. In einigen Fällen verwendeten die Forschenden bekannte chemische Substanzen; in anderen mussten Mitarbeiter des UW Medicine Institute for Protein Design am Computer die geeigneten Proteine erst am Computer entwerfen und anschließend produzieren lassen.

Im Rahmen dieses Projekts identifizierten die Wissenschaftler erstmals auch einen wichtigen Vorläufer der Odontoblasten, jenes Zelltyps, der das unter dem Schmelz liegende Dentin (Zahnbein) entstehen lässt. Dieses ist zumindest begrenzt regenerationsfähig. Ameloblasten und Odontoblasten konnten anschließend zur Bildung kleiner, dreidimensionaler, mehrzelliger Miniorgane (Organoide) veranlasst werden.

Diese organisierten sich in Strukturen, die denen von sich entwickelnden menschlichen Zähne ähnelten. Mehr noch: sie sonderten auch drei wichtige Schmelzproteine ab: Ameloblastin, Amelogenin und Enamelin. Diese Proteine bildeten dann eine Matrix. Es folgte ein Mineralisierungsprozess, der für die Bildung von Zahnschmelz mit der erforderlichen Härte unerlässlich ist.

Im nächsten Schritt will das Forschungsteam den Prozess weiter verfeinern, und einen verbesserten Labor-Zahnschmelz herzustellen, der genauso haltbar wie natürlicher Zahnschmelz ist. Dazu wollen die Wissenschaftler auch Möglichkeiten entwickeln, diesen Zahnschmelz zur Wiederherstellung beschädigter Zähne zu verwenden: nämlich zum Füllen von Löchern und anderen Defekten.

Wie Ruohola-Baker den UW Medical News sagte, besteht ein noch ehrgeizigerer Ansatz darin, "lebende Füllungen" zu entwickeln, die in Hohlräume und andere Defekte hineinwachsen und diese reparieren können. Das ultimative Ziel wäre, aus Stammzellen gewonnene Zähne zu schaffen, die verlorene Zähne vollständig ersetzen könnten.

Laut Ruohola-Baker sind Zähne dabei ein ideales Modell, um an der Entwicklung anderer Stammzelltherapien zu arbeiten. "Viele der Organe, die wir gerne ersetzen würden, wie die menschliche Bauchspeicheldrüse, die Niere und das Gehirn, sind groß und komplex. Sie sicher aus Stammzellen zu regenerieren, wird Zeit benötigen", sagte sie weiter. "Zähne hingegen sind viel kleiner und weniger komplex, sie sind vielleicht die niedrig hängenden Früchte. Es kann eine Weile dauern, bis wir sie regenerieren können, aber wir können jetzt die Schritte sehen, die wir brauchen, um dorthin zu gelangen."

(vsz)