Wie eine Biotech-Firma Dopamin-Zellen ins Gehirn einschleusen will

Ein Experiment zur Behandlung von Parkinson könnte zu einem wichtigen frühen Test für das Potenzial von Stammzellen werden, schwere Krankheiten zu bekämpfen.

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(Bild: BLUE ROCK THERAPEUTICS)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Antonio Regalado
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Ein neues Verfahren im Bereich der Stammzellmedizin könnte künftig die Symptome von Parkinson-Patienten verringern. Im Labor hergestellte Neuronen wurden in die Gehirne von 12 Probanden eingebracht, um den Neurotransmitter Dopamin zu produzieren. Dessen Mangel sorgt üblicherweise für die verheerenden Symptome von Parkinson, insbesondere die dadurch verursachten Bewegungsprobleme wie das Zittern. Die Technik, die von einem Biotech-Start-up kommt, scheint dabei sicher zu sein.

"Unser Ziel ist, dass die neuen Gehirnzellen Synapsen bilden und mit anderen Zellen kommunizieren, als ob sie von derselben Person stammten", erläutert Claire Henchcliffe, Neurologin an der University of California, Irvine, die zu den Leitern der Studie gehörte. "Das Interessante daran ist, dass man diese Zellen einbringen kann und genau das passiert." Die Untersuchung ist einer der bisher größten und kostspieligsten Tests der embryonalen Stammzelltechnologie. Die seit 25 Jahren verfolgte Idee: Stammzellen aus IVF-Embryonen sollen verwendet werden, um Ersatzgewebe und sogar ganze Körperteile herzustellen.

Der Versuch wurde in kleinem Maßstab durchgeführt. Hauptziel war es, die Sicherheit des Verfahrens zu demonstrieren. Finanziert wurde die Studie von BlueRock Therapeutics, einer Tochtergesellschaft des Pharmariesen Bayer. Die Neuronenimplantate wurden aus leistungsstarken Stammzellen hergestellt, die ursprünglich aus einem menschlichen Embryo stammten, der im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation erzeugt worden war.

Laut der Daten, die Henchcliffe und ihre Kollegen Ende August auf dem "International Congress for Parkinson’s Disease and Movement Disorder" in Kopenhagen vorstellten, gibt es auch Hinweise darauf, dass die implantierten Zellen überleben und die Symptome der Patienten noch ein Jahr nach der Behandlung verringerten. Erfasst wurde dies mit Hilfe von Gehirnscans, die eine Zunahme der Dopaminzellen im Gehirn der Patienten sowie einen Rückgang der sogenannten Off-Time zeigten – d.h. der Anzahl der Stunden pro Tag, in denen die Probanden das Gefühl hatten, durch die Symptome stark gelähmt worden zu sein.

Experten, die die Studie kennen, raten allerdings zur Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse, da sie anscheinend uneinheitliche Wirkungen zeigten. Einige könnten auch auf den Placebo-Effekt zurückzuführen sein – und nicht auf die Behandlung. "Es ist zwar ermutigend, dass die Studie keine Sicherheitsbedenken aufgeworfen hat und dass es einen gewissen Nutzen geben könnte", sagt Roger Barker, der an der Universität Cambridge im Bereich Parkinson forscht. Allerdings sei allein der Nachweis, dass die transplantierten Zellen überlebten, "etwas enttäuschend".

Da die Forscher die künstlichen Gehirnzellen nicht direkt einsehen können, wenn sie einmal im Kopf einer Person implantiert wurden, verfolgen sie stattdessen ihre Anwesenheit, indem sie den Menschen einen radioaktiven Dopamin-Vorläufer verabreichen und dann dessen Aufnahme im Gehirn mit Hilfe eines PET-Scanners beobachten. Für Barker waren diese Ergebnisse nicht so aussagekräftig, wie das Forscherteam annimmt. Es sei "noch etwas zu früh, um etwas daraus zu schließen" – insbesondere im Hinblick darauf, auf die transplantierten Neuronen wirklich eine Reparatur der defekten Zellen im Gehirn der Patienten vornahmen.

Embryonale Stammzellen wurden erstmals 1998 an der Universität von Wisconsin aus Embryonen isoliert, die in Fruchtbarkeitskliniken hergestellt worden waren. Sie sind für Wissenschaftler von Nutzen, weil sie im Labor gezüchtet und theoretisch dazu gebracht werden können, jeden der etwa 200 Zelltypen im menschlichen Körper zu bilden. Man hat so beispielsweise versucht, das Sehvermögen von Blinden wiederherzustellen, Diabetes zu heilen oder Rückenmarksverletzungen zu bekämpfen.

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Es gibt jedoch noch immer keine medizinisch zugelassene Behandlung auf der Grundlage embryonaler Stammzellen – obwohl Regierungen und Unternehmen in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten Milliarden Euro in die Forschung investiert haben. Die Studie von BlueRock war einer der wichtigsten Versuche, dies zu ändern. Auch in Deutschland, dem Hauptsitz von Bayer, werfen Stammzellen noch immer heikle Fragen auf. Nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz, einem der weltweit restriktivsten Gesetze, ist die Gewinnung von Stammzellen aus einem Embryo immer noch eine Straftat, die mit Gefängnis geahndet werden kann.

Was allerdings unter bestimmten Umständen legal ist, ist die Verwendung vorhandener Zellvorräte aus dem Ausland, sofern sie vor 2007 hergestellt wurden. Seth Ettenberg, Präsident und CEO von BlueRock Therapeutics, gibt an, dass sein Unternehmen die Neuronen in den USA herstellt und dazu embryonale Stammzellen aus den ursprünglichen Beständen in Wisconsin verwenden konnte, die weiterhin in Forschungskreisen weit verbreitet sind. "Alle Aktivitäten von BlueRock respektieren die hohen ethischen und rechtlichen Standards des deutschen Embryonenschutzgesetzes, da BlueRock selbst keine Aktivitäten mit menschlichen Embryonen durchführt", so Nuria Aiguabella Font, Sprecherin von Bayer, in einem E-Mail-Statement.

Die Idee, dopaminbildende Zellen zur Behandlung von Parkinson einzusetzen, entstand bereits in den Achtzigerjahren, als Ärzte dies mit Neuronen aus Föten versuchten, die nach Abtreibungen gewonnen wurden. Die Ergebnisse dieser Studien waren nicht eindeutig. Während einige Patienten möglicherweise davon profitierten, sorgten die Experimente für alarmierende Schlagzeilen, nachdem es zu "albtraumhaften" Nebenwirkungen kam – etwa unkontrollierten Zuckungen.

Die Verwendung von Gehirnzellen aus Föten war nicht nur ethisch fragwürdig. Die Forscher waren auch davon überzeugt, dass solches Gewebe so schwer zu beschaffen ist, dass es nicht zu einer Standardbehandlung werden könne. "Es gibt eine ganze Reihe von Versuchen, Zellen oder Gewebefragmente in Gehirne zu transplantieren", sagt Henchcliffe. "Ich denke, dass in der Vergangenheit das Verständnis für diesen Wirkmechanismus fehlte und dass nicht genügend Zellen aus kontrollierter Qualität zur Verfügung standen."

Dennoch gab es Hinweise darauf, dass ins Gehirn transplantierte Zellen überleben können. Post-mortem-Untersuchungen bei einigen Patienten, die mit Zellen aus Föten behandelt worden waren, zeigten, dass die Transplantate noch viele Jahre später im Hirn vorhanden waren. "Es gibt eine ganze Reihe von Wissenschaftlern, die sich mit diesen Zelltransplantationen beschäftigt haben. Sie wollten dabei herausfinden, ob es wirklich funktioniert, wenn man es richtig macht", sagt Jeanne Loring, Mitbegründerin von Aspen Neuroscience, einem Stammzellenunternehmen, das eigene Studien zur Behandlung von Parkinson plant.

Die Entdeckung embryonaler Stammzellen hat solche kontrollierten Studien nun möglich gemacht. Solche Zellen können milliardenfach vermehrt und in Dopamin produzierende Neuronen umgewandelt werden. Die ersten Arbeiten zur Herstellung solcher Dopaminzellen – samt Untersuchungen an Tieren – wurden von Lorenz Studer an der Columbia University durchgeführt. Im Jahr 2016 wurde er wissenschaftlicher Gründer von BlueRock, das zunächst als Joint Venture zwischen Bayer und der Investmentgesellschaft Versant Ventures gegründet worden war. "Es ist eines der ersten Male in diesem Bereich, dass wir ein so gut verstandenes und einheitliches System haben, mit dem wir arbeiten können", sagt Henchcliffe, die an den ersten Untersuchungen beteiligt war. Im Jahr 2019 übernahm Bayer dann die volle Kontrolle über das Stammzellenunternehmen im Rahmen eines Deals, der mit rund einer Milliarde US-Dollar bewertet wurde.

Bei der Parkinson-Krankheit sterben Zellen, die Dopamin herstellen, ab, was zu einem Mangel an diesem Botenstoff führt. Dies kann zum bekannten Zittern, starren Gliedmaßen und einer allgemeinen Bewegungseinschränkung führen, der sogenannten Bradykinese. Die Krankheit verläuft in der Regel schleichend. Ein Wirkstoff namens Levodopa kann die Symptome über Jahre hinweg zumindest in Schach halten. Auch eine Art Hirnimplantat, ein sogenannter Deep Brain Stimulator, kann die Symptome lindern. Die Krankheit schreitet jedoch stets voran – und irgendwann kann Levodopa die Symptome nicht mehr gut kontrollieren.

In diesem Jahr vertraute der Schauspieler Michael J. Fox dem Sender CNN an, dass er sich endgültig von der Schauspielerei zurückziehen wird. Seine Diagnose liegt 30 Jahre zurück. "Ich werde hier nicht lügen, es wird immer schwieriger", sagte Fox dem Sender. Jeder Tag werde schwieriger. Mit einer Stammzelltherapie könnten Ärzte nicht nur Symptome bekämpfen, sondern ganze zerstörte Nervenzellnetzwerke durch das Hinzufügen gesunder Neuronen reparieren.

"Das Potenzial dieser regenerativen Medizin besteht darin, Krankheiten nicht nur zu verzögern, sondern die Funktionalität des Gehirns wiederherzustellen", sagt BlueRock-CEO Ettenberg. "Wir hoffen, dass die Betroffenen sich eines Tages nicht mehr als Parkinson-Patienten ansehen müssen." Laut Ettenberg plant BlueRock, im nächsten Jahr eine größere Studie mit mehr Patienten durchzuführen, um festzustellen, ob und wie gut die Behandlung tatsächlich funktioniert.

(bsc)