Musik setzt Insulin frei

Studie an Mäusen: Wie der Queen-Hit "We will rock you" Designerzellen Insulin entlockt.

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Versuchstiere auf Lautsprecher

Zwei der Versuchstiere auf einem Lautsprecher.

(Bild: The Lancet)

Lesezeit: 4 Min.
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Man muss kein Fan der Rockgruppe Queen sein, um über diese Wirkung ihres Songs "We will rock you" zu staunen: Das Stück ist offenbar besonders gut geeignet, die Freisetzung von Insulin aus implantierbaren Designerzellen zu stimulieren. Das jedenfalls berichten Forschende um Martin Fussenegger von der ETH Zürich im Fachblatt The Lancet. Mit dem Trick wollen sie in Zukunft Insulinspritzen oder -pumpen überflüssig machen

Die Forschenden haben dazu Zelllinien, die Insulin produzieren, mit einem Gen-Schalter versehen, der aus dem Erbgut des Darmbakteriums Escherichia Coli stammt. Der Genabschnitt enthält den Bauplan für ein Membranprotein, das auf mechanische Impulse reagiert und darüber den Zutritt von Kalzium-Ionen durch die Bakterienmembran steuert.

Treffen nun Schallwellen geeigneter Wellenlängen auf die gentechnischen veränderten Zellen, öffnet das neue Membranprotein die Ionenkanäle in der Zellmembran und lässt Kalzium-Ionen in die Zelle strömen. Die Ionen sorgen dafür, dass die mit Insulin gefüllten Bläschen der Zellen, von Fachleuten "Vesikel" genannt, mit der Zellmembran verschmelzen und ihren Inhalt freisetzen. Ähnliches geschieht auch in den Zellen der Bauchspeicheldrüse eines gesunden Menschen, nur dass der Kalziumionen-Zustrom in diesem Fall durch die Blutzuckerkonzentration gesteuert wird.

Das Team aus der Schweiz testete die Funktionstauglichkeit der neuen Designerzellen zunächst in Zellkulturen, die sie auf Lautsprecherboxen stellten. Das Ergebnis: Bei basslastigen Frequenzen von 50 Hertz und einer Lautstärke von 60 Dezibel wurde am meisten Insulin freigesetzt. Allerdings mussten die Zellen dazu mindestens drei Sekunden lang beschallt werden und Unterbrechungen durften nicht länger als fünf Sekunden dauern.

Anschließend prüften die Forschenden, ob die Insulinfreigabe auch in Testmäusen mit Typ 1 Diabetes funktioniert. Dazu injizierten sie den Tieren die in eine Alginathülle verpackten Zellen unter die Haut am Bauch. Die Alginathülle sei samt Inhalt ungefähr so klein wie ein Kaviarkügelchen, berichtet Fussenegger. Sie verhindere eine Abstoßungsreaktion, lasse die Insulinmoleküle aber passieren.

Um herauszufinden, welche Musik wie gut wirkt, setzten die Forschenden die Mäuse auf eine Lautsprecherbox und spielten Stücke aus verschiedenen Musik-Genres ab. Der Queen-Hit "We will rock you" setzte in wenigen Minuten den kompletten Insulingehalt der Designerzellen frei. Eine viertel Stunde Beschallung pro Tag würde ausreichen, um den Insulinlevel der Mäuse auf ein gesundes Level zu bringen, heißt es in der Studie.

Neben "We will rock you", führte auch "We are the Champions", ebenfalls von Queen, und der Soundtrack des Kinofilms "Avengers" zu einer üppigen Insulinfreigabe. Beethovens Klavierstück "Für Elise", Gitarrenmusik oder die Beatles mit "She loves you" hatten hingegen nur einen schwachen Effekt.

Sollte das System in Zukunft tatsächlich statt Insulinspritze oder -pumpe zum Einsatz kommen, wäre ein Club- oder Konzertbesuch laut Fussenegger kein Problem. "Die Zellen geben nur dann Insulin ab, wenn der Sound direkt auf sie gerichtet ist", betont er. "Wir haben es mit den Mäusen getestet. Wenn die um einen Lautsprecher herumlaufen können, sich also frei bewegen können, dann wird das System nicht induziert." Auch Fluglärm, Rasenmäher oder Feuersirenen hätten die Zellen nicht zu einer größeren Insulinausschüttung bewegen können. Zur Sicherheit trägt ebenfalls bei, dass es vier Stunden dauert, bis der Insulinvorrat in den Zellen wieder hergestellt ist. Eine gefährliche Unterzuckerung durch zu viel Insulin sei daher nicht möglich, so der Forscher.

Diabetiker, die keine Lust auf Rockmusik haben, könnten womöglich von einer weiteren Erfindung aus Fusseneggers Team profitieren. Im Fachmagazin Nature berichteten die Forschenden kürzlich von einem Gen-Schalter, der die Insulinausschüttung über eine durch Gleichstrom initiierte elektrochemische Kaskade aktiviert. Auch hier haben Tests an Mäusen gezeigt, dass das Prinzip funktioniert. Die Zellen könnten etwa von außen über eine Batterie aktiviert werden oder über ein winziges Brennstoffzellenimplantat, eine weitere Erfindung Fusseneggers. Als Brennstoff diene Blutzucker, der gerade bei Diabetikern oft im Überschuss vorhanden sei, so der Erfinder.

Ob und wann Menschen mit Diabetes von Fusseneggers Ideen profitieren, bleibt abzuwarten. Der Forscher wirbt zurzeit um Pharmafirmen, die in klinische Studien investieren möchten. Die Ergebnisse wären nicht nur für Diabetiker interessant, sagt er. "Wenn unser System in der Lage ist, Diabetes zu kontrollieren, dann kann man im Prinzip jede andere Krankheit oder jedes andere therapeutische Protein ebenfalls damit kontrollieren."

(bsc)