c't 25/2018
S. 112
Hintergrund
Moderne Mobilität: Die perfekte App
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Appfahren

Neue Mobilität: smart vernetzt zum Ziel

Bus und Bahn, Taxi, Ride oder Carsharing, Mietwagen, Leihfahrrad, Scooter oder Segway? Der Verkehr in der Innenstadt wird vielfältiger. Soll das bunte Miteinander nicht zum Chaos verkommen, braucht es übergreifende Konzepte, die die Vorteile der verschiedenen Verkehrsmittel zu einem gelungenen Ganzen kombinieren. Ein Blick auf die Zukunft der Mobilität.

Dienstreise nach Berlin, kurz vor der Einfahrt in den Hauptbahnhof an der Spree. Das längste Stück zur Hauptstadt reise ich wie immer mit der Bahn. Aber dann? Am schnellsten wäre ich mit dem Klassiker S-Bahn am Ziel, sagt mir meine Verbindungs-App. Aber es herrscht strahlender Sonnenschein, ich will mich lieber an der frischen Luft bewegen. Also besser ein Leihfahrrad? Ich entscheide mich letztlich für einen E-Scooter.

Ich reserviere mir den Roller ganz bequem in meiner Verbindungs-App, in der auch mein Bahnticket hinterlegt ist. Mit der App könnte ich ebenso alle anderen Verkehrsmittel buchen, das (Sammel-)Taxi etwa oder einen Segway – regional übergreifend oder städteübergreifend. Sogar einen Mietwagen könnte ich mir ausleihen. In der App sehe ich vollkommen transparent auf einen Blick in Echtzeit, wo welche Gefährte stehen oder fahren. Je nachdem, ob ich lieber am schnellsten, bequemsten, günstigsten oder umweltfreundlichsten fahren will, sucht mir die App die besten Verbindungen heraus. Abgerechnet werden alle Verkehrsmittel genauso übersichtlich ebenfalls über die App.

Das Fortbewegen ist bequemer geworden, seit die Bundesregierung im Jahr 2021 die Weichen neu gestellt hat für den Personennahverkehr. Etliche Verkehrsflächen wurden umgewidmet, Rad, Inliner & Co. haben heute mehr Platz, auch weil der Autoverkehr insgesamt verringert wurde. Der Wandel hat auch eine digitale Seite. Ab dem Jahr 2022 mussten alle Unternehmen, die Mobilitätsdienstleistungen anbieten, ihre Informationen in maschinenlesbarer Form für Dritte anbieten und elektronische Schnittstellen zur Ticketbuchung bereitstellen.

Zeit für einen Wechsel

Dieses Szenario klingt utopischer, als es ist. In einigen Städten ist es in Ansätzen sogar bereits Realität. Doch mit dem Verkehr insbesondere in den Städten kann es nicht so weitergehen wie bisher. Die Kommunen ersticken regelrecht unter der Autoflut. Nach einer Studie des Verkehrsdatenanbieters Inrix stecken Autofahrer zum Beispiel in München während der Stoßzeiten durchschnittlich 51 Stunden pro Jahr im Stau fest, vier Stunden mehr als im Jahr 2016.

Eine Folge der Pkw-Massen in den Städten: Die Grenzwerte für Stickoxide werden nach Angaben des Umweltbundesamtes in 37 deutschen Kommunen regelmäßig überschritten. In ersten Städten gibt es daher bereits Fahrverbote, etwa in Hamburg oder Stuttgart, in etlichen anderen Städten drohen weitere.

Autos aus bestimmten Straßen oder Zonen zu verbannen, ist aber kaum mehr als ein Herumdoktern an Symptomen – das sich sogar als kontraproduktiv erweisen kann. So wurden in Hamburg einzelne Straßen für ältere Diesel-Pkw oder Lkw gesperrt. Diese müssen jetzt Umwege in Kauf nehmen, was letztlich zu mehr Verkehr und Umweltbelastung führt.

Will man den Verkehr wirklich nachhaltig verbessern, muss man das gesamte Verkehrskonzept der Innenstädte, das noch den Geist der Nachkriegszeit atmet, über Bord werfen. In den 60er- und 70er-Jahren wurden viele Städte nach dem Prinzip der autogerechten Stadt umgebaut. Planungsmaßnahmen ordneten sich dabei dem ungehinderten Verkehrsfluss des Autos unter. Die Stadt Wien hat ausgerechnet, dass heute über 65 Prozent ihrer Straßenfläche für das Auto reserviert ist, obwohl nur 28 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt werden.

Schon heute teilen sich die Radfahrer ihre Spuren mit (motorisierten) Skateboards, Segways, Mofas und Inliner-Fahrern. Ob die jeweiligen Verkehrsmittel die Radspur überhaupt nutzen dürfen, sei einmal dahingestellt – sie tun es oftmals aus Selbstschutz, weil es auf der Straße zu gefährlich ist.

In San Francisco gehören E-Scooter schon zum Straßenbild. Demnächst sollen sie auch hierzulande den öffentlichen Nahverkehr auf der letzten Meile ergänzen.

Der ohnehin knappe Platz dürfte in den nächsten Jahren noch knapper werden. E-Bikes machen Drahtesel für neue Nutzergruppen interessant. Mit den in vielen Städten bereitstehenden Mietfahrrädern können zudem Touristen einfach und kostengünstig die Fahrradinfrastruktur nutzen. Die nächste Welle rollt bereits heran: Im kommenden Jahr werden E-Scooter legal. Erste Verleiher stehen bereits in den Startlöchern, zum Beispiel mytaxi.

Ein Problem bei dieser Vielfalt im Verkehr sind auch die verschiedenen Geschwindigkeiten: Mitunter bereitet es Radfahrern und Autos schon heute Probleme, etwa die Geschwindigkeit von E-Bikes richtig einzuschätzen. Sofern noch weitere neue Verkehrsmittel in den Städten dazukommen und sich den gemeinsamen Raum teilen müssen, werden die Verkehrsteilnehmer das Miteinander neu lernen müssen.

Die litauische Hauptstadt Vilnius setzt bei ihrem integrierten Verkehrskonzept auch auf Mieträder.

Als eine Lösung für die aktuellen Probleme sehen viele Verkehrsplaner sogenannte Shared Spaces – also gemeinsam genutzte Flächen und Räume für alle Verkehrsteilnehmer, auf denen alle die gleichen Rechte haben. Dass etwa Autos, E-Roller, Fußgänger und Fahrräder gleichzeitig auf einer Straße unterwegs sind, ist hierzulande noch Zukunftsmusik.

Deutsche Städte reagieren bislang eher verhalten auf den Wandel in der Verkehrsnutzung. In Hannover etwa testet man Fahrradstraßen. Dort haben Fahrräder Vorfahrt und dürfen nebeneinander fahren, Autos müssen sich unterordnen: ein kleiner Anfang, aber derzeit nur Flickwerk.

Berlin könnte hierzulande zum Vorreiter werden. Das Abgeordnetenhaus des Stadtstaates hat im Juni ein Mobilitätsgesetz verabschiedet. Es soll Berlin mobiler, sicherer und klimafreundlicher machen. Dazu will man alle Verkehrsmittel – Bus, Bahn, Fahrrad, Auto, Fußverkehr – mit ihren Stärken berücksichtigen. Bis 2050 soll zudem der motorisierte Verkehr in Berlin klimaneutral gestaltet werden.

Wer schon heute fortschrittlichere Projekte erleben will, muss ins Ausland gehen, nach Kopenhagen oder in die Niederlande etwa (siehe ct.de/ytmh). In vielen niederländischen Städten sorgen zum Beispiel räumlich getrennte Radspuren auf der Fahrbahn, nicht auf dem Bürgersteig, dafür, dass Autofahrer andere Verkehrsteilnehmer nicht so leicht übersehen können.

Die Stadt wird smart

Wien hat sich einen ambitionierten Stadtentwicklungsplan verpasst, der bis zum Jahr 2050 umgesetzt werden soll. Der lange Zeitraum veranschaulicht deutlich, wie anspruchsvoll eine nachhaltige Umgestaltung des Verkehrs in einer dann mehr als zwei Millionen Einwohner großen Stadt ist. Außer baulichen Infrastrukturmaßnahmen wie Begegnungszonen und der Umnutzung von Straßenflächen sowie einem massiven Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel umfasst der Plan auch diverse digitale Bausteine.

Ampeln sollen so umprogrammiert werden, dass vor allem Fußgänger und Radfahrer möglichst wenig warten müssen. Die Stadt will ihr Informationsangebot über die Parkgaragen, den Bus- und Bahn-Betreiber „Wiener Linien“ und den Bikesharing-Anbieter Citybike gezielt stärken. Ganz generell sehen die Stadtplaner im Sharing die Zukunft. Hier will Wien eine Vorreiterrolle einnehmen und stärker mit Anbietern von Sharing-Systemen kooperieren, was zu einer effizienteren Nutzung führen soll. 2025 soll die Hälfte der Einwohner Wiens ein Carsharing-Fahrzeug in 500 Metern erreichen können.

Wie die smarte Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel funktioniert, lässt sich bereits heute in der litauischen Hauptstadt Vilnius ausprobieren. Dort können Bürger Bus und Bahn, Carsharing sowie Leihfahrräder nutzen. In Echtzeit rufen sie mit einer App namens Trafi Informationen zu allen verfügbaren Verkehrsmitteln ab, buchen diese und bezahlen auch automatisch. Nebenbei liefert die App Daten, die die Stadtverwaltung als Grundlage für ihre Verkehrsplanung nutzen kann.

Insellösungen

So schön die ersten Konzepte und Lösungen sein mögen – wirklich nützlich werden Stadt-Apps erst, wenn sie alle verfügbaren Verkehrsmittel berücksichtigen. Abgesehen davon sind alle bisher vorgestellten Stadtlösungen Insellösungen: gut für die einzelne Stadt, aber wertlos außerhalb.

In einer idealen Welt aber wären die verschiedenen Verkehrslösungen miteinander vernetzt, sodass man mit einer App überall zurechtkommt und wie eingangs beschrieben in jeder Stadt seine Fahrt von Tür zu Tür planen und buchen kann. Wer will schon für jede Stadt, die er besucht, eine neue App installieren?

Bis es zu einer solchen Lösung kommt, ist es aber noch ein weiter Weg, das zeigt das aktuelle Klein-Klein im öffentlichen Personennahverkehr. Hierzulande gibt es rund 450 Verkehrsverbünde und Beförderungsunternehmen für den öffentlichen Nahverkehr, jeweils mit eigenen Tarifen und teilweise auch eigenen Apps.

Verbindungs-Apps wie Öffi sind in den Gebieten der kooperierenden Verkehrsverbünde sehr hilfreich; leider stellen nur sehr wenige Verkehrsbetriebe Dritten ihre Daten zur Verfügung.

Eine App, mit der sich regionsübergreifend Fahrplanauskünfte abrufen oder Tickets buchen ließen, ist hierzulande nicht in Sicht, auch wenn sich verschiedene Anbieter darum bemühen. So nutzen die Bahn mit ihrem DB Navigator und Apps wie Öffi oder Moovel zwar die Verbindungsdaten von Verkehrsverbünden, aber es ist immer nur eine Auswahl. Öffi zeigt zum Beispiel nur für gut zwei Dutzend deutsche Verkehrsverbünde die Fahrplaninformationen an. Und mit Moovel kann man Tickets von gerade einmal zwei Verkehrsverbünden buchen.

Damit neue Mobilitätskonzepte umgesetzt werden können, müssen in vielerlei Hinsicht erst einmal die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das zuletzt im Jahr 2013 aktualisierte Personenbeförderungsgesetz kennt Sammeltaxis wie VWs Moia noch nicht. Der Dienst operiert derzeit in Hannover mit einer Ausnahmegenehmigung im Testbetrieb.

Die Regierung will laut Koalitionsvertrag „das Personenbeförderungsrecht modernisieren und die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Verkehr und neue Bedienformen im Bereich geteilter Nutzungen (Ride Pooling) an die sich ändernden Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und neue technischen Entwicklungen anpassen“. Bis wann das geschehen soll, ist aber unklar. Noch bis „Ende 2018 oder spätestens Anfang 2019“ soll die „Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen (PLEVs) am Straßenverkehr“ aktualisiert werden. Dann sollen E-Scooter legal am Straßenverkehr teilnehmen.

Eines Tages werden sicher auch einmal selbstfahrende Autos eine wesentliche Rolle dabei spielen, den Verkehrskollaps in der Stadt abzubauen: Es wäre zu schön, wenn man etwa per App ein Carsharing-Auto vor die Tür bestellen könnte, um damit zum Wocheneinkauf zu fahren, oder wenn autonome Kleinbusse morgens die Schulkinder einsammeln würden.

Per Fahrgemeinschaft in der ganzen Stadt unterwegs: Sammeltaxis sind flexibler als Busse und Bahnen. Bild: Moia

Doch es ist heute noch nicht abzusehen, wann es so weit sein wird. Auch wenn einzelne Modelle verschiedener Hersteller bereits halbautomatisch über deutsche Straßen fahren, wird es noch etliche Jahre dauern, bis die Technik ausgereift und auch andere, etwa rechtliche Hürden ausgeräumt sind.

Damit neue Verkehrskonzepte greifen können, müssen alle daran Beteiligten zusammenarbeiten: Mobilitätsanbieter, Kommunen und auch die einzelnen Verkehrsteilnehmer. Die Verkehrsteilnehmer müssen, wenn sich etwa verschiedene Verkehrsmittel den gleichen Raum teilen, mehr Rücksicht aufeinander nehmen.

Facetten des Wandels

Die folgenden Artikel werfen Schlaglichter auf einzelne Aspekte, die bei der Zukunft der Mobilität eine Rolle spielen. Der Beitrag auf Seite 116 stellt Apps wie Moovel vor, mit denen bereits in einzelnen Städten das Gros der Verkehrsmittel miteinander kombiniert werden kann. Für den Artikel ab Seite 118 ist der Kollege Arne Grävemeyer in die litauische Hauptstadt Vilnius gereist, um die Mobilitäts-App Trafi vor Ort auszuprobieren – inklusive ihrer Kinderkrankheiten.

Ab Seite 121 berichten wir über den aktuellen Stand von VWs Moia-Projekt, das mit seinen Sammeltaxis in einigen deutschen Städten die Lücke zwischen dem öffentlichen Personennahverkehr und dem Taxi schließen soll. Carsharing ist in vielen Städten bereits gang und gäbe. Abseits der großen Anbieter wächst der Markt des privaten Teilens, zeigt der Artikel ab Seite 122. Der Artikel auf Seite 124 schließlich stellt E-Scooter vor: Hierzulande sind diese Fortbewegungsmittel noch kaum im Stadtbild sichtbar – was sich aber schon im nächsten Jahr ändern dürfte. (jo@ct.de)