c't 13/2022
S. 56
Titel
Quantencomputing: Interview
Bild: Albert Hulm

Europas Quantensprung

Interview: Tommaso Calarco über den Stand der Quantencomputer in Deutschland

IBM, Google & Co. haben mit Quantencomputern Aufsehen erregt, aber europäische Forscher und Start-ups machen den USA die Vorrangstellung streitig. Bevor wir in den nachfolgenden Beiträgen Erfolgsgeschichten beschreiben und die quantentechnischen Eigenheiten der faszinierenden Rechentechnik erklären, sprechen wir mit Tommaso Calarco, Institutsleiter Quantum Control am Forschungszentrum Jülich. Er erklärt, warum Deutschland in der Grundlagenforschung Weltspitze ist.

Von Arne Grävemeyer

Tommaso Calarco leitet das Institut Quantum Control am Forschungszentrum Jülich, wo derzeit eines der größten Zentren für Quantencomputer in Europa entsteht. Calarco gilt als wichtiger Netzwerker der europäischen Quantenforschung. Als Mitglied im Expertenrat Quantencomputing berät er seit Jahren die Bundesregierung und ist einer der Initiatoren des Quanten-Flaggschiff-Projekts der EU-Kommission. Die hat mit dem Startschuss 2018 ein Budget von einer Milliarde Euro für zehn Jahre vorgesehen – und dieses Budget mittlerweile auf sieben Milliarden aufgestockt. Die ersten Erfolge und Start-ups in Europa werden heute sichtbar.

Tommaso Calarco, Institutsleiter Quantum Control am Forschungszentrum Jülich, gilt als einer der wichtigsten Netzwerker der europäischen Quantenforschung und Impulsgeber für das Quantum-Flaggschiff-Projekt der EU. , Bild: Forschungszentrum Jülich
Tommaso Calarco, Institutsleiter Quantum Control am Forschungszentrum Jülich, gilt als einer der wichtigsten Netzwerker der europäischen Quantenforschung und Impulsgeber für das Quantum-Flaggschiff-Projekt der EU.
Bild: Forschungszentrum Jülich

Mit Quantencomputern haben bisher vor allem amerikanische Unternehmen von sich reden gemacht. IBM baute als erstes „Industriemodell“ den System Q One und installierte eine solche Maschine öffentlichkeitswirksam auch in Deutschland. Google bewies mit einem 54-Qubit-Chip die Quantenüberlegenheit (Quantum Supremacy). Ist die Forschung in Deutschland und Europa nicht längst abgehängt?

Tommaso Calarco: Ganz im Gegenteil! Europa, insbesondere Deutschland, ist extrem stark in der Grundlagenforschung. Es geht dabei aber nicht um rein intellektuelle Fragestellungen, sondern um die Basis, zum Beispiel supraleitender Qubits. Es geht um die erforderliche Physik und die Materialwissenschaften. Es geht um das Verständnis von den grundlegenden Phänomenen, um damit bessere Quantencomputer bauen zu können. Und das ist entscheidend, denn wir wissen, dass Quantensysteme eine möglichst lange Kohärenzzeit einhalten müssen. Für einen Quantencomputer braucht man Materialien und Systeme von höchster Qualität. Nur wenn man das hat, kann man auch die Rechentechnik darauf aufbauen. Bei all diesen Aspekten: Wie erzeugt man die besten Materialien, wie fertigt man die reinsten Schaltkreise, wie realisiert man die Fertigung – da sind Deutschland und Europa führend. Und nach wie vor werden unsere Wissenschaftler gerne in die USA berufen.

Manchmal kehrt sich der Braindrain aber zu einem Braingain um.

Calarco: Ja, manchmal geht es auch schon in die andere Richtung. Der Niederländer Rami Barends zum Beispiel war der zweite Mann an der Spitze im Quantum-Supremacy-Team von Google hinter John Martinis. Wir konnten ihn nach Deutschland zurückberufen. Am Forschungszentrum Jülich leitet er nun den Aufbau eines Tieftemperatur-Labors, in dem unter anderem die Quantenrechner des europäischen Quanten-Flaggschiffs und des deutschen Quanten-Demonstrator-Projekts betrieben werden sollen.

Teilen Sie die Ansicht, dass supraleitende Qubits auch in Zukunft die beherrschende Technik für Quantencomputer sein werden?

Calarco: Nein, es ist absolut noch nicht klar, dass es einmal supraleitende Qubits sein müssen. Selbst der Leiter von Googles Quantum-AI-Lab, Hartmut Neven, sagte mir neulich, dass sie derzeit zwar auf supraleitende Qubits setzen, sich aber nach alternativen Techniken umsehen.

Wenn wir allerdings auf Ionenfallenqubits schauen oder auf Quantensimulationen in Atomen, da haben Deutsche und Europäer die Nase vorn und die Amerikaner sind in einigen Bereichen abgehängt. Und bei der Entwicklung von Qubits auf der Basis von Farbzentren in Diamanten, da sind die Amerikaner so gut wie gar nicht dabei. Und derartige Plattformen sind hochinteressant. Beispielsweise sind Qubits in Form von Farbzentren in Diamanten auch ohne Kühlung sehr stabil.

Aber in den USA wurde doch schon früh an Ionenfallenqubits geforscht?

Calarco: Das erste Quantum-Start-up, dessen Börsenwert die Milliardengrenze überschritt, war das 2015 gegründete IonQ, das Ionenfallencomputer baut. Zu der Zeit gab es in Europa keine vergleichbare Firma. Vor vier Jahren startete die EU ihr Quanten-Flaggschiff-Programm und schon da fragten viele: „Sind wir nicht schon längst abgehängt?“ Aber inzwischen sind einige Start-ups in Europa gegründet worden, die sich etablieren und zum Beispiel eigene Quantencomputer bauen. Darunter Alpine Quantum Technologies AQT in Innsbruck, das Ionenfallencomputer in Konkurrenz zu IonQ anbietet. Bald schon werden europäische Hochleistungsrechenzentren derartige Quantencomputer made in Europe integrieren.

Hat das sogenannte Munich Quantum Valley einen Anfang gemacht, als es die Integration eines Quantencomputers der deutsch-finnischen IQM Quantum Computers mit 20 Qubits in supraleitender Technik bis 2023 ankündigte?

Calarco: Ja, am beteiligten Leibniz-Rechenzentrum in Garching bei München verbindet man klassische Superrechner mit Qubitsystemen. Ein vergleichbares Konzept verfolgen wir auch am Superrechner in Jülich. Auch hier entsteht sozusagen ein neues Quantum Valley unter der Bezeichnung „EIN Quantum NRW“ (EIN – Education Innovation Networking). Wir haben einen modularen Supercomputer mit CPUs und GPUs und wir haben bereits einen Quantenannealer von D-Wave eingebunden. Von Jülich aus koordinieren wir das EU-Pilotprojekt HPCQS (High-Performance Computer and Quantum Simulator hybrid), das eine europäische Infrastruktur für Quantensimulation aufbauen soll. Quantensimulatoren sind Special-Purpose-Computer, die mit Qubits andere Quantensysteme simulieren. Das Start-up Pasqal baut zum Beispiel solche Maschinen und wird einen Quantensimulator in Paris installieren. Als HPCQS-Koordinator konnte ich Pasqal überzeugen, parallel einen zweiten Quantensimulator in Jülich anzubieten, ohne den Preis zu verdoppeln – das ist dann wohl der erste Mengenrabatt in der Geschichte der Quantencomputer. Dazu soll in Zukunft ein weiterer Quantencomputer des deutschen Herstellers EleQtron aus Siegen kommen, der ionenbasierte Quantencomputer entwickelt.

Simuliert der Superrechner in Jülich nicht auch Quantencomputer auf hohem Niveau?

Calarco: Oh ja, wir halten den Weltrekord für die größte Quantencomputer-Emulation auf einem klassischen Supercomputer. Beim Quantum-Supremacy-Project war meine Kollegin Kristel Michielsen für das Benchmarking, also den Vergleich des eingesetzten Quantencomputers mit einem klassischen Computer, verantwortlich. Sie leitet die Gruppe Quantum Information Processing am Jülich Supercomputing Center (JSC) und war daher Mitautorin der Nature-Veröffentlichung 2019 zu Googles Nachweis der Quantenüberlegenheit.

Alle diese Module, klassischer Superrechner, Quantenemulator, Quantensimulator, Quantenannealer und die ersten Quantencomputer, werden wir in Jülich zusammenführen. Am Ende bekommt ein Anwender Zugang zu einer Plattform, bei uns heißt die JUNIQ. Der Anwender kann sich verbinden und per Software entscheiden, auf welcher Plattform er seine Anwendung laufen lässt. So kann er die verschiedenen Möglichkeiten ausloten, Benchmarks und Anwendungsfälle zu entwickeln.

Wachsen in Deutschland und Europa genügend Quantencomputing-Experten heran? Gibt es den breiten Unterbau etwa von Anwendungsentwicklern, die es braucht, um diese Technik zu etablieren?

Calarco: Das ist und wird das Hauptproblem sein. An dieser Stelle wird der Wettbewerb entschieden. Man kann in der Quantentechnik nicht Standardingenieure einsetzen, es braucht dafür eine spezielle Ausbildung. Wir wollen in NRW einen Schwerpunkt auf Lehre legen und eine Graduiertenschule aufbauen, in Bayern hat man damit bereits angefangen. Im Wahlprogramm der CDU NRW steht sogar, dass man 100 neue Professuren für Künstliche Intelligenz und Quantencomputing schaffen wolle. Auch die Industrie hat enormes Interesse, Quanteningenieure auszubilden. Wir sind heute noch nicht im Engpass, aber der ist in Sicht. Wir müssen uns vorbereiten und das Lehrangebot ausbreiten. Das Problem hat jeder, die USA genauso wie Europa, und wer das nicht lösen kann, gerät ins Hintertreffen.

Was würden Sie einem talentierten Studenten sagen, warum sollte der sich auf Quantentechnik spezialisieren?

Calarco: Ich würde sagen: Das ist cool und im wahrsten Sinne des Wortes „mind blowing“ begeisternd. Eine Wissenschaft, die uns an die Grenzen dessen treibt, was vorstellbar ist, buchstäblich. Zweitens gibt es großen Bedarf in der Industrie und nachdem wir es ausbauen auch auf akademischer Seite. Also entstehen für den Absolventen viele Möglichkeiten. Und drittens ist es Bildung auf höchstem Niveau. Selbst wenn man anschließend nicht Quantentechnologe werden will, kann man sich mit dieser Ausbildung auch in anderen Gebieten auszeichnen.

Wenn man nun als Unternehmen in dieses Thema einsteigen will, womit fängt man am besten an?

Calarco: Im European Quantum Industry Consortium (QUIC), ein eingetragener Verein mit Sitz in Jülich, ist das eine Frage, die die Teilnehmenden immer wieder stellen. Es gibt Angebote von Universitäten, es gibt Handbücher; es hat sich gezeigt, das Beste ist, in den Unternehmen kleine Arbeitsgruppen als Studiengruppen zu gründen. Dort, wo sich zwei, drei Leute mit dem Thema beschäftigen, erreichen sie oft binnen einiger Monate die Kompetenz, operativ agieren zu können. Ich würde immer raten, sich mit anderen Unternehmen zu vernetzen, mit Forschungsinstituten und akademischen Organisationen. In Deutschland sind fast immer im Umkreis von wenigen Dutzend Kilometern Hotspots zu finden, zum Beispiel eine Uni mit Kompetenz in Quantentechnik. Und die haben auch Interesse, etwas anzubieten. Das wächst immer weiter. (agr@ct.de)

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