c't 3/2020
S. 62
Titel
Trends 2020
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Zukunft zum Anfassen

IT- und Technik-Trends im Jahr 2020

5G kommt in der Praxis an, der Wettbewerb der Streamingdienste eskaliert, Sicherheitschips machen Passwörter überflüssig und die DSGVO beißt erst jetzt richtig zu: Was 2020 auf Sie zukommt.

Zum Jahreswechsel laufen Technikerklärer traditionell zur Hochform auf. Vor allem Unternehmensberatungen nutzen den Winter, um ihren potenziellen Kunden klarzumachen, dass sie bestens über die Zukunft Bescheid wissen. Zur Not werden dafür altbackene Trends einfach unter neuem Namen aufgewärmt. So erklärte Gartner neulich „Hyperautomatisierung“ zum „Strategischen Trend Nummer 1“. Automatisierung reicht wohl nicht mehr.

Oder es werden diverse Hypes miteinander multipliziert. „Zum Beispiel kann Künstliche Intelligenz in Form von Machine Learning mit Hyperautomatisierung und Edge Computing kombiniert werden, um hoch integrierte smarte Gebäude und Stadträume zu schaffen“, schreibt Gartner. Durch diese Kombination werde die „Technologie noch demokratischer“. Ist doch logisch, oder?

Unser Ausblick auf das neue Jahr folgt einem alltagsrelevanteren Ansatz. Wir erklären, was 2020 passiert – und nicht erst irgendwann vielleicht. Außerdem beschränken wir uns auf Trends, die in der Praxis eine Rolle spielen, nicht nur in Forschungsprojekten oder wilden Prognosen.

So wird zum Beispiel 5G in diesem Jahr erfahrbar. Die Provider rüsten ihre Funkmasten in großen Städten mit der Technik aus, die Zahl der Android-Smartphones mit passendem Chip steigt stetig. Apple dürfte in diesem Jahr zudem sein erstes 5G-iPhone vorstellen. Doch sein volles Potenzial entfaltet der Mobilfunkturbo noch nicht – warum, erklären wir im folgenden Artikel.

Zu Hause auf dem Sofa macht sich ein anderer Trend bemerkbar, und zwar der eskalierende Wettbewerb der Video-Streaming-Dienste. Allein Netflix produziert mittlerweile mehr Material als die gesamte US-Fernsehindustrie vor 15 Jahren. Und nun kommen auch noch neue Player wie Disney und Apple mit teuren Eigenproduktionen um die Ecke. Den Zuschauern beschert der scharfe Wettbewerb trotzdem nicht nur Vorteile (S. 66).

Um Streaming geht es mittlerweile auch in der Spielebranche, denn mit Diensten wie Google Stadia zockt man in der Cloud und kann zu Hause auf klobige Hardware verzichten. Trotzdem bringen Microsoft und Sony in diesem Jahr neue Konsolen auf den Markt – nach sieben Jahren Wartezeit (S. 62).

Außerdem erklären wir, warum die DSGVO erst 2020 so richtig scharfgestellt wird (S. 70), wie Security-Chips das leidige Passwort-Problem entschärfen (S. 71) und warum Online-Inhalte von Regierungen immer stärker zensiert werden (S. 72).

Algorithmen aus den Achtzigern

Doch was ist mit dem Megatrend KI? Auch der wird 2020 in den Schlagzeilen bleiben. Voraussichtlich mit ähnlichen Nachrichten wie in den Vorjahren: Dass lernende Algorithmen in bestimmten Disziplinen wie Textgenerierung oder Bild- und Spracherkennung immer besser werden.

Solche Fortschritte werden allerdings vor allem dadurch getrieben, dass Forscher neues Trainingsmaterial für ihre künstlichen neuronalen Netze sammeln, was sehr aufwendig sein kann. Die Prinzipien der Algorithmen stammen hingegen aus den Achtziger und Neunziger Jahren – es sind technisch gesehen alte Hüte.

Ein Beispiel ist die Meldung, die Google und beteiligte Forscher gleich am 1. Januar diesen Jahres veröffentlichten: Ein von ihnen trainierter Algorithmus habe im Rahmen einer Studie Brustkrebs auf Röntgenbildern zuverlässiger erkannt als ausgebildete Radiologen.

Ein Google-Algorithmus hat in dieser Aufnahme korrekt einen Tumor erkannt, nachdem Radiologen nichts bösartiges erkennen konnten. Ob das in der Praxis weiterhilft, ist aus Sicht von Experten aber unklar. Bild: Northwestern University

Das Fachmagazin Nature betonte allerdings, es sei „ernüchternd, welche schiere Masse an Daten nötig ist, um KI-Algorithmen für klinische Aufgaben zu entwickeln und zu testen“. Brustkrebs gehöre zu den wenigen Krankheiten, für die es solche KI-geeigneten Daten gebe. Und selbst hier sei unklar, ob KI wirklich in der Praxis weiterhilft. Zum Beispiel, weil die meisten Bilder in der Studie von einem Mammografiesystem eines bestimmten Herstellers stammten. Die echte Welt sei nun mal komplizierter als kontrollierte Forschung.

Auch ein Google-Forscher blickte neulich kritisch auf den KI-Hype. „Wir können zwar Systeme entwickeln, die extrem gute Leistungen bei bestimmten Aufgaben zeigen, aber sie haben immer noch massive Einschränkungen“, fasste Francois Chollet im Herbst zusammen. Die aktuellen Systeme seien, „instabil, datenhungrig, nicht in der Lage, Situationen zu verstehen, die leicht von ihren Trainingsdaten oder den Annahmen ihrer Entwickler abweichen, und nicht in der Lage, sich auf die Handhabung von neuartigen Aufgaben umzustellen“.

In der Fachwelt hofft man schon seit Langem auf einen echten Durchbruch. Zum Beispiel auf Algorithmen, die nur wenige Beispiele sehen müssen, um daraus etwas Brauchbares zu lernen. Wie das funktionieren könnte, ist aber völlig unklar. Der nächste echte Fortschritt kann 2020 kommen, vielleicht aber auch erst in 20 Jahren – wann genau, wissen nicht einmal Unternehmensberater. (cwo@ct.de)