c't 3/2019
S. 46
News
Autonome Fahrzeuge
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Das Auto ist tot, es lebe das Auto!

Autonome Fahrzeuge gibt es noch nicht, aber viele Schrittchen darauf zu

Die Entwicklung hin zum autonomen oder auch nur elektrifizierten Fahrzeug scheint vor allem bei den Zulieferern stattzufinden, sie haben Ideen und zeigen Detaillösungen. Die großen Autohersteller hingegen bleiben eher unkonkret.

Hochautomatisierte und elektrifizierte Fahrzeuge werden früher oder später auf unseren Straßen rollen, darüber herrscht Einigkeit in der Branche. Auf der Technikmesse CES war dennoch von den Hochautomatisierten nichts Serienreifes zu sehen, und die einzige substanzielle Neuvorstellung eines E-Serienfahrzeugs war die 62-kWh-Version des Nissan Leaf. Die hat Nissan allerdings so dezent präsentiert, dass der Gratis-Cappuccino auf dem Stand mehr Besucher anlockte.

Statt in knubbeligen Dachaufbauten verschwinden die Lidar-Sensoren von Pioneer dezent in Scheinwerfern.

Dass sich in Sachen hochautomatisiertem Fahren (Level 5) technisch einiges bewegt, war bei den Zulieferern wie Continental, NXP, Valeo, ZF oder Spezialisten wie Velodyne zu sehen. Selbst der Hifi-Hersteller Pioneer stellte einen Frontscheinwerfer mit integriertem Lidar vor, der eine schickere Alternative zu auffälligen Rundumscannern sein sollte. Panasonic, sonst eher für Batterien und Unterhaltungselektronik bekannt, präsentierte ein System zur Vernetzung von Fahrzeugen.

Intels autonomes Versuchsfahrzeug nutzt Technik der mittlerweile einverleibten Firma MobileEye.

Auch klassische IT-Firmen mischen mit, wenn es um autonomes Fahren geht: Intel lässt einen zum autonomen Versuchsfahrzeug umgebauten Ford Fusion in Israel seine Runden drehen. Der Standort kommt nicht von ungefähr: Im Ford stecken Kameras und Sensoren des israelischen Herstellers für Fahrerassistenzsysteme MobileEye, den Intel 2017 für rund 15 Milliarden US-Dollar übernommen hatte.

Nvidia bringt seine Chips und KI-Systeme schon länger in autonomen Fahrzeugen ein und präsentierte nun den Drive Autopilot. Er soll den Automatisierungslevel „2+“ beherrschen, doch der existiert gar nicht. Das muss man wohl damit übersetzen, dass das System den Level 3 nicht erreicht, bei dem das Fahrzeug in abgegrenzten Fahrsituationen autonom unterwegs ist und der Fahrer nur in Notfällen eingreifen muss. Erst in der Praxis wird sich zeigen, ob das „+“ hinter der 2 das System näher am Notbremsassistenten oder am Autobahnpilot positioniert.

Nvidia will das System an Pkw-Hersteller verkaufen. Gerade für kleine Hersteller kann sich das eher lohnen, als solch ein komplexes Softwaresystem selbst zu entwickeln und die Sensortechnik von anderen OEMs zuzukaufen. Apropos Software: Nvidia nutzt für Drive AutoPilot die Plattform ProAI des deutschen Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen; beide wollen ihre Partnerschaft hierfür ausbauen.

Prototypen und Studien

Statt autonomer E-Fahrzeuge mit Serienreife gab es eher Design-Studien wie den BMW iNext zu sehen.

Die deutschen Hersteller haben nur Ideen fern der Serienreife zu bieten. Bei BMW war die Vision des für 2021 angekündigten iNext zu bestaunen – bitte nicht berühren. Mercedes zeigte seinen hochautomatisierten Knubbelbus Urbanetic; der Mut der Mercedes-Designer wurde immerhin belohnt, stahl die bullige Shuttle-Studie doch sogar dem eigens auf der Messe vorgestellten Mercedes CLA die Show.

Audi setzte den Passagieren im Fond kurzerhand eine VR-Brille auf den Kopf und machte die Autofahrt in der zweiten Reihe zur virtuellen Weltraumschlacht. Und auch der Fahrer soll bei der automatisierten Fahrt der Zukunft mit verbessertem Entertainment-Angebot bei Laune gehalten werden. Mit dem e-Tron hatten die Ingolstädter zumindest ein E-Fahrzeug kurz vor dem Serienstart mit im Gepäck. Das lenkradlose Luxus-Roboshuttle Audi Aicon war wieder nur eine visionäre Studie. Auch hier gaben die gegenläufig öffnenden Türen den wie beim iNext B-säulenfreien Blick auf ein Wohnzimmerszenario frei – das Auto als Erweiterung des privaten Raumes.

Fahren und fahren lassen

Spannend ist die Frage, ob es mit autonomen, elektrifizierten Autos überhaupt noch einen Individualverkehr geben wird. Und diese Frage beantworteten längst nicht nur die klassischen Automobilhersteller. In Zeiten chronisch verstopfter Straßen wittern besonders Ride-Sharing-Dienste wie Uber und Lyft Morgenluft. Sie könnten sich mit der neuen Technik einem der größten Kostenfaktoren entledigen: dem menschlichen Fahrer. Da wundert es kaum, dass Lyft während der CES einen autonomen Bus durch die Straßen von Las Vegas fahren ließ.

Die Antriebstechnik des autonomen Fahrzeugs von AEV steckt wie beim Mercedes Urbanetic in der Bodenplattform. Modulare Chassis erlauben unterschiedliche Fahrzeugtypen und Einsatzzwecke.

Aber auch für andere Zwecke lässt sich das Potenzial autonomer Fahrzeuge nutzen. So zeigten Panasonic und Ford ihre Ideen für autonome Lieferfahrzeuge, die bestellte Waren automatisch zu den Kunden nach Hause bringen. Fahrzeugbauer wie AEV Robotics und Rinspeed zielen gar noch auf weitere Branchen: Bei ihren Prototypen ist das Chassis mit Akkus und Fahrzeugtechnik vom Karosserieaufbau getrennt oder gar austauschbar. So lässt sich auf die autonome Fahrplattform wahlweise eine Shuttle-Bus-Kabine, ein Lieferwagen oder gar ein Müllfahrzeug montieren. Eine ähnliche Idee vertritt Panasonics SPACe C genanntes Konzept eines kleinen Händler- oder Servicemobils mit einem 48-Volt-Antrieb.

Und so füllten sich die Stände dann doch allenthalben mit autonomen Autos und Shuttle-Bussen. Nach dem mehrjährigen Hype mit Demos und Showcars rund um autonomes und elektrisches Fahren kehrt die Auto-Branche zur Bodenständigkeit zurück. (spo@ct.de)