c't 1/2019
S. 20
News
Edge erhält Chromium-Kern

Da warens nur noch zwei

Das Ende von Edge als eigenständiger Browser

Edge wird nicht mehr als unabhängiger Browser weiterentwickelt. Microsoft benutzt in seinem Browser künftig die Engine des Konkurrenten Chrome – eine Zäsur für das Unternehmen, vor allem aber wächst Googles Einfluss auf die Web-Technik.

Microsoft entkernt seinen Browser Edge. Im kommenden Jahr soll er Chromium als Unterbau erhalten, also die Open-Source-Basis von Google Chrome und vielen weiteren Browsern. Die Entwicklung einer eigenen Rendering Engine gibt Microsoft damit auf.

Edge kam 2015 mit Windows 10. Microsoft verzichtete bei Edge konsequent auf proprietäre Technik wie die ActiveX-Controls des Vorgängers Internet Explorer und setzte komplett auf offene Web-Standards. So sollte der Browser wieder mit der Entwicklung der Technik Schritt halten können. Geholfen hat der Neustart indes wenig. In der Kompatibilitätsstatistik von caniuse.com hinkt Edge der Konkurrenz deutlich hinterher, Benutzer berichten zudem immer wieder über Stabilitätsprobleme. Der Marktanteil blieb in Deutschland bei etwa 7 Prozent kleben, selbst der antiquierte Internet Explorer ist immer noch beliebter.

Ausweg Chromium

Microsoft soll den Umstieg auf Chromium seit mindestens einem Jahr in Betracht gezogen haben, will das US-Technikportal The Verge erfahren haben. Seit einigen Monaten haben sich Microsoft-Entwickler bereits beim Chromium-Projekt eingebracht. Anfang Dezember hat Microsoft schließlich offiziell bekanntgegeben, auf Chromium wechseln zu wollen.

Edge war auch unter den Entwicklern von Erweiterungen nicht sonderlich beliebt, wie das magere Angebot an Add-ons zeigt.

Chromium bringt von Haus aus einige Funktionen mit, die Edge fehlen. So ist seine Browser-Engine außer für Windows 10 auch für ältere Windows-Versionen sowie für Linux, macOS und Android verfügbar. Edge soll mit dem neuen Unterbau nicht nur für Windows 10, sondern auch für Windows 7 und 8 sowie für macOS herauskommen, hat Microsoft angekündigt.

Ein Grund für den Erfolg von Chromium und die hohe Geschwindigkeit seiner Weiterentwicklung dürfte darin liegen, dass sich sehr viele Programmierer daran beteiligen. Das Open-Source-Projekt wurde 2008 von Google begonnen, dessen Mitarbeiter bis heute den Großteil des Codes beitragen und das Projekt kontrollieren. Aber nicht alles stammt von Google: Knapp 50 Unternehmen und 1000 einzelne Entwickler wirken daran mit.

Mit dabei sind die Hersteller anderer Browser, die Chromium nutzen, darunter Opera, Vivaldi und Yandex. Darüber hinaus zieht sich die Unterstützung quer durch die IT-Branche: Samsung, BlackBerry, Intel, Facebook, Spotify, Akamai, ARM, HP, IBM und Nvidia tragen zu Chromium bei – und sogar der direkte Konkurrent Mozilla.

Web im Gleichschritt

Mitarbeit an einem Open-Source-Browser statt einem eigenen Closed-Source-Pendant: Der Schritt passt gut zu Microsofts Kurs zu mehr offener Software. Und auch in Bezug auf die Neuerungen, die Chromium für Edge zu bieten hat, schaut das Unternehmen erwartungsfroh in die Zukunft. So hat Microsoft angekündigt, dass Edge die Erweiterungen von Chrome unterstützen können soll – ein riesiger Fortschritt: Während es für Edge auch nach mehr als drei Jahren nur etwas mehr als 200 Erweiterungen gibt, stehen für Chrome laut Google aktuell mehr als 180.000 Extensions bereit.

Chromium und Iridium (hier im Bild) gleichen sich äußerlich, Iridium schützt die Privatsphäre aber durch etliche Maßnahmen, die unter der Oberfläche wirken.

Allerdings begibt sich Microsoft mit dem Wechsel ein für allemal in fremde Hände. Wenn die hauseigene Rendering Engine EdgeHTML erst einmal durch ihr Chromium-Pendant Blink ersetzt worden ist, dürfte es keinen Weg zurück geben. Außerdem ist fraglich, wie sich ein Chromium-Edge bei seiner Nähe zu Chrome von dem Google-Browser und anderen Browsern abheben soll.

Es gibt mit Vivaldi und Opera zwei leistungsstarke und beliebte Desktop-Browser, die ebenfalls mit Chrome-Erweiterungen umgehen können. Eine Reihe weiterer Chromium-Browser besetzt wichtige Nischen: Brave und Iridium etwa haben sich den Datenschutz auf die Fahnen geschrieben, Iron ist ein Chrome-Klon ohne Google und Torch setzt auf Multimedia (Downloads siehe ct.de/yxxs).

Auf dem Weg zur Monokultur

Nach dem bevorstehenden Aus für Microsofts eigene Browser-Engine gibt es nur noch drei maßgebliche Rendering Engines: WebKit, das in Safari seinen Dienst verrichtet, Firefox’ Gecko und Chromium Blink – ein Sieg der Open Source, denn alle drei Browser-Engines werden als quelloffene Software entwickelt.

Dass es nur noch diese drei Browser-Engines gibt, birgt aber zugleich ein Problem. WebKit ist technisch bereits ein wenig ins Hintertreffen geraten und verrichtet nur auf den Plattformen macOS und iOS sowie bei einigen Linux-Browser-Exoten wie Epiphany und Midori seine Arbeit. Ein nennenswerter Windows-Browser mit WebKit? Fehlanzeige.

Es existieren also nur noch zwei Web-Renderer, die plattformübergreifend eine Rolle spielen. Und unter diesen herrscht bereits ein massives Ungleichgewicht. Gecko wird außer in Firefox und im Tor-Browser in keinem anderen weit verbreiteten Browser verwendet. Chrome hat dagegen auf dem Desktop bereits einen Marktanteil von knapp 70 Prozent, Tendenz steigend.

Mozilla ist daher von Microsofts Schritt nicht begeistert: „Mit der Einführung von Chromium übergibt Microsoft die Kontrolle über noch mehr Online-Aktivitäten an Google“, so der Mozilla-CEO Chris Beard. Er warnt, dass wenn ein Produkt wie Chromium einen ausreichend großen Marktanteil erlange, Web-Entwickler dazu verleitet werden könnten, sich nicht mehr um andere Browser zu kümmern. Diese Befürchtung ist nicht überzogen: Das Web steuert auf eine Browser-Monokultur zu. (jo@ct.de)