c't 1/2019
S. 94
Test
CGM-System zur Blutzuckermessung
Aufmacherbild

Unter die Haut

Kontinuierliche Blutzuckermessung mit Eversense XL

Immer mehr Menschen mit Diabetes ziehen CGM-Systeme der klassischen Blutzuckermessung vor. Sie liefern rund um die Uhr Informationen zum Glukosegehalt in der Gewebeflüssigkeit. Der Vorteil: Statt weniger, punktuell gemessener Werte erhält der Anwender informative Verlaufskurven. Jetzt gibt es ein neues CGM-System mit einem Sensor, der bis zu 180 Tagen funktionieren soll.

Der direkte Weg zum aktuellen Blutzuckerwert führt über einen Tropfen Blut. Mit Messgerät und Teststreifen kann man prüfen, wie hoch der Blutzucker (BZ) aktuell ist. Systeme zur kontinuierlichen Messung (Continuous Glucose Monitoring, CGM) werten dagegen in kurzen Intervallen den Gewebezucker aus. Dessen Wert korrespondiert zwar mit dem im Blut, hinkt aber immer etwas hinterher. CGM-Systeme geben daher nicht die tatsächlich gemessenen Rohdaten aus, sondern einen daraus abgeleiteten, errechneten BZ-Wert.

Bei der kontinuierlichen Messung unterscheidet man zwischen FGM- und CGM-Systemen. FGM steht für „Flash Glucose Monitoring“ – hier ruft der Anwender den Wert aktiv ab. Dagegen senden CGM-Systeme in regelmäßigen Abständen Messwerte. Ein Transmitter übermittelt die Sensorwerte an ein Empfangsgerät. Das zeigt außer dem aktuellen Wert auch eine Trend-Anzeige, an der abgelesen werden kann, ob der Wert gerade ansteigt, abfällt oder konstant ist. Das Empfangsgerät speichert die Werte; der Anwender kann sie sich direkt auf dem Gerät in Form von Diagrammen und Statistiken darstellen lassen und mit der zugehörigen Software auslesen.

CGM-Systeme warnen den Anwender, falls die BZ-Werte zu hoch oder zu niedrig sind. So lassen sich etwa Unterzuckerungen und starke Schwankungen – insbesondere nachts – aufdecken sowie Therapiefehler erkennen und beseitigen. Die Alarmfunktionen der Geräte können den Anwender bei stark fallenden und steigenden Glukosewerten frühzeitig warnen, also bereits bevor die Werte bedenklich hoch oder tief sind.

Bei gängigen CGM-Systemen setzt der Patient alle fünf bis sieben Tage selbst einen Sensor an eine geeignete Körperstelle auf die Haut. Mit dem Eversense XL CGM hat Roche in Kooperation mit Senseonics nun das erste Langzeit-CGM-System auf den deutschen Markt gebracht. Bei diesem System liegt der Sensor bis zu 180 Tage unter der Haut. Dazu ist ein etwa 15-minütiger, ambulanter Eingriff nötig, den zertifizierte diabetologische Schwerpunktpraxen anbieten. Der Schnitt von 5 bis 8 Millimeter Länge ist durch eine örtliche Betäubung kaum spürbar und verheilt in der Regel innerhalb von fünf Tagen. Für Kinder und Jugendliche ist das Eversense XL CGM derzeit nicht zugelassen. Erwachsene benötigen ein Rezept vom Arzt, das bei der Krankenkasse eingereicht wird.

Per App gut informiert

Das Eversense-System besteht aus drei Komponenten: dem unter der Haut liegenden Sensor, dem sogenannten Smart Transmitter und der Eversense-App für Android oder iOS. Ein separates Empfangsgerät gehört also nicht dazu – der Anwender nutzt stattdessen sein eigenes Smartphone; eine Liste kompatibler Geräte finden Sie unter ct.de/yh75. Ich habe das Eversense-System in Verbindung mit der iOS-App und einer Apple Watch getestet. Der Funktionsumfang der Android-App ist etwas geringer als der des iOS-Pendants und im Google Play Store kritisieren Android-Anwender, dass es zur Eversense-App noch kein Widget gibt.

Der Sensor des Systems, der unter der Haut platziert wird, ist ein rund einen Zentimeter langes Röhrchen mit einem Durchmesser von 3,5 Millimetern.

Der Eversense-Sensor misst den Gewebezucker in einem optischen Verfahren: Ein Indikator-Polymer im Sensor gibt umso mehr Fluoreszenzlicht ab, je höher die Glukosekonzentration im Gewebe ist. Aufgrund des Verfahrens kam es im Test in den allerersten Tagen nach Einsetzen des Sensors vereinzelt zu der Warnmeldung „zu starkes Umgebungslicht“.

Der Sensor, der vom Transmitter mit Strom versorgt wird, überträgt die Rohdaten per NFC an den Transmitter. Der wird mit einem mitgelieferten doppelseitigen Pflaster über dem Sensor auf der Haut festgeklebt, kann jederzeit abgenommen und neu angelegt werden. Spätestens nach 36 Stunden muss er aufgeladen werden, was in 10 bis 15 Minuten erledigt ist. Damit der Transmitter nach dem Laden wieder an der richtigen Stelle landet, verfügt die Eversense-App über eine Platzierungshilfe, die die Stärke des Sensorsignals visualisiert. Laut Hersteller hat der Transmitter eine Lebensdauer von zwölf Monaten.

Der Transmitter schickt die Rohdaten per Bluetooth ans Smartphone, wo die App daraus den aktuellen BZ-Wert berechnet. Falls zusätzlich eine Apple Watch genutzt wird, schickt die Smartphone-App diesen Wert auch an die Smartwatch weiter.

Vor sehr niedrigen und sehr hohen Glukosewerten warnt die App in jedem Fall. Der Anwender kann zusätzlich Kriterien für weitere Warnungen festlegen.

Um möglichst genaue Werte liefern zu können, muss ein CGM-System mehrmals täglich kalibriert werden. Der Anwender führt dazu eine klassische Messung mit Teststreifen und Blutstropfen durch. Beim Eversense XL ist das Kalibrieren zweimal am Tag notwendig, wobei 10 bis 14 Stunden zwischen den Messungen liegen sollten. So hatte ich im Test die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Kalibrierung in Grenzen selbst zu wählen und die Kontrollmessung etwa morgens zwischen 8 und 11 Uhr und abends zwischen 18 und 21 Uhr zu erledigen.

Durch Vibrieren erinnert der Transmitter daran, dass es Zeit zum Kalibrieren ist. Die Kontrollmessung sollte stattfinden, wenn die Werte stabil sind. Falls das aktuell nicht der Fall ist, zeigt die App einen Warnhinweis, andernfalls gibt man den im Blut gemessenen Wert in der Smartphone-App unter dem Menüpunkt „Kalibrierung“ ein. Falls Sensorwert und Kontrollwert zu stark differieren, fordert die App dazu auf, die Kontrollmessung zu einem späteren Zeitpunkt zu wiederholen, ansonsten orientiert sich das System an den im Blut gemessenen Wert.

Individuelles Datenmanagement

Auch die Alarmmeldungen erhält der Anwender direkt per Vibration über den Transmitter am Oberarm. Falls das Smartphone sich ausreichend nahe am Transmitter befindet, gibt die App gleichzeitig einen Warnton aus und zeigt eine Meldungen an. Die Vibrationscodes ähneln Morsesignalen – „kurz – kurz – kurz“ warnt beispielsweise vor einer drohenden Hyperglykämie. So kann der Anwender zwischen einem Alarm für zu hohe und dem für zu niedrige Glukosewerte unterscheiden, ohne dass er einen Blick auf sein Smartphone werfen muss.

Das System warnt in jedem Fall bei Werten unter 60 mg/dl und Werten über 350 mg/dl – diese Alarme lassen sich nicht deaktivieren. Weitere Warnungen sind in der Eversense-App je nach Diabetes-Therapie einstellbar; auch Voralarme und Raten-Warnungen bei zu rapidem Ansteigen oder Abfallen des BZ-Wertes sind möglich.

Die App ist übersichtlich gestaltet und zeigt neben dem aktuellen Wert und Warnhinweisen im Alarmfall auch Trends, Muster, Berichte und Auswertungen an. Sie nimmt auch Informationen zu BZ-beeinflussenden Ereignissen wie Mahlzeiten und Sport entgegen.

Alle bisher vom System gemessenen Daten liegen in der App auf dem Smartphone. Über die Ladestation, die per USB mit einem PC verbunden werden kann, lassen sie sich auch auf dem Rechner sichern. Optional können Anwender ihre Daten in der Webanwendung „Eversense DMS“ verwalten. Sie liegen dann auf Servern des Anbieters, was es Freunden, Angehörigen oder betreuenden Personen erlaubt, den Glukoseverlauf aus der Ferne per Web-Browser oder mit der separaten App „Eversense Now“ zu beobachten. Letztere ist derzeit ausschließlich für iOS erhältlich.

Fazit

Tabelle
Tabelle: Eversense XL CGM

Der geteste Sensor ist mittlerweile seit gut fünf Monaten im Einsatz und lieferte in dieser Zeit gleichbleibend genaue Werte. Echte Patzer leistet sich das Eversense-System nicht, hier und da hatte ich jedoch mit kleineren Hindernissen zu kämpfen: Trotz Nutzung der Platzierungshilfe ist es im Test vorgekommen, dass der Smart Transmitter das Sensorsignal verlor und wieder neu ausgerichtet werden musste. Gelegentlich wurde eine ordnungsgemäß durchgeführte Kalibrierung unbemerkt vom System ignoriert. Das führte dann dazu, dass das System in die sogenannte Initialisierungsphase zurückgesetzt wurde und erst mehrere Stunden später wieder Werte anzeigte.

Von diesen vereinzelten Vorkommnissen abgesehen zeigte sich das Eversense-XL-CGM zuverlässig und erwies sich im Test als sinnvolles System für das Diabetesmanagement. Den vollen Funktionsumfang können derzeit nur Anwender mit einem iPhone ausschöpfen. Die Fernüberwachungs-App „Eversense Now“ steht ebenfalls nur für iOS zur Verfügung, und wer zusätzlich eine Smartwatch verwenden möchte, ist auf die Apple Watch festgelegt. Der Hersteller sollte seine Android-App um ein Widget erweitern und eine Android-Version der Now-App herausbringen.

Insgesamt überzeugt das Eversense-XL-System mit einem Sensor, dessen Technik den sonst üblichen wöchentlichen Wechsel überflüssig macht. Anwender sparen so Zeit, Kosten, Gepäck und Müll. Da der Sensor unter der Haut liegt, kann er nicht abreißen oder verloren gehen – das schont die Nerven. Der Vibrationsalarm am Transmitter warnt auch, wenn das Smartphone gerade nicht in der Nähe ist. So kann man zum Beispiel bei einer Unterzuckerung sehr schnell folgerichtig handeln. (dwi@ct.de)