c't 19/2018
S. 132
Marktübersicht
Dualkamera-Apps
Aufmacherbild

Fotos mit Tiefgang

iOS-Apps nutzen Dualkamera-3D-Daten für entfernungsabhängige Effekte

Um Tiefenunschärfe zu simulieren, erfassen Dualkamera-Handys ein Motiv räumlich. Doch da geht noch deutlich mehr: Fürs iPhone gibt es bereits eine ganze Reihe Kamera-, Korrektur- und Filter-Apps, die kreativ mit den 3D-Daten arbeiten.

Smartphones mit zwei und mehr Kameras erfassen nicht nur die Farbwerte einer Szene, sondern auch die Lage der Objekte im Raum. Mithilfe der 3D-Daten rechnen sie fotografische Tiefenunschärfe ins Bild – ein Effekt, den die kleinen Handy-Kameras rein optisch nicht zustande bringen. Fast noch besser ist, dass sich diese Raumkoordinaten wunderbar zweckentfremden lassen, etwa um aufwendige Bildbearbeitungstechniken auf ein paar einfache Handgriffe zu reduzieren. So lassen sich damit Hinter- und Vordergrund einer Szene separat korrigieren, einfärben oder ausleuchten. Ganz ohne Freistellen und Maskieren.

Apple gewährt App-Entwicklern seit iOS 11 Zugriff auf die Tiefeninformationen, die im Porträt-Modus der Dual-Lens-iPhones 7, 8 und X anfallen, sodass Anwender mittlerweile eine ordentliche Auswahl an räumlich sehenden Kamera-, Bearbeitungs- und Filter-Apps vorfinden. Besitzer von Android-Geräten müssen bis auf Weiteres noch mit dem kreativen Potenzial leben, das die jeweiligen Hardwarehersteller vorgesehen haben, da erst das frisch veröffentlichte Android 9 ein API für die Zusatzdaten definiert. Bis Smartphone-Hersteller den Standard flächendeckend umsetzen und App-Entwickler auch für Android die neuen Möglichkeiten ausschöpfen, dürfte wohl noch etwas Zeit vergehen.

Unser kleiner Streifzug durch die Möglichkeiten der Dualkamera-Technik beschränkt sich daher auf die iOS-Plattform.

Fotos in 2,5D

Multilens-Smartphones konstruieren aus einem Motiv kein echtes 3D-Modell. Dazu fehlen Daten der Motiv-Rückseite, die sich allein aus den frontalen Kameraperspektiven nicht ableiten lassen. Stattdessen fertigen sie eine Kombination aus 2D-Pixelbild und Tiefenkarte (Depth Map) an, was eine Art Relief ergibt. Die Tiefenkarte ist ein Graustufenbild: Je heller der Wert eines Pixels, desto näher liegt der zugehörige Objektpunkt an der Kamera. Wie genau solche Tiefenkarten berechnet werden, haben wir in c’t 17/2018 erklärt [1].

In der Bordkamera des iPhone kann man zwischen Normal- und Porträt-Modus wählen. Der erste schießt nur ein Foto mit der 28-mm-Weitwinkelkamera, der zweite schaltet das 56-mm-Objektiv zu, errechnet aus dem Versatz der beiden Fotos die Tiefenkarte und zeichnet anhand dieser Daten den Hintergrund der „Tele“-Aufnahme weich. Seit iOS 11 führt Apple den Dualkamera-Output in seinem neuen HEIF-Format zusammen und gewährt auch Fremdanbietern Zugriff auf die wichtigsten Stellschrauben: die unbearbeiteten Einzelfotos, die Tiefenkarte sowie einige Parameter des Bokeh-Filters. So lassen sich Fokuspunkt und „Blendenwert“ – also die Stärke und Ausdehnung der Unschärfe – nachträglich ändern. iOS-App-Entwicklern bietet sich damit also die Möglichkeit, den kreativen Spielraum der Bordkamera zu erweitern oder eigene Bokeh- und Bearbeitungsfilter zu programmieren, die sich die Tiefenkarte als eine Art Maske zunutze machen.

Kamera-Apps

An Apps, die sich als Alternativen zur Standardkamera anbieten, herrscht unter iOS wahrlich kein Mangel. Sie werben mit mehr manuellen Einstellungen und professionellen Features wie dem Speichern im Raw-Format. Zu beachten ist allerdings, dass manche Apps nur einen eingeschränkten Dual-Modus beherrschen. Der löst zwar ebenfalls beide Kameras simultan aus und überlagert die Fotos zwecks Qualitätsverbesserung, berechnet aber im Unterschied zum Porträt-Modus weder Tiefenkarte noch Bokeh-Effekt. Der Porträt-Modus speichert Fotos übrigens nur als JPEG oder HEIF, ein Zugriff auf die Raw-Daten ist hier nicht möglich.

Die Kamera-App Halide blendet Tiefeninformationen dynamisch ins Sucherbild ein.

Die erst im vergangenen Jahr veröffentlichte App Halide ist eine sehr intuitiv bedienbare Kamera, die im Porträt-Modus bereits vor der Aufnahme Tiefeninformationen live ins Sucherbild einblendet, und zwar in zwei Varianten: Die eine markiert die Objektgrenzen fortlaufend von vorne nach hinten, die andere zeigt anstatt des Motivs eine interaktive Vorschau der Tiefenkarte. Direkt nach der Aufnahme kann man die Tiefenkarte inspizieren und den Shot gegebenenfalls wiederholen, falls die Abstände nicht korrekt geschätzt wurden.

Anschließend rechnet Halide den Bokeh-Effekt ins Bild, der so konfiguriert ist, dass das Resultat dem der Standard-Kamera-App ähnelt – Änderungen sind nicht vorgesehen. Hier ziehen die Entwickler bewusst die Grenze, weil sie den Charakter der reinen Kamera-App erhalten wollen – anders als etwa Camera+ und ProCamera, die auch Effekt- und Korrekturfilter anbieten. Da Halide sowohl die Tiefenkarte als auch das nicht-weichgezeichnete Original speichert, kann man seine kreative Ader in speziellen Bokeh- und Filter-Apps wie Darkroom oder Focos ausleben – zu Darkroom gibt es sogar eine direkte Öffnen-mit-Schnittstelle. Wer ein Foto am Rechner nachbearbeiten möchte, kann die Tiefenkarte separat als PNG exportieren und in einer ebenenfähigen Bildbearbeitung wie Photoshop oder Gimp als Maske verwenden. Halide speichert Aufnahmen auf Wunsch als Raw, sofern sie nicht im Porträt-Modus aufgenommen wurden.