c't 19/2018
S. 138
Test
Android Pie
Aufmacherbild
Bild: Google

Tortentelefon

Erste Praxiserfahrungen mit Android 9

Früher als erwartet hat Google die neue Android Version namens Pie veröffentlicht. Ein Highlight: KI soll die Nutzer bei der Bedienung unterstützen. Wir haben das und andere Neuerungen getestet.

Die größte sichtbare Änderung von Android 9 ist die neue Gestensteuerung mit der grundlegend umgestalteten Navigationsleiste. Anstelle der Buttons für zurück, Home und aktive Apps findet sich in der Mitte der Leiste nur noch ein Strich.

Wischt man von dort nach oben, öffnet sich zunächst ein Menü mit vorgeschlagenen Apps und der Vorschau der laufenden Apps. Wird der Finger weiter gezogen, gelangt man zur Übersicht aller installierten Apps. Horizontales Wischen über den Strich scrollt durch die Task-Ansicht, um schnell zwischen laufenden Apps zu wechseln. Praktisch: In der Vorschau verdecken sich die Apps nicht mehr gegenseitig, sodass man die gewünschte App schneller findet.

Bei unseren Tests hinterließ die Gestensteuerung aber ein gemischtes Fazit: Einige Nutzer hatten sich innerhalb weniger Tage daran gewöhnt und fanden die Bedienung nun flotter und intuitiver. Andere Nutzer kamen damit aber auch nicht so gut klar: Wer beim Versuch die App-Übersicht zu öffnen, nicht „energisch genug“ wischt, bleibt jedes Mal am ersten Menü mit den App-Vorschlägen und dem Task-Switcher hängen. Beim waagerechten Wischen schossen wir entweder übers Ziel hinaus oder mussten bei vielen offenen Apps zu lange den Finger gedrückt halten, bis das automatische Blättern endlich bei der gesuchten App ankam. Nervig für Nutzer alternativer Launcher: Die Gestensteuerung funktioniert derzeit nur mit dem originalen Pixel-Launcher fehlerfrei.

Drehstopp

Android Pie bringt aber auch viele kleine Änderungen, die den Umgang mit dem Smartphone definitiv erleichtern. So drehen Apps sich auf Wunsch nicht mehr direkt mit, wenn man das Handy versehentlich zur Seite kippt – beispielsweise beim Lesen auf dem Sofa oder im Bett. Stattdessen fragen sie um Erlaubnis, bevor sie in den Landscape-Modus wechseln.

Ebenfalls praktisch fanden wir, dass der virtuelle Lautstärkeregler nun hochkant eingeblendet wird und einen leichteren Wechsel zwischen den verschiedenen Audioquellen wie Wecker oder Medienwiedergabe erlaubt. Eine ebenfalls gelungene Verbesserung ist die Bildschirmlupe, die sich automatisch öffnet, sobald man einen Text markiert. Und viele Nutzer dürfte es freuen, dass man nach etlichen vorherigen Anpassungen an den Quicksetting-Icons im Benachrichtigungsmenü nun endlich wieder auf einen Blick erkennt, ob eine Funktion aus- oder eingeschaltet ist.

Gelernt ist gelernt

Schon auf der Entwicklerkonferenz Google I/O im Mai dieses Jahres wurde deutlich, dass Googles derzeitiges Lieblingsthema KI auch in der kommenden Android-Version eine Rolle spielen wird. Konkret wurde damit in Android 9 die automatische Helligkeitsanpassung versmartet. Während die Display-Helligkeit bislang nur vom Umgebungslicht abhing, soll nun auch die Nutzerpräferenz mit hineinspielen. So soll beispielsweise auf dem nächtlichen Heimweg die Maps-Karte gut erkennbar sein, das Handy nachts im Bett bei gleichem Umgebungslicht wiederum nicht blenden. Bis die KI von Android Pie die Nutzerpräferenzen hinreichend erlernt hatte, vergingen bei unserem Test mehrere Tage. Währenddessen empfanden wir das Feature extrem nervig, da wir praktisch ständig die Display-Helligkeit manuell korrigieren mussten. Nach der Lernphase funktionierte die automatische Steuerung plötzlich viel besser als das bisherige statische System, sodass der Griff zum Helligkeits-Slider fortan überflüssig war.

Eine weitere KI-Unterstützung findet sich bei Optimierung der Akku-Laufzeit – dem Dauerbrenner-Thema unter Android. Bereits mit Android 6 wurde der Doze-Modus eingeführt, der nicht genutzte Hintergrund-Apps schlafen legt und ihnen bei ausgeschaltetem Display nur selten oder überhaupt nicht erlaubt, mittels sogenannter Wakelocks das Betriebssystem aufzuwecken. Bislang arbeitete Doze nach starren Regeln. Unter Pie erkennt das Betriebssystem hingegen nach einer kurzen Lernphase, welche Apps die Nutzer wann, wo und wie häufig nutzen. Sind die wichtigen Apps einmal erkannt, schickt das System die Stromverschwender bei Nichtbenutzung schneller schlafen und gestattet ihnen seltener, das System für Routineaufgaben aufzuwecken.

Die Nebenwirkung: So lange Android die wichtigen Apps noch nicht identifiziert hat, sind zu lange Schlafphasen möglich, sodass etwa Benachrichtigungen verzögert eingeblendet werden. In unseren Tests trat das in den ersten Tagen aber nur selten und nur in einem Rahmen von wenigen Minuten auf.

Die in der obersten Reihe vorgeschlagenen Apps und Aktionen trafen in unseren Tests eher selten die Bedürfnisse des Autors.

Dafür sorgte die Funktion „Lernender Akku“ vom ersten Tag an für eine spürbare Verlängerung der Laufzeit: Während unser Pixel 2 unter Android 8 mit einer Ladung durchschnittlich 30 Stunden durchhielt, stieg der Wert unter Android 9 auf 38 Stunden. Weitere Kollegen mit einem Pixel 2 XL und einem Pixel 1 XL erlebten ebenfalls Steigerungen. Dennoch hängt der Erfolg stark von der Nutzung des Smartphones ab: Strom wird nur bei ausgeschaltetem Display gespart. Videos und Spiele saugen den Akku genauso schnell leer wie bisher.

Bei einer Restladung von 15 Prozent aktiviert sich wie bisher der Stromsparmodus. Diesem hat Google offenbar ein wenig die Flügel gestutzt: So färbt er nicht mehr die Benachrichtigungs- und Navigationsleiste in aufdringlichem Rot, sondern nur noch dezent das Akku-Symbol. Während unter Android 8 die Prozessorleistung so stark gedrosselt wurde, dass einfachste Animationen ruckelten oder abgeschaltet wurden, lief unser Pixel 2 nun auch im Sparmodus flüssig.

Weniger überzeugt hat uns die KI in der App-Übersicht. Die Idee: Am oberen Rand der App-Übersicht (und unten bei der Task-Switch-Geste) werden nicht wie bisher die zuletzt oder am häufigsten genutzten Apps angepinnt. Stattdessen soll das Betriebssystem lernen, welche App man in welcher Situation benutzen möchte. In unserem zweiwöchigen Test stellte sich aber Ernüchterung ein: Meistens schlug Android vor, mehr oder weniger enge Kontakte anzurufen oder ihnen eine Chat-Nachricht zu schreiben. Nach einigen Tagen wurde uns morgens und abends die Routenführung ins Büro und nach Hause angeboten – dasselbe schlägt aber Google-Assistant-Stream (ehemals Google Now) sowieso vor. Ebenfalls verwirrend: Schaltet man die App-Aktionen ein, passiert zunächst überhaupt nichts, weil das System erst nach der ersten Lernphase beginnt, die Schaltflächen einzublenden.

Unabhängig davon empfanden wir den Ort für die vorgeschlagenen App-Aktionen ungünstig gewählt, weil man in jedem Fall selbst aktiv werden und die App-Übersicht per Wischgeste öffnen muss, um zu schauen, ob dort praktische Vorschläge warten. Ein reservierter Bereich im Dock, ein Widget oder ein dynamisch gefüllter Ordner auf dem Homescreen wären bessere Alternativen gewesen.

Ein weiteres Feature, das den Nutzern den Alltag erleichtern soll, heißt Slices und wurde noch nicht fertig: Wer bislang die Suchleiste auf dem Homescreen nutzt, bekommt dort Apps und Suchtreffer aus dem Web eingeblendet. Die Slices erlauben es, dass Apps dort eigene Funktionen einblenden. Sucht man beispielsweise nach einem Ort, blendet Maps die Route ein oder Google Photos Bilder des Ortes aus der eigenen Galerie. Die Slices will Google im Herbst nachreichen.

Maßhalten

Ebenfalls nur so halb in Android 9 hineingerutscht ist die Funktion „Digital Wellbeing“. Sie soll den Nutzern als Werkzeug dienen, das eigene Handy- und App-Nutzungsverhalten zu analysieren und, um drohender Abhängigkeit vorzubeugen, auch zu reglementieren. Bislang lässt sich Digital Wellbeing nicht ohne Weiteres nutzen. Google erlaubt derzeit lediglich Besitzern eines Pixel-Smartphones die Registrierung für einen Beta-Test. Kurz darauf erhielten wir eine Mail mit einem Freischalt-Link. Wem das zu kompliziert ist, der lädt die App bei seriösen APK-Hostern wie apkmirror.com herunter und installiert sie von Hand.

Die Android-Chefentwickler Dave Burke (rechts) und Sameer Samat erläutern im Gespräch mit c’t die neuen Funktionen von Android 9.

Digital Wellbeing taucht nach der Installation nicht in der App-Übersicht auf, sondern in den Android-Einstellungen. Auf seiner Startseite visualisiert ein Tortendiagramm, welche Apps man wie lange genutzt hat, wie oft man das Smartphone entsperrt hat und wie viele Benachrichtigungen eingegangen sind. Auf Wunsch lässt sich zusätzlich für jede App im zeitlichen Verlauf anzeigen, wie oft man sie gestartet hat und wie lange sie lief.

Wer sich zur sparsamen Handy-Nutzung erziehen will, belegt einzelne Apps mit einem Timer für die maximale tägliche Nutzungsdauer. Fünf Minuten vor dessen Ablauf erfolgt die erste Warnung in Form einer Benachrichtigung, eine Minute davor die zweite. Danach beendet Android die App ohne weitere Rückfragen – ärgerlich, wenn man beispielsweise gerade eine Nachricht verfasst, aber noch nicht abgeschickt hatte. Ist der Tagessaldo einer App abgelaufen, graut Android das App-Icon aus und die App lässt sich bis Mitternacht nicht mehr starten. Für Nutzer, die sich abends schwer vom Smartphone trennen können, bietet Digital Wellbeing die Funktion „Winddown“, die nachts zu gewünschten Zeiten den Bildschirminhalt nur noch in Schwarz-Weiß darstellt, was die Nutzung möglichst unattraktiv machen soll.

Die Statistiken von Digital Wellbeing empfanden wir praktisch und teilweise auch alarmierend. Gegen echte Smartphone-Sucht wird Digital Wellbeing aber wohl kaum helfen: Wer eine App über den festgelegten Zeitraum hinaus nutzen will, schaltet die Funktion halt einfach ab. Über den schmalen Grat zwischen Hilfe und Bevormundung durch das Betriebssystem sind sich die Android-Macher bewusst, wie der Android-Entwicklungsleiter Dave Burke uns im Gespräch auf der Google I/O mitteilte. Demnach stand unter anderem auch zur Debatte, dass Android die Apps nicht beendet und ausgraut, sondern nur auf die überschrittene Nutzungsdauer hinweist. Es bleibt also abzuwarten, ob Google während der Betaphase noch Anpassungen an der Härte der Restriktionen vornimmt oder das Feature bald so für alle Nutzer freigibt.

Aber sicher

Unter der Haube gab es einige Änderungen, die die Datensicherheit und die Privatsphäre der Nutzer besser schützen sollen. Unter anderem beherrscht Android 9 nun DNS over TLS, was beispielsweise beim Aufruf einer Webseite oder wenn Apps Daten aus dem Internet laden notwendigen DNS-Anfragen und -Antworten überträgt Android verschlüsselt. In offenen WLANs können Lauscher deshalb keine Informationen mehr mitschneiden, die auf das Nutzerverhalten Rückschlüsse erlauben. Zudem wird es schwieriger, eine Verbindung zu manipulieren. Für die Verschlüsselung kommt Transport Layer Security (TLS) zum Einsatz, wie man es von der HTTPS-Transportverschlüsselung von Webseiten kennt.

Ebenfalls neu ist die Verschlüsselung von App-Backups. Auf Wunsch speichert Android schon länger die Einstellungen von Apps in der Cloud, um den Umzug oder die Neueinrichtung auf ein neues Smartphone zu erleichtern – zumindest sofern die Entwickler der jeweiligen App dieses Feature unterstützen. In Android 9 ist es nun möglich, die Backups verschlüsselt auf Googles Server zu speichern. Den privaten Schlüssel erzeugt das Mobilgerät, auf dem das Backup angelegt wird. Will man es später auf einem anderen Gerät wiederherstellen, muss dafür das ursprüngliche Entsperrmuster oder die PIN eingegeben werden.

Auf den zweiten Blick

Eine weitere und nicht bei jedem beliebte UI-Änderung ist die Anzeige der Uhrzeit auf der linken Seite der Statusleiste. Bisher galt: Statuselemente wie Uhr, WLAN-Empfang et cetera sitzen rechts, und links landen die Benachrichtigungen. Grund für die Änderung dürfte sein, dass Android den Platz der Leiste nun effektiver ausfüllen muss, denn Android Pie bringt ein API für die Nutzung von Displays mit Einkerbungen (Notch). So werden die Notification-Icons links oder rechts der Einkerbung platziert. Wird es zu voll, bündelt Android sie, so wie man es von den Benachrichtigungen in der Windows-Taskleiste neben der Uhr bereits kennt. Bei Vollbildanwendungen wie der Videowiedergabe füllt das Betriebssystem die Bereiche neben der Einkerbung schwarz auf.

Ist die Nutzungszeit einer App aufgebraucht, beendet Android diese und erlaubt erst am Folgetag wieder die Nutzung.

Zudem versteht Android 9 sich nun auf Wifi-RTT (Wi-Fi Round Trip Time). Es misst damit die Distanz zu nahegelegenen Access Points (AP). Aus den Abständen zu mindestens drei APs lässt sich der Standort des Smartphones auf ein bis zwei Meter genau festlegen. Damit sollen Apps künftig eine exakte Indoor-Navigation erlauben – beispielsweise Apps für Blinde oder für die Suche nach Produkten in Supermärkten. Ein Einloggen auf Access Points ist dafür nicht nötig, zudem erhalten nur die Smartphones und nicht die APs die Entfernungsdaten, damit Nutzer nicht getrackt werden.

Fazit

In Android Pie finden sich viele kleine Detailverbesserungen, die den Umgang mit dem Smartphone erleichtern. Die größeren optischen und bedienkonzeptionellen Änderungen sind ebenfalls praktisch, aber immer auch eine Frage der Gewöhnung und des persönlichen Geschmacks.

Hier lässt Google seinen Nutzern die Wahl, ob sie die Funktionen nutzen wollen oder nicht. Gleiches gilt für Digital Wellbeing, das den richtigen Ansatz verfolgt, hier und da aber noch einen Feinschliff benötigt.

Das Gefühl, dass Android in der neunten Version ausentwickelt sei, kommt dennoch nicht auf: Pie ist die erste Android-Version, in die künstliche Intelligenz Einzug gehalten hat. Abgesehen von den App-Vorschlägen klappt das auch ganz gut. Mittlerweile ist sogar ein Tensor-Flow-API verfügbar, das in kleinerem Umfang Machine Learning lokal auf dem Smartphone ermöglicht. Da Google das Thema KI auch abseits von Android massiv vorantreibt, sind weitere KI-Elemente für Android 10 wahrscheinlich. (spo@ct.de)