c't 14/2018
S. 102
Test
Bikesharing
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Im Radrausch

Bikesharing im Test: Umweltengel oder Datendiebe?

Sie heißen Mobike, Obike oder Mofo – knallbunte Leihfahrräder, die gefühlt über Nacht in vielen Städten aufgetaucht sind. Nicht nur die viele Technik in den Rädern ruft Datenschützer auf den Plan: Verdienen die Unternehmen womöglich gar kein Geld mit dem Fahrradverleih, sondern mit dem Verkauf unserer Daten?

Sie sind so polarisierend wie bunt, die abertausenden Leihfahrräder, die seit einigen Monaten in vielen Städten herumstehen. Während die einen in den Rädern moderne Mobilitäts-Heilsbringer sehen, stören sich die anderen daran, dass die Dinger den Gehweg versperren oder rostend im Gebüsch liegen. Wieder andere haben vor allem Angst um ihre Daten. Sie befürchten, dass die Firmen womöglich gar nicht mit dem – für Kunden spottbilligen – Radverleih Geld verdienen, sondern mit dem Verkauf von persönlichen Informationen.

Sage und schreibe acht dieser Bikesharing-Unternehmen sind zurzeit in Berlin aktiv, in Frankfurt sind es vier, in München drei. Getestet haben wir die Räder und das Ausleihprozedere von Byke, Call a Bike/Lidl, Nextbike (alle drei aus Deutschland), Donkey Republic (Dänemark), Ofo, Mobike (beide China) und Obike (Singapur). Den Anbieter Lime haben wir nicht berücksichtigt, weil er ausschließlich Elektroräder verleiht. Bei den sieben getesteten Anbietern kosten 30 Minuten Radfahren zwischen 50 Cent und 1,25 Euro.

Der neue Leihrad-Boom wirft vor allem eine Frage auf: Warum gerade jetzt? Schließlich ist das Prinzip ein alter Hut. Call a Bike von der Deutschen Bahn gibt es seit 18 Jahren, Konkurrent Nextbike ist seit 2004 in Deutschland aktiv. Allerdings arbeiten beide Firmen in den meisten Städten stationsgebunden, man kann die Räder also nur an bestimmten Orten ausleihen und abstellen. Ähnliche Konzepte sind seit Jahren in großen Städten wie New York, London und Paris etabliert. Ähnlich funktionieren virtuelle Stationen: Hier darf das Fahrrad nur in bestimmten Bereichen abgestellt werden, die allerdings nicht mit Schildern oder Ähnlichem gekennzeichnet sind – man kann die Stationen nur in der App sehen.

Video: Radeln mit Renate

Die neuen Anbieter nutzen dagegen das sogenannte „Free Floating“-Modell, bei dem die Fahrräder innerhalb eines bestimmten Gebiets – beispielsweise dem S-Bahn-Ring in Berlin – frei verwendet werden können, solange man sie in öffentlich zugänglichen Bereichen abstellt.

Freies Fließen

Jimmy Cliff vom chinesischen Anbieter Mobike legt Wert darauf, sich mit dem Free Floating von der Konkurrenz abzuheben: „Wir haben ein komplett anderes Geschäftsmodell als die stationsgebundenen Anbieter.“ Schon mit seinem Äußeren setzt der Mobike-Deutschlandchef Akzente: Zum Interview lädt er in kurzer Hose, im hippen Café in Berlin-Neukölln bestellt er kalten Filterkaffee.

Mobike-Deutschlandchef Jimmy Cliff setzt auf Fahrräder, die der Kunde überall abstellen darf.

Zuerst einmal seien die Räder bei Mobike ganz anders als bei den Mitbewerbern, sagt Cliff. Statt konventioneller Trekkingräder kämen hier selbst entwickelte High-Tech-Bikes zum Einsatz – die unter anderem mit Felgen aus einer Magnesium-Legierung auf maximale Robustheit getrimmt sind. „Da kann man mit einem Lkw drüberfahren“, verspricht Cliff. Das Unternehmen rechnet mit einer vierjährigen Einsatzzeit komplett ohne Mechaniker-Eingriff. Das ist ambitioniert – und wirkt sich nicht sonderlich positiv auf den Fahrkomfort aus: Die fünf starren Speichen der ersten Mobike-Generation dämpfen weniger als konventionelle Stahlspeichen, die Vollgummi-Reifen rollen deutlich schwerer als Luftbereifung. Zudem gibt es bei einigen Mobike-Varianten nicht einmal eine Gangschaltung, bei einigen zumindest eine Drei-Gang-Nabe. Im Rahmen steckt dafür ordentlich Hightech: Das eingebaute Funkmodul Qualcomm MDM9206 unterstützt nicht nur alle vier weltweiten Standort-Satellitendienste, sondern auch den energiesparenden LTE-Cat-M1-Standard.

Der größte Unterschied zu konventionellen Rädern ist aber die völlig andere Nutzung bei Free-Floating-Anbietern: Ist man an seinem Zielort, stellt man das Rad ab – und muss nicht mehr drüber nachdenken. Mit einem eigenen oder stationsgebundenen Fahrrad muss man dagegen überlegen, wo man es sicher deponiert.

Mit den Free-Floating-Rädern soll man keine stundenlangen Touren machen, sondern nur die vielzitierte letzte Meile bezwingen, also zum Beispiel den Weg von der Wohnung zur S-Bahn-Haltestelle – statt zu Fuß zu gehen (anstrengend) oder den Bus zu nehmen (nervig). Tatsächlich haben wir im Praxistest häufig Situationen erlebt, die mit einem eigenen Fahrrad nicht so elegant geklappt hätten, beispielsweise wenn man sich abends mit jemandem trifft, der oder die nur zu Fuß unterwegs ist – normalerweise müsste man jetzt schieben, ein Free-Floating-Bike lässt man einfach stehen. Das Konzept gehe zumindest in Asien bereits auf, so Cliff: In mehreren chinesischen Städten erwirtschafte Mobike bereits Gewinne.

Zum Kasten: Böses im Kleingedruckten: Die AGB im Vergleich

Das Konzept funktioniert jedoch nur dann wie geplant, wenn wirklich immer ein Rad zur Stelle ist. Um das sicherzustellen, können die Anbieter nicht einfach darauf vertrauen, dass sich Räder optimal automatisch verteilen. Sie versprechen, dass sie bei der Verteilung eingreifen. Gesehen haben wir solche Transporte, anders als etwa beim Velib-System in Paris, allerdings bislang nicht.

Ein Rad für 69 Euro

Was die neuen Anbieter ebenfalls von den deutschen Traditions-Verleihern unterscheidet: Sie funktionieren ausschließlich mit Smartphone-Apps, während man Nextbike oder Call a Bike (der Name sagt es schon) auch übers Telefon oder mit an den Stellplätzen installierten Terminals ausleihen kann. Die Apps der Newcomer sind obendrein extrem einfach zu bedienen – einmal auf die „Ausleihen“-Schaltfläche tippen, QR-Code abfotografieren und klack, öffnet sich das Schloss. Bei den meisten Anbietern klappt das durch die Mobilfunkverbindung der Fahrräder. Bei Obike fehlen GPS und SIM-Karte im Rad, hier kommuniziert das Schloss lediglich per Bluetooth mit dem Smartphone. Das führt dazu, dass die Standorte der Räder in der App sehr häufig völlig falsch erfasst sind.

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