c't 5/2017
S. 110
Hintergrund
Schlauer telefonieren per App
Aufmacherbild

Sehr verbunden

Telefonieren ohne Rufnummer

Viele Smartphone-Nutzer telefonieren kaum noch per Festnetz oder Mobilfunk. Stattdessen schreiben sie lieber eine WhatsApp-Nachricht oder chatten mit anderen Instant-Messengern. Und neuerdings telefonieren sie sogar per WhatsApp & Co. Das liegt nicht nur daran, weil es so bequem ist: Viele Apps liefern bessere Sprachqualität und verschlüsseln.

Das Kommunikationsverhalten der Smartphone-Nutzer hat sich innerhalb weniger Jahre drastisch gewandelt – in Ländern, in denen die Smartphones vorherrschen, gehen die Umsätze mit Telefonaten zurück.

Dabei nimmt der Mitteilungsdrang keineswegs ab – er wird nur anders kanalisiert, vor allem schriftlich. Die britische Regulierungsbehörde Ofcom führt in ihrem International Communications Market Report auf, dass 66 Prozent der in Deutschland befragten Smartphone-Nutzer wöchentlich mindestens einmal per Smartphone chatten [1]. Aber auch Telefonieren abseits der klassischen Kanäle nimmt zu: 16 Prozent der Befragten nutzen Voice over IP mindestens einmal wöchentlich (siehe Grafik „Smartphone-Aktivität“ auf S. 112).

Smartphone-Aktivitäten

Nicht ermittelt hat die Ofcom, ob die Nutzer IP-Telefonie-Dienste direkt starten oder nur mittelbar als Fortsetzung eines Chats – denn wer komplexe Dinge lieber sagen anstatt mühsam tippen will, kann seinen Kontakt direkt aus dem Messenger heraus anrufen. Dafür genügen wenige Fingertipps.

Ausgehendes Gesprächsvolumen Fest- und Mobilnetz in UK

Deshalb gehen wir der Frage nach, welche Vor- und Nachteile die Apps haben, die sich anschicken, das herkömmliche Telefon zu verdrängen. Wir haben dazu die Telefonie-Module der Messenger Facebook, Hangouts, Signal, Skype, Viber, WhatsApp und Wire geprüft und zusätzlich Apples FaceTime, weil es auf jedem modernen iPhone ab Werk eingerichtet ist. Die Ergebnisse finden Sie ab Seite 114. Aktuelle Messenger haben wir bereits vor einigen Ausgaben ausführlich getestet, aber hauptsächlich mit Blick auf deren Chat-Eigenschaften [2].

Zwar sind die Telefonie-Anwendungen inkompatibel zueinander (so wie die Chat-Module der Messenger), aber andererseits installiert man einfach eine Handvoll Messenger auf dem Smartphone, um so alle wichtigen Kontakte zu erreichen. Schließlich belegen die Apps nur wenig Speicher und manche sind so gut mit dem Betriebssystem und dem Adressbuch verknüpft, dass sie genauso einfach wie die vorinstallierte Telefonie-App zu bedienen sind.

Mit diesem Komfort können weder klassische Tischtelefone noch DECT-Schnurlosgeräte mithalten, obschon sie zuverlässiger sind und DECT leicht ein Mehrfaches der WLAN-Reichweite von Smartphones erzielt. Auch VoIP-Programme wie Linphone, die das Smartphone mit einer Festnetznummer koppeln, fallen gegen die Messenger-Apps zurück; ihnen fehlt in der Regel die Verschlüsselung und Ankopplung an verbreitete Messenger.

Video: Nachgehakt

HD-Audio im Handumdrehen

Zudem lässt die Festnetz-Telefonie in puncto Sprachqualität zu wünschen übrig: Zwar eignet sie sich auch für die Übertragung von Audio-Signalen in hoher Qualität, sodass Gesprächspartner sehr präsent klingen (HD-Telefonie, 7 kHz Signalbreite gegenüber 3,1 kHz bei herkömmlicher Telefonie). Aber Geräte mit dem erforderlichen Sprach-Codec G.722 hat nicht jeder Teilnehmer und zwischen den Betreibernetzen fehlen Gateways für die Vermittlung der HD-Telefonie.

Festnetzanschlüsse und Nutzung 2016

Mit Skype, Wire oder Viber geht Telefonieren in hoher Qualität einfach: Egal, welche App man nimmt – sobald die Leitung schnell genug ist, wird sie auch für die HD-Telefonie genutzt. Dafür sind keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Konfigurationen einzustellen. Manche der in den Messengern eingebauten Telefonie-Module bringen ein ordentlich klingendes Sprachsignal in nur 30 kBit/s unter (siehe S. 114). Ein Übriges tun die bei vielen Smartphones mitgelieferten Headsets, die die hohe Signalgüte von Breitband-Audio-Codecs ausschöpfen.

Die Mobilfunktechnik ist für die HD-Telefonie etwas besser aufgestellt. Dort hat sich der AMR-WB-Codec durchgesetzt. Der liefert ähnliche Signalgüte wie G.722, ist aber mit diesem nicht kompatibel. Und die moderne, IP-basierte Telefonie in 4G-Netzen namens VoLTE (Voice over LTE), die HD-Qualität auf Basis des AMR-WB-Codecs einschließt, gibt es nur auf jüngeren Smartphones. Der Großteil der bisher verkauften Geräte muss für ein rufnummernbasiertes Telefonat aus dem LTE raus ins UMTS.

Knabbern am Inklusiv-Volumen

Zwar liegt es auf den ersten Blick nicht nahe, per WhatsApp und Co. über UMTS- oder LTE-Verbindungen zu telefonieren, weil sie zusätzlich zu regulären Internet-Diensten am monatlichen Datenvolumen knabbern. Aber im Telefonie-Test hinterließen die Messenger einen genügsamen Eindruck. In unserem Test hat Skype im Durchschnitt 63 kBit/s gesendet und bei der Übertragung einer Testdatei kamen 971 kByte zusammen. Andere Testkandidaten waren sogar noch sparsamer.

Wer solche Apps öfter verwenden will, etwa weil sie verschlüsseln, sollte dennoch auf einen Tarif mit ausreichend Inklusiv-Volumen achten; 1 GByte pro Monat sollte es schon sein. Einige Apps, darunter FaceTime, halten das Übertragungsvolumen und die Dauer der einzelnen Gespräche in Anrufprotokollen fest, sodass man sich leicht einen Eindruck vom Datenvolumenverbrauch verschaffen kann. Genauere Angaben liefern die Netzbetreiber mit zugehörigen Datenverbrauch-Apps, beispielsweise MagentaService der Deutschen Telekom.

Wenn man vermeiden will, unterwegs über einen der Messenger angerufen zu werden, muss man für die betreffende App den Zugriff auf die Mobilfunkschnittstelle sperren. Damit blockiert man in der Regel aber auch den Messenger-Dienst.

Auf Apples iOS sind Messenger und Telefonie-App getrennt, sodass man FaceTime im Mobilfunk ohne Nachteile blocken kann. Diese Einstellung finden Sie im Bereich „Einstellungen“, „Mobiles Netz“, „Mobile Daten verwenden“. Zusätzlich lässt sich FaceTime auf iOS komplett abschalten (in den Einstellungen im Bereich FaceTime). Auf Android kann man die Mobilfunknutzung im Bereich „Datennutzung durch Apps“ unterbinden. Schalten Sie dazu die Option „Hintergrunddaten“ ab.

Zu beachten ist, dass die Betreiber nicht Byte-genau abrechnen, sondern auf 10 oder 100 kByte aufrunden. In welchen Schritten bei Ihrem Tarif abgerechnet wird, finden Sie in den zugehörigen AGB. Beispielsweise rundet die Deutsche Telekom den Volumenverbrauch in 100-kByte-Schritten auf, wenn man sich aus dem Mobilfunknetz ausbucht. Häufige Umbuchungen ins WLAN wirken sich also negativ aus. Bei beispielsweise 20 Netzwechseln pro Tag kommen pro Monat schon mal 30 MByte Verschnitt zusammen.

Ist das Smartphone nur per EDGE-Technik im Internet eingebucht, sollte man die Messenger nicht für Telefonie verwenden, denn die Signallaufzeiten können zu lang werden, sodass man sich ins Wort fällt und beim Zellenwechsel (Handover) reißt die IP-Verbindung ab. Beim klassischen Mobilfunkanruf sind die Signallaufzeiten deutlich kürzer und bei Sprachübertragungen klappt das Handover reibungslos. (dz@ct.de)