c't 1/2017
S. 72
Hintergrund
Digital abgestempelt: Scoring
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Automatisierter Marktwert

Wie Rating-Unternehmen den Menschen per Score vermessen

Im Massenkundengeschäft müssen Entscheidungen schnell getroffen werden: Wer bekommt Kredit, wer wird auf Rechnung beliefert? Aber auch Dinge, die das ganze Leben entscheiden, könnten künftig von einem Score abhängen, beispielsweise der Arbeitsplatz oder die Wohnung.

Adriana W. könnte die Traumkreditnehmerin für jede Bank sein: Die Mittvierzigerin hat einen festen, gut bezahlten Job, ihr Häuschen zu zwei Dritteln abbezahlt, ein prall gefülltes Sparkonto und einen Lebensgefährten, der wie sie sehr gut verdient. Trotzdem hat sie eine beantragte Kreditkarte nicht bekommen. Warum der Bank das Risiko zu hoch erschien, erfuhr sie auch auf mehrfache Anfrage nicht.

Der Fall von Adriana W. ist Alltag. Das Kreditgeschäft ist ein Massengeschäft. Wer einen Null-Prozent-Kredit für eine Anschaffung haben will, ein Kreditlimit fürs Girokonto einrichten oder erhöhen will, einen Mobilfunkvertrag abschließen möchte oder eine Kreditkarte beantragt, wird stets automatisch durchleuchtet. Zwar ist gesetzlich vorgeschrieben, dass negative Entscheidungen nicht automatisch alleine aufgrund eines Score-Werts ergehen dürfen, in der Praxis ist es für Betroffene aber schwierig, Gehör zu finden. Die Entscheidungen von Kreditgebern bleiben intransparent.

Längst geht es nicht mehr nur darum, schlechte Schuldner herauszufiltern, die schon auffällig geworden sind. Eine Ablehnung erhält schon, wer nach Ansicht des Scoring-Unternehmens möglicherweise künftig irgendwann einmal seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen wird. Obwohl das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Diskriminierungen aufgrund des Alters verbietet, vergeben Banken beispielsweise keine Kredite mit langer Laufzeit mehr an ältere Menschen. Als Renter können sie ihren Verpflichtungen ja womöglich nicht mehr nachkommen, oder sie sterben, bevor der Kredit getilgt ist.