c't 3/2016
S. 90
Hintergrund
Elektroschrott
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Die Schrott-Rebellen

Online-Händler proben Aufstand gegen neues Elektroschrott-Gesetz

In Deutschland müssen Händler bald Elektroschrott zurücknehmen, im Ausland müssen sie hohe Recycling-Gebühren zahlen. Doch viele werden die Pflichten umgehen oder schlicht ignorieren.

Wer in Deutschland Elektronik verkaufen will, muss sich mit mehr auskennen als mit Volt und Ampere. Selbst für simple Produkte wie Handy-Ladegeräte gelten zahlreiche komplexe Gesetze. Zum Beispiel regelt das EMVG die elektromagnetische Verträglichkeit, das EVPG den Stromverbrauch, das ProdSG die Sicherheit, die REACH-Verordnung die Weichmacher im Plastik und das ElektroG das Recycling.

Viele Händler durchblicken den Normendschungel schon lange nicht mehr. Nun werden die Regeln nochmal komplizierter – und ihre Umsetzung wird noch teurer. Das frisch novellierte ElektroG zwingt ab dem 24. Juli einen großen Teil der deutschen Händler, Elektroschrott anzunehmen, und zwar nicht nur von den eigenen Kunden. Dabei gelten strenge Sicherheitsregeln, denn rechtlich gesehen ist E-Schrott gefährlicher Abfall.

Außerdem muss jeder Händler, der in andere EU-Länder liefert, in jedem einzelnen Land eine Niederlassung gründen oder einen Bevollmächtigten beauftragen sowie Recycling-Gebühren zahlen. Das ergibt sich aus der WEEE-Richtlinie der EU und den daraus abgeleiteten nationalen Gesetzen wie dem ElektroG.

Dass Unternehmen und ihre Verbände über schärfere Regeln jammern, ist normal. In diesem Fall sind die Proteste aber außergewöhnlich schrill: Von c’t befragte Händler sprechen von „Monster-Bürokratie“, „EU-Missgeburt“ oder schlicht „Schwachsinn“. Einige sagen sogar, dass sie die Gesetze einfach ignorieren oder durch Tricks umgehen wollen.

Viele andere Händler wiederum ahnen noch gar nichts von ihren Pflichten. Das liegt daran, dass die Behörden bislang kaum Öffentlichkeitsarbeit gemacht haben. Aber auch daran, dass das ElektroG arg schwammig geraten ist.

Wer muss Schrott annehmen, wer nicht?

Bislang müssen nur die Sammelstellen der Kommunen Elektroschrott von Privatleuten annehmen. Doch vielen Menschen ist der Weg zu den Wertstoffhöfen zu weit, also landet viel Schrott im Hausmüll oder vergammelt im Keller. Deshalb verpflichtet das ElektroG bald auch Händler zur Annahme.

Zum Kasten: Die Neuerungen für Verbraucher

Es verwirrt allerdings bei der Frage, welche Händler genau gemeint sind und welche nicht. Bei Ladengeschäften sind es diejenigen mit mindestens 400 Quadratmetern „Verkaufsfläche für Elektro- und Elektronikgeräte“, heißt es in § 17. Bei Online-Händlern sind es 400 Quadratmeter „Lager- und Versandfläche“. Aber geht es um die Grundfläche oder die Regalfläche?

Die Gesetzesbegründung stellt nur klar, dass bei Ladengeschäften die Grundfläche gemeint ist. Online-Händler werden dort nicht erwähnt. Deshalb gehen viele von ihnen davon aus, dass es bei ihnen ebenfalls auf die Grundfläche ankommt. Der Rostocker Rechtsanwalt und eCommerce-Experte Johannes Richard sieht das genauso: „Eine Unterscheidung zwischen Online-Händlern und stationären Geschäftsbetreibern kann ich der Gesetzesbegründung, die für mich als Jurist wesentlich ist, nicht entnehmen.“

Die Beamten im Bundesumweltministerium interpretieren das Gesetz auf Anfrage jedoch anders: Die im Gesetz genannte Lagerfläche beziehe sich bei Online-Händlern auf die Regalfläche. Eine 100 Quadratmeter große Lagerhalle mit 4 Regal-Etagen hat also 400 Quadratmeter Lagerfläche. Viele mittelgroße Online-Händler, die bisher dachten, sie sind fein raus, müssten sich nun also beeilen, ihr Rücknahmesystem einzurichten.

Der Aufwand dafür ist groß. Die Firmen müssten Dienstleister bezahlen, die den gefährlichen Schrott bundesweit sammeln, in „zumutbarer Entfernung“ zum Verbraucher – zum Beispiel an Tankstellen. Oder sie müssten ihn per Post selbst in Empfang nehmen und dafür komplett neue Prozesse entwickeln, Mitarbeiter schulen und sichere Lagermöglichkeiten schaffen. „Der Händler wird zum Schrotthändler gemacht“, sagt Oliver Prothmann, Präsident des Bundesverbands Onlinehandel (BVOH). Er schätzt, dass rund ein Drittel der Verkäufer die Auflage erst einmal ignorieren wird.

Das ElektroG sieht zwar keine Bußgelder für Schrott-Verweigerer vor. Doch die Rebellen riskieren, von anderen Händlern abgemahnt zu werden. Sie gehen also durchaus ein Risiko ein. Ein Verkäufer von PC-Zubehör erklärt im Gespräch mit c’t, notfalls werde er „ein Außenlager in der Nachbarschaft reaktivieren“, um die Pflicht zu umgehen. Damit wäre er auf der sicheren Seite, denn die 400-Quadratmeter-Grenze gilt für jeden einzelnen Standort, nicht für alle zusammen.

Fünfstellige Gebühren für den Verkauf in allen EU-Ländern

Die zweite neue Regel trifft alle Online-Händler, unabhängig von ihrer Größe. Der neuen WEEE-Richtlinie zufolge sind sie in jedem EU-Land, in das sie liefern, automatisch „Hersteller“. Das bedeutet: Sie müssen sich bei den nationalen Recycling-Systemen anmelden und Gebühren zahlen. Das geht nicht vom Heimatland aus – jeder Händler muss in jedem einzelnen Zielland eine Niederlassung gründen oder einen Bevollmächtigten benennen.

In jedem Land treffen die Händler auf unterschiedliche Behörden, Dienstleister, Verfahren, Fristen und Gebühren. Und die Gebühren sind nicht gerade niedrig: Eine Händlerin berichtet auf der BVOH-Webseite von „40 000 Euro Registrierungsgebühren“, bevor sie ihre Produkte in allen 28 EU-Ländern anbieten dürfe. „Das ist der Sargnagel für den Verkauf auf internationalen Märkten durch kleine und mittlere Händler“, meint BVOH-Präsident Prothmann.

Recycling-Experten halten 40 000 Euro für zu hoch gegriffen, nennen aber ebenfalls fünfstellige Beträge. Der Non-Profit-Anbieter WEEE Europe schätzt einen Betrag von „unter 30 000 Euro“ für Registrierung und Bevollmächtigte sowie Dienstleister, die alles organisieren. „Für fünf Geräte pro Jahr in einem Land lohnt sich der Aufwand nicht“, sagt WEEE-Europe-Chef Christian Ludwig.

Die meisten ,Online-Händler müssen sich also auf ihr Heimatland plus vielleicht einige große EU-Länder beschränken – theoretisch. In der Praxis werden viele sich wohl einfach nicht registrieren. „Das Ganze ist einfach nur Blödsinn. Um ehrlich zu sein, es wird sich schlicht keiner darum scheren“, sagt ein Betreiber eines großen Online-Shops gegenüber c’t. „Wir sind so ziemlich die einzigen Deppen, die in Deutschland registriert sind. Wir werden diesen Fehler nicht multiplizieren und in jedem EU-Land wiederholen.“

Letztlich würden nur seine chinesischen Konkurrenten profitieren, wenn er sich an solche Regeln hielte, erklärt er. „Die liefern direkt aus China oder über Fulfillment-Anbieter und fühlen sich sowieso an keinerlei Gesetze gebunden.“ (cwo@ct.de)