c't 14/2016
S. 128
Hintergrund
360-Grad-Videos

Klotzen statt kleckern

Wie Profis 360-Grad-Videos produzieren

In unserem 360-Grad-Kamera-Vergleichstest haben wir uns auf Consumer-Modelle unter 1000 Euro konzentriert. Professionelle Videoproduzenten arbeiten dagegen mit Geräten aus ganz anderen Preis-Sphären.

Man kann für eine 360°-Kamera auch so viel ausgeben wie für ein Auto: Die Nokia-360-Grad-Kamera Ozo kostet 55 000 Euro. Dafür filmt die Kugelkamera aber auch mit acht Sensoren (jeweils mit 2K × 2K-Auflösung) und kann in 3D aufzeichnen.

In dem von Google und GoPro entwickelten Odyssey-Rig stecken sogar 16 Kameras (GoPro Hero 4 Black), das Set kostet knapp 13 500 Euro. Etwas günstiger wird es mit dem gerade erst von GoPro vorgestellten 360-Grad-Set Omni: Rund 5500 Euro muss man für das mit sechs Hero-4-Black-Kameras bestückten Set bezahlen.

360-Grad-Filmproduzent Nicolas Chibac hat bereits mehrere Kameradrohnen gebaut. Eine deutlich kleinere Version soll später auch verkauft werden.

Das Omni-Set ist sozusagen die „offizielle“ Version eines Kameraaufbaus, mit dem schon seit Langem etliche 360-Grad-Profis filmen: sechs GoPros, in Würfelform angeordnet. Die Kamera-Halterung (auch „Rig“ genannt) kann man entweder fertig kaufen (zum Beispiel von der Firma 360Heros) oder aber selbst bauen. Letzteres bevorzugt Nicolas Chibac, der mit seinem Bruder Rico die Produktionsfirma Spice VR in Hamburg gegründet hat. Die Chibacs gehören zu den renommiertesten deutschen 360-Grad-Produzenten; unter anderem haben sie für Robin Schulz’ Hit „Sun Goes Down“ in New York sowie für „Riot“ von Scooter Rundum-Musikvideos gedreht.

Quasi der Rolls-Royce unter den 360-Grad-Kameras: Die Ozo von Nokia kostet 55 000 Euro – filmt dafür aber auch stereoskopisch.

Nach Dutzenden immer wieder optimierten 360-Grad-Rigs haben die Chibacs auch selbstgebaute Rundum-Kamera-Drohnen im Gerätepark, die sie zusammen mit Jonathan Hesselbarth entwickelt haben. Die aktuelle Version hat noch einen Durchmesser von 34 Zentimetern und wiegt 2,5 Kilogramm, aber irgendwann soll die fliegende 360-Grad-Kamera auf Faustgröße schrumpfen und als kommerzielles Produkt unter dem Namen „Spherie“ auf den Markt gebracht werden.

Viel, viel Nacharbeit erforderlich

Die Kamera-Rigs für Profis sind nicht nur größer als die Consumer-Varianten, sondern erfordern auch deutlich mehr Arbeit. So müssen die von den Kameras erzeugten Videodateien alle manuell auf den Computer kopiert werden. GoPro liefert zu seinem Omni-Rig zumindest einen 7-fach-USB-Hub plus 6 MicroSD-Kartenleser mit. Doch dann geht die Arbeit erst richtig los: Zwar gibt es mit Autopano Video Pro/Autopano Giga sowie Video-Stitch professionelle, auf 360-Grad-Videos spezialisierte Stitching-Programme, die aus den Rohvideodaten eine Rektangularprojektion machen.

Strebt man jedoch qualitativ hochwertige Ergebnisse an, muss man anschließend noch Hand anlegen und die Stitching-Artefakte wegretuschieren (zum Beispiel in After Effects). Wie schwierig das ist, sieht man in den allermeisten 360-Grad-Videos: Immer wieder fallen hier falsche Schnittkanten auf.

Wie das Film-Fachblatt Hollywood Reporter berichtet, ist manuelles Stitching und vor allem die anschließende Nachbearbeitung extrem teuer – es gibt Firmen, die pro Minute fertiggestelltes Video 10 000 Dollar in Rechnung stellen.

Selten räumlich

Der Löwenanteil der heute veröffentlichten 360-Grad-Videos wird monoskopisch produziert. Schaut man sich solche Videos in einem VR-Headset an, sieht man also nur ein flaches, kein räumliches Bild. Soll es 360 Grad plus 3D sein, steigert sich der Aufwand noch einmal erheblich.

Bei Projekten, bei denen Räumlichkeit wichtiger ist als ein Rundum-Bild (zum Beispiel „Virtual-Reality“-Pornos), beschränken sich Filmer deshalb oft auf 180-Grad-Videos – hier kann man nämlich schon mit zwei sehr weitwinkligen Kameras sehr gute Resultate erzielen. Besonders praktisch: Da man nicht stitchen muss, fallen auch die Stitching-Artefakte weg. (jkj@ct.de)