c't 3/2023
S. 32
Aktuell
ChatGPT

„KI rüttelt uns hier wach“

Interview: Wie ChatGPT die Lehre verändert

Wenn KI-Systeme wie GPT-3 und ChatGPT ganze Studienarbeiten in Sekunden verfassen, muss die Lehre Begriffe wie „Bildung“ und „Leistung“ neu definieren. Der Präsident der Karlshochschule Robert Lepenies will die künstliche Intelligenz in den Seminarbetrieb einbinden. Im Interview – das c’t per E-Mail mit ihm geführt hat – plädiert er für eine neue Beziehung zwischen Mensch und Maschine.

Von Jo Bager
Laut Robert Lepenies, dem Präsident der Karlsruher Karlshochschule, stellen Text-KIs wie ChatGPT infrage, was man heute als gebildeter Menschen wissen und können muss., Foto: Rebecca Gerndt, CC BY-SA 4.0
Laut Robert Lepenies, dem Präsident der Karlsruher Karlshochschule, stellen Text-KIs wie ChatGPT infrage, was man heute als gebildeter Menschen wissen und können muss.
Foto: Rebecca Gerndt, CC BY-SA 4.0

c’t: Sie sagen, dass bestimmte Prüfungsformen ab sofort undenkbar sind, weil Text-KIs in den Sozialwissenschaften Seminar- oder andere Arbeiten erzeugen können, die von denen von Studenten nicht unterscheidbar sind.

Lepenies: Es gibt Studien dazu, dass selbst Experten menschliche und künstliche Expertise nicht auseinanderhalten können. Zum Beispiel haben die Philosophen Eric Schwitzgebel, Anna Strasser und Matthew Crosby in einem Experiment Menschen befragt, ob sie erkennen können, welche Antworten auf tiefgründige philosophische Fragen vom Philosophen Daniel Dennett und welche von GPT-3 stammen. Selbst Dennett-Experten taten sich schwer, GPT-3-Texte und Dennetts Arbeiten auseinanderzuhalten (siehe ct.de/yneu).

Dass KIs wissenschaftliche Texte produzieren können, wird nicht auf Sozialwissenschaften und Geisteswissenschaften beschränkt bleiben. Schon bald werden weitere Wissenschaftsfelder und alle Formen von Bildung betroffen sein. Konkret bedeutet das, dass es schwierig wird, Seminararbeiten zu vergeben und zu bewerten. KI rüttelt uns hier wach und lässt uns fragen: Ist unsere Sicht darauf, was „Bildung“ und „Leistung“ bedeuten, noch zeitgemäß?

c’t: Kennen Sie auch Bereiche, wo die KI noch nicht so weit ist?

Lepenies: Noch denkt sie sich beispielsweise wissenschaftliche Literatur einfach aus: Sie „halluziniert“ einige – aber nicht alle – wissenschaftliche Quellen.

c’t: Wie können Universitäten dem begegnen, dass schriftliche Essays nicht mehr zur Bewertung herangezogen werden können?

Lepenies: Ich habe mit unserem Vizepräsidenten Forschung Wendelin Küpers gesprochen, der bekräftigt, dass die eigenständig erstellte schriftliche Ausarbeitungen und deren Bewertung weiterhin wichtig bleiben, denn in einer Hochschule der Zukunft haben Studierende ein intrinsisches Interesse daran, Essays selbst zu erstellen – Studierende wollen ja lernen, und Fragestellungen sich zu eigen machen und wertend Stellung beziehen. Wir setzen in der Karlshochschule sowieso auf kreative und plurale Prüfungsformen – dadurch haben wir hier vielleicht weniger ein Problem als die großen Universitäten. Wichtiger als Noten ist ein qualitatives Feedback und eine gemeinsame Reflexion über das Lernen.

c’t: Wo können Chatbots in der Lehre helfen?

Lepenies: GPT-3 ist ein potenziell sehr intelligenter und anregender Feedback-Partner. Je klüger man die Frage stellt und dem Modell Feedback gibt, desto intelligenter sind auch die Antworten. Meist kann die Text-KI den ersten Entwurf für jedwedes Dokument liefern.

Wir könnten zum Beispiel innerhalb von kurzer Zeit neue Modulbeschreibungen erstellen oder bestehende um neue Lernziele oder Literatur ergänzen und aktualisieren. Ein Beispiel: wir wollten in einem recht theoretischen Seminar über Ethik und Globalisierung ein paar Fallbeispiele aus dem globalen Süden einbringen – das haben wir dann einfach von der KI in der ersten Fassung ausarbeiten lassen – die uns dann Beispiele gab, zum Beispiel eine Session zu feministischen Arbeiterbewegungen in Lateinamerika. Darauf wären wir bestimmt selbst gekommen – aber nicht nach fünf Sekunden. Gleichzeitig lassen wir uns von der KI ein Bewertungsraster für Gruppenpräsentationen vorschlagen – das müssen wir dann natürlich noch einmal nachprüfen und validieren.

c’t: Sie äußern die Befürchtung, dass Studierende das eigene (Nach)denken an ChatGPT & Co. delegieren könnten. Ist das nicht die übliche Skepsis, die jede neue Technik, jedes neue Medium begleitet?

Lepenies: Wie jede technologische Entwicklung ist auch diese ambivalent. Wikipedia oder die Autokorrektur in der Textverarbeitung machen uns nicht dümmer, aber beide stellen (zu Recht) infrage, was man heute als gebildeter Menschen wissen und können muss. Nun können Text-KIs aber weit mehr. Hier müssen wir lernen, die Ergebnisse der Maschine richtig einzuordnen und zu bewerten sowie Interpretationen und eigene Urteile dazu zu entwickeln. Die Kernfrage dabei: Wo und wie lernen wir diese grundlegenden Fähigkeiten? Ich würde natürlich sagen, bei uns an der Hochschule.

In der Universität geht es auch um Lernerfahrungen zusammen mit anderen Menschen, durch Infragestellen, durch Diskussionen in Gruppen, durch ästhetisches und ethisches Argumentieren, durch Lernen von anderen Menschen, durch das Zwischenmenschliche – das alles kann KI nicht allein.

c’t: Sie schlagen vor, ChatGPT als Teilnehmer in kreativen Gruppendiskussionen einzusetzen. Wie funktioniert das?

ChatGPT zählt einige Probleme auf, die sein Einsatz bei akademischen Arbeiten verursachen kann.
ChatGPT zählt einige Probleme auf, die sein Einsatz bei akademischen Arbeiten verursachen kann.

Lepenies: Einige unserer Lehrenden haben das bereits probiert: Sie taten so, als sei GPT ein Teilnehmer in einer Diskussionsrunde – das war ko-kreativ und anregend. Man muss GPT am besten in der Gruppe gemeinsam nutzen – und damit diese bilaterale Mensch-Maschine-Beziehung auflösen: über die KI diskutieren, aber auch mal spaßen.

c’t: Über die Lehre hinaus: Wo glauben Sie, werden Systeme wie ChatGPT die größten Veränderungen bewirken werden?

Lepenies: Im baden-württembergischen Landtag hat Alex Salomon (die Grünen, Anm. d. Red.) gerade die erste von KI geschriebene Rede gehalten. Das überlege ich mir natürlich jetzt auch für kommende Festreden …

Generell vermute ich, dass KI alle Tätigkeiten, die mit Text oder Bild zu tun haben, revolutionieren wird, auch in verknüpfter Form: „Schreibe mir in folgenden Sprachen ein Kinderbuch zu meiner Masterarbeit, verfilme es und komponiere die Filmmusik dazu“ – so etwas wird möglich sein. (jo@ct.de)

Studie Dennett vs. GPT-3: ct.de/yneu

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