c't 1/2022
S. 64
Titel
Standardisierte Dokumentation für Open Hardware
Bild: Albert Hulm

Technik gut beschreiben

DIN SPEC 3105: Offene Hardware standardisiert dokumentieren

Die DIN SPEC 3105 liefert als erster Standard klare Regeln für den Umgang mit Bauplänen und anderen Informationen rund um quelloffene Hardware. Was das im Detail bedeutet, finden Sie in diesem Artikel erklärt.

Von Martin Häuer

Bei Software ist Open Source schnell erklärt: Der Quellcode muss unter freier und offener Lizenz veröffentlicht sein, denn damit hat jeder das Recht, den Code frei zu nutzen, ihn anzupassen und weiterzuverbreiten. Bei Hardware ist das schwieriger: Um Hardware praktisch verstehen, modifizieren und nachbauen zu können, braucht man üblicherweise Stücklisten, 3D-Modelle, Schaltpläne, Leiterplattenlayoutpläne und so weiter – abhängig von der Technik und der anvisierten Zielgruppe.

Bislang fehlten konkrete Leitlinien dafür, wie offene Hardware dokumentiert werden soll. Der im Juli 2020 veröffentliche DIN-Standard DIN SPEC 3105 löst dieses Problem. Er besteht aus zwei Teilen: „Anforderungen an die technische Dokumentation“ und „Community-basierte Konformitätsbewertung“. Sein Ziel ist, den Begriff Open-Source-Hardware greifbar und das Prinzip für Industrie und Forschung im breiteren Maßstab nutzbar zu machen. Dabei sollen fundamentale Open-Source-Prinzipien erhalten bleiben.

Gleichzeitig ist die DIN SPEC 3105 auch der erste Standard, der von der Open-Source-Community zusammen mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN e. V.) unter offener Lizenz ausgearbeitet wurde und auch kostenlos für jeden zu haben ist, Download etwa über ct.de/y4bv.

(Offener) Rahmen

Um ein möglichst breites Spektrum von Hardware abzudecken, ist der eigentliche Standard recht abstrakt gehalten, die konkreten Anforderungen sollen in Community-basierten Spezifikationen definiert werden, den Technology-specific Documentation Criteria (TsDC). Der Standard stellt damit die Rahmenbedingungen, was alles noch als Open-Source-Hardware gelten darf, während Communities unter sich festlegen können, welche Dateiformate und Dokumente etwa für 3D-Druckteile mitgeliefert werden sollen.

Pflicht zur Einhaltung ist aber, dass alle Dokumente unter freier Lizenz (siehe Seite 58) veröffentlicht werden und eine eindeutige Versionierung. Außerdem müssen alle technologiespezifischen Dokumente so gestaltet sein, dass mindestens Experten im jeweiligen Bereich (etwa Elektrotechniker) in der Lage wären, die Hardware zu verstehen, zu modifizieren und nachzubauen. Ein wichtiges Detail: Alle Dateien müssen in ihrem nativen Format und zusätzlich in einem allgemein zugänglichen Exportformat bereitgestellt werden. Das ist beispielsweise für CAD-Dateien besonders wichtig, da sonst entweder die Information unter Umständen nur mit teurer Spezialsoftware zugänglich ist oder beim Export in andere Formate teils schlicht verloren geht.

DIN-SPEC-3105- und TsDC-Dokumente sind Open Source unter der Lizenz CCBY-SA 4.0, also kann sie jeder für sich anpassen. Da die TsDC im Standard als externe Community-Dokumente referenziert sind, können diese jedoch verändert werden, ohne dass der bürokratische Weg über das DIN genommen werden muss. Umgekehrt dürfen Forks (Abspaltungen) des Standards aber nicht unter der Marke „DIN SPEC“ verbreitet werden, ohne dass dieser Weg gegangen wurde. Verwirrungen beim Stand der Standardisierung ist also über das Markenrecht des DIN vorgebeugt.

Community Gutachten

Wenn ein Projekt alle Anforderungen der DIN SPEC 3105-1 erfüllt, darf das ohne Weiteres öffentlich behauptet werden. Das ist ein Grundrecht in der Standardisierung. Um etwa Sechskantschrauben nach ISO 4017 herzustellen und zu verkaufen, braucht man kein Zertifikat.

Damit andere diesem Selbstbekenntnis aber besser vertrauen können, werden bei komplexeren Fragen üblicherweise Zertifizierungen ausgeführt — in der Regel bei Zertifizierungsstellen. Das klingt teuer und so gar nicht nach Open-Source. Anders als üblich ist für diese Konformitätsbewertung jedoch ein Community-gestützter Prozess definiert. Ähnlich wie bei wissenschaftlichen Publikationen wird die technische Dokumentation von externen Entwicklern geprüft und kritisiert (Peer-Review).

Der Prozess wird von sogenannten Konformitätsbewertungsstellen moderiert, die wiederum alle relevanten Information unter freier Lizenz veröffentlichen müssen. So soll sichergestellt sein, dass der Standardprüfprozess einerseits eingehalten wird und andererseits vollständig transparent ist. Jeder kann eine solche Stelle eröffnen, wenn er sich an die Anforderungen aus dem Standard hält.

Wirkung

Der Effekt der Standards DIN SPEC 3105 zeigt sich in der Praxis auf zwei Ebenen: als technisches Werkzeug in der Anwendung und als politisches beim Verbreiten von Open-Source-Prinzipien. Open-Source-Hardware-Dokumentation wird vergleichbarer und untereinander kompatibler; Akteure, die sich im Open-Source-Umfeld nicht auskennen, können sich eher darauf verlassen, dass quelloffene Baupläne praktisch auch wirklich nützlich und rechtlich nutzbar sind.

Für industrielle Ohren soll Open-Source-Hardware künftig weniger nach Gebastel mit 3D-Druckern als vielmehr nach frei verwertbarer technischer Infrastruktur klingen. In der Softwarebranche würde das nach über 40 Jahren Open Source auch niemand mehr ernsthaft bestreiten. Eine Dokumenation nach DIN SPEC 3105-1 kann nun Teil von Lastenheften und Verträgen sein.

Für öffentlich geförderte Forschungsanträge wird das auch schon praktiziert: Statt, dass Prototypen nach dem Forschungsprojekt in den Laboren versauern, können Forschungsanstalten und auch Unternehmen Entwicklungen von anderen nutzen. Möglicherweise ist das auch ein Schritt zur Lösung der Replikationskrise, da neben den Versuchsdaten nun auch die technischen Details des Versuchsaufbaus mitgeliefert werden können, mit dem die Daten erzeugt wurden. Der Technologietransfer, für den Hochschulen eigentlich einen öffentlichen Auftrag haben, kann also auch auf Basis freier und offener Lizenzen anstatt von Patenten geschehen. Besonders um globale Probleme gemeinschaftlich zu lösen, die sich unter anderem im Klimawandel tendenziell verschärfen werden, kann Open Source ein sehr effektives Prinzip sein.

Detaillierte technische Zeichnungen wie diese des Gehäuses der CO2-Ampel von Watterott electronic sind Grundvoraussetzung für den Nachbau durch jedermann.

Resonanz

Seit Veröffentlichung gab es zur DIN SPEC 3105 überaus positive Resonanzen. Erwartete Widerstände aus der Community, den Normungsgremien oder von wirtschaftlichen Akteuren blieben aus. Stattdessen diskutierte man darüber auf dem Hackerkongress 36C3, der Small Business Standards Conference 2021 und sogar auf dem Digital-Gipfel 2020 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zum Teil mag das daran liegen, dass das Konsortium hinter dem Standard offen und divers gehalten wurde. Vorstandsmitglieder der Open Source Hardware Association (OSHWA) saßen neben Ingenieuren mittelständischer Unternehmen und wissenschaftlichen Mitarbeitern diverser Forschungsanstalten und Hochschulen – viele Perspektiven wurden eingefangen.

Damit ergab sich auch die Gelegenheit, interdisziplinäre Probleme aus dem Open-Source-Hardware-Umfeld auf einen gemeinsamen Tisch zu legen. So entstanden teils schon während der Vorbereitungsphase eine Reihe weiterer Projekte: etwa ein Jahr nach Veröffentlichung formten sich die ersten beiden Konformitätsbewertungsstellen beim Open Source Ecology Germany e. V. und dem Open Hardware Observatory e. V. , um Community-basiert quelloffene Baupläne nach DIN SPEC 3105-2 zu prüfen.

Für das DIN war das Projekt zwar ein ganz schöner Kulturschock, ernsthafte Konflikte bei der Zusammenarbeit gab es jedoch keine. Sobald sich Vorstand sowie Projektkoordinator des DIN und das Open-Source-Konsortium einig waren – was gar nicht lange dauerte –, konnten auch Rechtsfragen geklärt und bürokratische Hürden bewältigt werden.

Zukunft

Kurz nach der Veröffentlichung wurde der Standard dem Normenausschuss „Technische Grundlagen“ des DIN vorgestellt, um nächste Schritte in Richtung einer EN- oder ISO-Norm zu festzulegen. Das Ergebnis der Diskussion ist jetzt in Issue #32 (ct.de/y4bv) öffentlich sichtbar im GitLab-Repository. Inhaltlich steht dem Standard nicht viel im Wege, aus verwaltungstechnischer Sicht ist beispielsweise eine ISO-Norm jedoch ein anderes Kaliber als ein DIN-SPEC-Standard. ISO-Normen definieren den internationalen Stand der Technik und können etwa vor Gericht als Referenz herangezogen werden – nicht so der DIN-SPEC-Standard, es sei denn, das ist vertraglich vereinbart.

Um diese und noch weitere Probleme zu klären, läuft bei der EU-Normungsorganisation CEN/CENELEC gerade das Projekt „Open Source Solutions. Es soll Open-Source-Prinzipien in die Standardisierung bringen „to keep standards relevant in the digital era“; die Erfahrungen aus DIN SPEC 3105 werden auch hier aufgenommen.

Vielleicht können Open-Source-Prinzipien auch dabei helfen, die alte Eigentumsfrage neu aufzurollen: Wenn auch im Kapitalismus die Produktionsmittel in private Hand gehören und im Kommunismus in staatliche, könnte es bei Open-Source-Hardware praktisch irrelevant sein, wem die Maschine gehört. Schließlich hätte am Ende jeder das Recht und die Möglichkeit, sie nachzubauen und für sich anzupassen.

Martin Hauer koordiniert im Verein Open Source Ecology Germany e. V. Aktivitäten rund um Open-Source-Hardware und war an der Entwicklung des DIN-Standards beteiligt. (amo@ct.de)

Umfangreiche weitere Informationen: ct.de/y4bv

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