c't 17/2021
S. 56
Titel
Mobiles Arbeiten: Die neue Freiheit
Bild: Albert Huhn

Homeoffice to go

Mobiles Arbeiten wird zum neuen Normalfall – und bringt Angestellten ungeahnte Freiheiten

Früher konnte nur wenige Menschen nach Lust und Laune entscheiden, wo sie arbeiten. Seit Corona haben plötzlich viele Angestellte diese Freiheit – und immer mehr nutzen das auch aus.

Von Katja Seidel und Christian Wölbert

Vor fünf Jahren kündigte Thilo Vogel seine Wohnung und zog in seinen Ford Mondeo Kombi. Seitdem tourt er durch Europa. Er schläft im Dachzelt und arbeitet auf der Rückbank, als Kühlschrank dient ihm die Reserveradmulde. Anfangs verdiente der studierte Ingenieur sein Geld vor allem als Porträtfotograf, mittlerweile führt er aus seinem Auto heraus ein kleines Unternehmen – mit Zoom-Calls, Google Docs und WhatsApp-Sprachnachrichten. „Ich kann ständig auf Reisen sein, Land und Leute kennenlernen, und arbeiten von wo ich möchte“, sagt er im Gespräch mit c’t.

Arbeiten, wo man möchte: Diese Freiheit hatten bis vor kurzem nur wenige Menschen, vor allem Selbstständige wie Vogel. Dann kam Corona und hat dazu geführt, dass nun auch viele Angestellte frei entscheiden können, wo sie ihr Notebook aufklappen. Jeder kann plötzlich ein bisschen Digitalnomade sein, auch ohne direkt die Wohnung komplett aufzugeben: Arbeiten geht im Schrebergarten oder bei den Schwiegereltern, im Co-Working-Space oder im Camper.

Frei wie Thilo Vogel: Der Fotograf, Ingenieur und Abenteurer lebt und arbeitet in seinem Ford Mondeo.
Bild: Thilo Vogel
Bild: Thilo Vogel

Während der Lockdowns waren Informationsarbeiter zwar in den eigenen vier Wänden gefangen, abgesehen von gelegentlichen Bürobesuchen. Doch nun, nach dem Auslaufen der Homeoffice-Pflicht Ende Juni, ergeben sich plötzlich ungeahnte Freiheiten. Technisch gesehen ist es schließlich egal, ob man von zu Hause aus an einer Videokonferenz teilnimmt oder aus einer Ferienwohnung.

Auch die formellen Hindernisse bröckeln. Bereits 2019 erlaubten laut einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) 43 Prozent aller deutschen Unternehmen ihren Beschäftigten „ortsunabhängiges Arbeiten über mobiles Internet“. „Man kann davon ausgehen, dass dieser Anteil nun noch einmal deutlich gestiegen ist“, sagt Oliver Stettes, Leiter des Bereichs Arbeitsmarkt und Arbeitswelt beim IW.

Denn seit Beginn der Coronazeit haben noch mehr Firmen ihre Angestellten mit Notebooks ausgestattet und Meetings durch Videokonferenzen ersetzt. Und Unternehmen, die Unterwegsarbeit erlauben, schreiben in der Regel keine bestimmten Orte dafür vor. Hauptsache, man ist erreichbar und produktiv. Die Unterschiede liegen eher im Umfang: Manche Firmen gewähren nur einen Tag pro Woche, andere geben gar keine Grenze vor (mehr zu den rechtlichen Rahmenbedingungen lesen Sie in unserer FAQ auf S. 64).

Viele Angestellte kosten diese neuen Möglichkeiten nun erstmals aus. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Manche wollen einfach mehr Zeit mit Freunden und Verwandten verbringen, andere direkt nach Feierabend aufs Surfbrett steigen.

Mit Sitzball, Monitor und Schreibtischaufsatz

Bei Sebastian Raab ist es die Beziehung, die ihn zum Mobilarbeiter gemacht hat: Seine Partnerin wechselt berufsbedingt alle drei Monate ihren Arbeitsort innerhalb Deutschlands. Oft erfährt sie nur mit wenigen Tagen Vorlauf, in welche Stadt es als Nächstes geht. Raab zieht von Station zu Station zu Station mit. „So können wir zusammen sein. Und wir finden es spannend, unterschiedliche Regionen kennenzulernen“, sagt der IT-Berater und Ingenieur.

Das mobile Homeoffice von IT-Berater Sebastian Raab: Der verstellbare Tischaufsatz sorgt für Dynamik.
Foto: Sebastian Raab

Für Raabs Arbeitgeber, ein international tätiges Beratungsunternehmen, ist dieses ungewöhnliche Lebensmodell kein Problem. Es gewährt Mitarbeitern seit ungefähr einem Dreivierteljahr noch mehr Freiheiten bei der Ortswahl als zuvor schon. Die Berater können innerhalb Deutschlands frei wählen, solange sie die Ansprüche der Kunden sowie Bedingungen wie Datenschutz und Erreichbarkeit erfüllen.

Über die Ausstattung für sein mobiles Homeoffice hat Raab sich viele Gedanken gemacht, denn seine gesamte Ausrüstung muss ins Auto passen und schnell eingepackt sein. „Es geht um den besten Kompromiss aus Mobilität und Arbeitskomfort“, sagt er.

Da es in Airbnb-Wohnungen normalerweise keinen Drehstuhl gibt, hat er sich einen aufblasbaren Sitzball gekauft. Zweite wichtige Anschaffung war ein Aufsatz, der jeden Küchentisch in einen höhenverstellbaren Schreibtisch verwandelt. Der Aufsatz wiegt fast zehn Kilogramm. Raab möchte ihn aber nicht mehr missen. Er absolviert inzwischen alle Videokonferenzen, die etwa ein Drittel seiner Arbeitszeit ausmachen, im Stehen. „So wirkt man agil und energiegeladen.“ Obendrein profitiert sein Rücken vom häufigen Wechsel zwischen Stehen und Sitzen [1].

Tobias Sell im Co-Working-Space „Schiller40“ in Wolfsburg: Der IT-Berater schätzt den Austausch mit anderen Besuchern, zum Beispiel über Tools und Methoden für effizientes Arbeiten.
Bild: Katja Seidel

Die meisten Ferienwohnungs-WLANs sind nach Raabs Erfahrung nur eingeschränkt für mobiles Arbeiten zu gebrauchen. Mal gab es häufig Abbrüche, mal reichte die Abdeckung nicht. Er nutzt deshalb häufig sein Smartphone als Hotspot oder surft über das Mobilfunkmodul seines Dienst-Notebooks. Das monatliche Inklusiv-Volumen seiner beiden Mobilfunkverträge liegt insgesamt bei 65 GByte – zumindest bislang reichte das immer aus (unsere Tipps zur Auswahl eines passenden Mobilfunktarifs lesen Sie ab S. 66). Dank seines externen Monitors hat er auch genügend Bildschirmfläche für die Arbeit mit mehreren Anwendungen (einige besonders portable Bildschirme stellen wir ab S. 70 vor).

Als Handicap empfindet Raab sein mobiles Homeoffice nicht: „Ich bin nicht weniger produktiv als anderswo. Aber ich kann mein privates Umfeld so gestalten, wie ich möchte, und das steigert meine Zufriedenheit und Motivation.“ Kollegen und Kunden falle zwar in den Videokonferenzen durchaus auf, dass er häufig den Ort wechsele. „Aber das war bisher nie ein Problem, eher ein guter Einstiegspunkt für Small Talk.“

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