c't 10/2021
S. 32
Aktuell
Prozessoren

Bit-Rauschen

Viele CPU-Neuigkeiten und Irrwege zu digitaler Souveränität

Kurz nach Ostern hagelte es ­Prozessor-Neuigkeiten von AMD, ARM, Intel und Nvidia. Intel stellt weitere CPU-Experten ein. Die US-Regierung pumpt viel Geld in die Chipfertigung, während das EU-Konzept für mehr lokale ­Prozessoren nicht ganz durchdacht scheint.

Von Christof Windeck

Die CPU-News überschlugen sich in den ersten Aprilwochen: Intel brachte die Ice-Lake-Xeons (siehe S. 33), ARM kündigte die ARMv9-Architektur an (siehe S. 36), Nvidia zog den ARM-Serverprozessor „Grace“ sowie den „Atlan“ für autonome Autos aus dem Hut, AMD schickte den Ryzen 5000G ins Rennen. Den meisten dieser Neuvorstellungen haften aber Ma­kel an: Die Ice-Lake-Xeons sind um mehr als ein Jahr verspätet. Wann man die ersten Ryzen 5000G kaufen kann, steht komplett in den Sternen. Zu ARMv9 gibt es noch kaum Details und Nvidias Grace soll erst 2023 kommen.

Der nach der Computerpionierin Grace Hopper benannte Prozessor ist nicht für Allzweck-Server gedacht, sondern vor allem für Supercomputer-Knoten mit ­Nvidia-Rechenbeschleunigern. Nvidia versprach zwar eine Ganzzahl-Rechen­leistung von über 300 SPECint_base_­rate_2017-Punkten, die der eines 32-Kern-Epyc ähnelt, wollte aber zur Anzahl der Kerne und deren Architektur nichts verraten. Vermutlich kommt schon ARMv9-A in der Neoverse-Version für Server zum Einsatz; ARM arbeitet angeblich am „Matterhorn“-Kern. Zu diesem Codenamen passt, dass das Centro Svizzero di Calcolo Scientifico (CSCS) in der Schweiz seinen ehemaligen Top500-Recken „Piz Daint“ 2023 mit dem „Alps“ ablösen will, in dem eben Grace rechnet.

Nvidia liefert ab 2023 den ARM-­Server­prozessor „Grace“, der unter anderem im schweizerischen Supercomputer „Alps“ rechnen soll.
Bild: Nvidia

Der neue Intel-Chef Pat Gelsinger erweitert unterdessen seine „Seniorencombo“ für künftige Prozessoren, die laut ­Stellenausschreibungen Advanced Architecture Development Group (AADG) heißt. Glenn Hinton unterbricht dafür seinen Ruhestand, Sunil Shenoy wechselte von der RISC-V-Firma SiFive zurück zu Intel. Neues AADG-Mitglied ist der zuvor im französischen Rennes tätige André ­Seznec, ein Experte für Sprungvorhersage­einheiten, also Branch Predictors. Aktuelle Prozessoren – etwa auch Apples M1 – schöpfen einen erheblichen Teil ihrer ­Performance aus treffsicherer Sprung­vorhersage und langen Out-of-Order-­Puffern. Durch spekulative Ausführung und das geschickte Umsortieren von Befehlen lasten sie ihre zahlreichen Rechenwerke optimal aus.

Allerdings drohen dabei Schwachstellen, die Seitenkanalangriffe wie die berühmte Spectre-Attacke ermöglichen. Ein ähnliches – wenn auch wesentlich harmloseres – Problem wurde nun in den Zen-3-Kernen von AMD entdeckt: Das sogenannte Predictive Store Forwarding (PSF) verspricht Mehrleistung, lässt sich aber möglicherweise missbrauchen. Daher kann man es auch abschalten.

Druck auf China

Auch unter Joe Biden verstärkt die US-­Regierung den Druck auf China: Sieben chinesische Organisationen, die Supercomputer(-Komponenten) entwickeln, kamen auf eine Embargoliste. Betroffen sind etwa die Entwickler der Phytium- und Sunway-Prozessoren. Gleichzeitig will Biden rund 50 Milliarden US-Dollar Subventionen in die US-Chipfertigung pumpen, um die akute Lieferknappheit zu lindern und langfristig die digitale Souveränität zu stärken. Intel hatte derartige Beihilfen schon eingefordert, sie passen gut zum neuen „IDM 2.0“-Konzept, das Auftragsfertigung einschließt – etwa für Automobilprozessoren, aber auch für militärisch wichtige Bauteile.

Die EU fördert lokale Chipfertigung ebenfalls mit sehr viel Geld, erntet aber Kritik von Jan-Peter Kleinhans vom Berliner Thinktank „Stiftung Neue Verantwortung“ (SNV). Er hält die Entwicklung einer komplett eigenständigen Fertigungstechnik in der EU für chancenlos und empfiehlt die Kooperation mit etablierten Firmen wie TSMC. Kleinhans fragt zudem, wer die Auftraggeber für einen künftigen EU-Auftragsfertiger sein sollen – denn wie im Bit-Rauschen schon erwähnt, mangelt es in der EU nicht etwa allgemein an Halbleiterfirmen. Im Gegenteil sind mit Infineon, STMicro und Bosch sogar führende Anbieter von Auto-Chips hier ansässig. Was fehlt, sind Firmen, die High-End-­Prozessoren, Supercomputer-Rechen­beschleuniger oder FPGAs entwickeln.

Deshalb wiederum fehlt einem europäischen Auftragsfertiger der Markt. Für ausländische Chipfirmen dürfte ein Auftragsfertiger in der EU nicht besonders attraktiv sein. Was die EU also eigentlich zuerst fördern müsste, wären lokale Entwickler von leistungsfähigen Prozessoren. Außer der vergleichsweise winzigen Firma SiPearl, die derzeit am „Rhea“ für die European Processor Initiative (EPI) arbeitet, ist diesbezüglich bislang nicht viel zu sehen. (ciw@ct.de)

Audio-Podcast Bit-Rauschen: ct.de/yd8p

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