Masern-Überwachung: Eignen sich Abwassertests?

Die Überwachung der Kanalisation hat vielerorts geholfen, Krankheiten wie Polio, Covid-19 und Mpox aufzuspüren. Forscher hoffen, dass es auch bei Masern klappt.

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Auch ne Art von Ausleitung.

(Bild: 127071, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Cassandra Willyard
Inhaltsverzeichnis

Die Masern melden sich mit Macht zurück. Im Vereinigten Königreich, wo nur 85 Prozent der Schulkinder zwei Dosen des sogenannten MMR-Impfstoffs (gegen Masern, Mumps und Röteln) erhalten haben, haben sich seit Oktober bis zu 300 Menschen mit der Krankheit angesteckt. In den USA wiederum sind seit letztem Monat neun Menschen in Philadelphia erkrankt. Ein Fall wurde in Atlanta gemeldet, ein weiterer im Bundesstaat Delaware. Im Bundesstaat Washington ist eine ganze sechsköpfige Familie infiziert. Das mag für sich genommen nicht nach viel klingen, doch Masern sind eine der ansteckendsten Krankheiten überhaupt, die ohne Impfschutz zu schwerwiegenden Komplikationen und Jahre später zu einer tödlichen Spätwirkung führen kann.

So ist es wenig erstaunlich, dass die Weltgesundheitsorganisation am 23. Januar eine Warnung herausgab. "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle Länder darauf vorbereitet sind, Masernausbrüche rasch zu erkennen und rechtzeitig darauf zu reagieren, da diese die Fortschritte bei der Eliminierung der Masern gefährden könnten", sagte Hans Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.

Das frühzeitige Erkennen von Masernausbrüchen ist allerdings nicht ganz einfach. Wie viele andere Atemwegsviren beginnt die Krankheit mit Husten, laufender Nase, Fieber und körperlichen Beschwerden. Der verräterische rotgefleckte Hautausschlag tritt erst nach zwei bis vier Tagen auf. Zu diesem Zeitpunkt ist die erkrankte Person aber bereits hochgradig ansteckend. Sie verbreiten die Viren über winzige, durch Husten, Niesen, Sprechen oder gar nur Atmen ausgestoßene Tröpfchen, die sich stundenlang in der Luft halten und auf diese Weise andere auch ohne direkten Kontakt mit den Erkrankten anstecken können.

Als Frühwarnsystem in den USA könnte nun aber das umfangreiche Netz zur Abwasser-Probenentnahme dienen, das während der Corona-Pandemie zur Erkennung von Covid-19 aufgebaut wurde. "Ich denke, man könnte sogar argumentieren, dass es wichtiger ist, Masern nachzuweisen als Covid, Influenza oder andere Krankheitserreger, nach denen wir suchen", sagt Samuel Scarpino, Epidemiologe an der Northeastern University in Boston.

Die Abwasserüberwachung stützt sich auf Standard-Labortests, bei der genetische Beweise für Krankheitserreger im Abwasser gesucht werden – je nach Keim DNA oder RNA. Denn mit Corona infizierte Menschen scheiden die SARS-CoV-2-Viren in ihrem Stuhl aus, die dann ins Abwasser gelangen. Aber auch Viren, die nicht mit dem Stuhl ausgeschieden werden, können in der Kanalisation auftauchen.

Obwohl Masern vorwiegend eine Atemwegserkrankung sind, gelangen sie auf verschiedenen Wegen auch ins Abwasser. Menschen scheiden die Viren zum Beispiel auch über ihren Urin aus oder spucken sie beim Zähneputzen ins Waschbecken. Manche schnäuzen sich die Nase und werfen das Taschentuch anschließend in die Toilette. "Wir scheiden Viren, Bakterien und Pilze auf so viele Arten aus, die in der Kanalisation enden", sagt Marlene Wolfe, Umweltmikrobiologin und Epidemiologin an der Emory University und eine der Leiterinnen von WastewaterSCAN, einem Programm in Stanford, das Infektionskrankheiten in kommunalen Abwassersystemen überwacht.

Die Literatur zum Nachweis von Masern im Abwasser ist spärlich, aber ermutigend. In einer Studie untersuchte ein Forscherteam in den Niederlanden Abwasserproben, die 2013 während eines Masernausbruchs in einer orthodoxen protestantischen Gemeinde gesammelt wurden, nach dem Virus. Sie fanden Masern-RNA, und die positiven Proben stimmten mit den Orten überein, an denen Fälle gemeldet worden waren. Es gelang ihnen sogar, zu bestätigen, dass das Virus in einer Probe genetisch mit dem Ausbruchsstamm identisch war. Aber nicht jeder Masernfall wurde in der Kanalisation nachgewiesen. Einige Proben in der Umgebung von Masernfällen enthielten keine Masern-RNA.

In einer anderen Studie entwickelten Forscher aus Nova Scotia ein Instrument zur gleichzeitigen Untersuchung von Abwasser auf vier Krankheitserreger: RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus), Influenza, Covid-19 und Masern. Als sie es in Nova Scotia testeten, erhielten sie keine positiven Treffer für Masern, was sie nicht überraschte, da keine Fälle gemeldet worden waren. Dass ihr Test funktioniert, zeigten sie, indem sie die Abwasserproben mit einem Masern-Ersatzstoff versahen und diesen dann sowohl in hohen als auch in niedrigen Konzentrationen nachwiesen.

Wolfe zufolge lautet die eigentliche Frage, ob der Nachweis von Masern im Abwasser einen Nutzen für die öffentliche Gesundheit hätte. Da Masern selten ohne Symptome verlaufen und der Ausschlag so ausgeprägt ist, werden die Fälle in der Regel bemerkt. "Einige unserer anderen Systeme funktionieren recht gut bei der Identifizierung von Masernfällen, wenn sie auftreten", sagt sie.

Wenn Menschen allerdings sehr große Virusmengen ausscheiden, bevor die Anzeichen sichtbar werden, sei der Nutzen der Überwachung groß. "Dann könnte es wirklich eine Frühwarnung geben", sagt sie. Ob das so ist, sei im Moment noch nicht bekannt.

Wie würde ein Programm zur Überwachung des Abwassers auf Masern aussehen? "Wenn wir in der Lage wären, Orte zu finden, an denen die Durchimpfungsrate niedriger ist, könnten wir dort unsere Ressourcen priorisieren", sagt Scarpino. "Flughäfen und andere Einreisehäfen werden ebenfalls sehr wichtig sein." Anfang Januar passierte eine mit Masern infizierte Person die beiden Flughäfen Dulles und Ronald Reagan in der Nähe von Washington D.C. Die Entdeckung von Masern-RNA im Abwasser von Flughäfen bedeutet nicht unbedingt, dass es zu einem lokalen Ausbruch kommen könnte, aber "es bedeutet definitiv, dass das Risikoprofil vorhanden ist und wir viel aktiver überwachen sollten", sagt er.

Die Masern sind zwar noch nicht Teil der Abwasserüberwachung, aber viele andere Krankheitserreger schon. Seit den späten 1980er Jahren untersuchen Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt das Abwasser auf den Erreger der Kinderlähmung (Polio). Da Menschen, die an Polio erkrankt sind, große Mengen des Virus in ihren Fäkalien ausscheiden und viele Menschen asymptomatisch sind, "ist dies in vielerlei Hinsicht ein perfekter Anwendungsfall", sagt Wolfe. Aber die Abwasserüberwachung kam erst 2020 in Mode, als Covid-19 auftrat.

Das Nationale Abwasserüberwachungssystem (National Wastewater Surveillance System), das die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) im Jahr 2020 zur Überwachung von Covid-19 einführten, testet nun auch auf Mpox. WastewaterSCAN testet derzeit auf zehn verschiedene Krankheitserreger, darunter Sars-CoV-2, Mpox, RSV, Influenza, Norovirus und Rotavirus. Das Team veröffentlicht diese Daten in einem Dashboard auf seiner Website und teilt sie mit der CDC. Wolfe und ihre Kollegen haben kürzlich auch mit dem Bezirk Miami-Dade in Florida zusammengearbeitet, um die Durchführbarkeit von Tests auf Dengue-Fieber zu prüfen. Obwohl Dengue-Fieber in Florida selten vorkommt, hat das Team ein Signal im Abwasser festgestellt.

Tatsächlich funktioniert die Abwasserüberwachung bei den meisten der getesteten Krankheitserreger, sagt Wolfe: "Es ist durchaus möglich, dieses Instrument zur wirksamen Unterstützung der Masernüberwachung einzusetzen."

(jle)