c't 7/2022
S. 46
Aktuell
Europäisches Bezahlsystem

Zahlungsverzug

European Payments Initiative am Scheideweg

Die 2020 gestartete Initiative für ein europäisches Bezahlsystem, das Mastercard, Visa und PayPal Konkurrenz machen soll, hat namhafte Unterstützer verloren. Das Projekt steht vor dem Aus – oder muss deutlich kleinere Brötchen backen.

Von Markus Montz

Die „European Payments Initiative“ (EPI) droht nach einer Rückzugswelle beteiligter Banken zu scheitern oder nur noch in stark abgespeckter Form zu starten. Bereits seit Dezember 2021 hatten mehrere deutsche, spanische, polnische und finnische Kreditinstitute ihren Rückzug aus dem Projekt für ein paneuropäisches elektronisches Bezahlsystem erklärt. Nun hat die Gruppe mit der DZ Bank auch den gewichtigen Vertreter der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken verloren. Deren Spitzenverband BVR sah „keine gemeinsame Basis“ in einem Ende Februar vorgelegten Konzept der EPI. Zuvor hatten sich auf deutscher Seite bereits Commerzbank und Hypovereinsbank aus dem Projekt gelöst. Grund sind nach Ansicht von Finanzexperten Unstimmigkeiten der Beteiligten über die Anschubfinanzierung und die Ausrichtung des Bezahlsystems. Die zähen Verhandlungen hatten bereits in den vergangenen Monaten den ursprünglich für 2022 geplanten Start ins Ungewisse wandern lassen.

Von den beim Start zunächst 16, später 31 Banken und Kreditinstitutsverbünden sowie zwei Zahlungsabwicklern aus neun Ländern sind damit noch 13 Häuser übrig, darunter der Deutsche Sparkassen- und Giroverband und die Deutsche Bank. Zugleich ist unklar, wie es mit der im Juli 2020 angetretenen Initiative weitergehen wird, die abgesehen von mehr Einheitlichkeit an Laden- und virtuellen Kassen die EU von den amerikanischen Anbietern unabhängiger machen sollte. Im Gespräch ist nun neben einer kompletten Abwicklung des Projekts laut EPI-Chefin Martina Weimert auch eine „Light“-Variante, die ein elektronisches Wallet auf Basis von SEPA-Echtzeitüberweisungen umfassen könnte und „auf jeden Fall“ für den E-Commerce geeignet sein soll.

Im ursprünglichen Paket hatte die EPI eine Bezahlkarte und ein digitales Wallet geplant, die die Kunden sowohl an der Ladenkasse als auch im Online- und Mobilhandel sowie für Geldtransfers in Echtzeit von Wallet zu Wallet (P2P) hätten nutzen können. Als Grundlage sollte die SEPA-Überweisung, insbesondere die SEPA-Echtzeitüberweisung dienen; zugleich sollte EPI ähnlich den Kreditkarten der großen Anbieter auch außerhalb Europas verfügbar sein. Über den endgültigen Markennamen haben die Beteiligten noch nicht entschieden. Die EPI mit Sitz in Brüssel hatte sich privatwirtschaftlich organisiert, genießt aber politische Rückendeckung durch EU-Kommission und Europäische Zentralbank.

Die European Payments Initiative soll nationale Bezahlarten wie Deutschlands Girocard integrieren oder ersetzen und Großkonzernen wie Visa, Mastercard und PayPal Konkurrenz machen.

Europäisch und unabhängig

Experten aus der Finanzwirtschaft und dem Einzelhandel versprechen sich von EPI eine Reihe von Vorteilen. Durch ein übergreifendes Bezahlsystem mit einer Karte sowie einem Wallet ähnlich PayPal, dem Schweizer Twint oder dem in der Nische verbliebenen deutschen Giropay-Kwitt könnten Europas Bürger im gesamten EU-Gebiet mit dem gleichen System bezahlen, sowohl im Supermarkt als auch im Onlineshop. Die mitunter noch vorhandenen Terminals, die nur nationale Karten annehmen (etwa Dänemarks Dankort oder Deutschlands Girocard), wären dann endgültig kein Hindernis mehr.

Der größte Mehrwert läge in vielen Ländern allerdings an anderer Stelle, nämlich darin, über das Wallet Geld in Echtzeit von Smartphone zu Smartphone zu schicken. Solche in Deutschland vor allem durch PayPal bekannten P2P-Payments sollen auch Händler annehmen können. Für sie wäre dies insbesondere bei kleinen Beträgen (Micropayments) eine Erleichterung, bei denen ihre Entgelte oft nicht im Verhältnis zum Umsatz stehen. Den Snack auf dem Markt in Helsinki bezahlt man dann bequem mit der gleichen App wie in Berlin oder auf Mallorca. Das wäre nicht zuletzt dort von Vorteil, wo P2P-Zahlungen bisher relativ selten genutzt werden, zum Beispiel in Deutschland oder Frankreich. Ebenso wäre eine Einbindung des digitalen Euro denkbar, sollte er denn kommen (siehe c’t 4/2022, S. 108).

Auch darüber hinaus könnten sich für den Handel Vorteile ergeben: EPI würde in den Wettbewerb mit den amerikanischen Zahlungsdienstleistern – insbesondere Mastercard, Visa und PayPal – eintreten und könnte für ein günstigeres Preisniveau sorgen. Im Idealfall geben die Händler die niedrigeren Entgelte an die Kunden weiter; zugleich könnte die Konkurrenz die Preispolitik der drei genannten Firmen dämpfen. Auch unternehmenspolitische Entscheidungen wie Mastercards Abkündigung seines Bezahlnetzwerks Maestro (c’t 24/2021, S. 31) hätten weniger gravierende Auswirkungen.

Die Befürworter von EPI verweisen darüber hinaus auf die geopolitischen Vorteile, sprich: die Unabhängigkeit von Diensten aus Übersee. Welche Folgen Finanzsanktionen einer US-Regierung haben könnten, erfährt derzeit Russland – über die oft erwähnten Ausschlüsse aus dem internationalen Zahlungsnetzwerk SWIFT hinaus haben auch Mastercard und Visa das Land von ihren Systemen abgehängt. Zwar könnte SEPA solche Einschränkungen zumindest innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums teilweise auffangen, allerdings hängt der Einzelhandel in zahlreichen Ländern stark von Netzwerken ab, die Visa und Mastercard bereitstellen.

Ende 2020 präsentierte die EPI auf ihrer Webpräsenz 31 Banken und die zwei Zahlungsdienstleister Worldline und Nets (heute Nexi) als Partner; mittlerweile ist die Zahl auf elf plus zwei geschrumpft.

Wirtschaftliche Risiken

Trotz aller Vorteile sehen Zahlungsverkehrsexperten das Risiko, dass EPI die hohen Startkosten nicht refinanzieren kann. Im Gespräch waren zunächst 1,5 Milliarden Euro, allerdings erwarteten die Beteiligten, dass in der Folge weitere Investitionen erforderlich sein würden. Entgegen der Hoffnungen mancher Beteiligter will sich die EU bisher nicht mit öffentlichen Geldern beteiligen.

​Als Achillesferse des Projekts betrachten viele Beobachter den geringen Mehrwert gegenüber etablierten Bezahlsystemen und dem eingespielten Nutzungsverhalten in den einzelnen europäischen Ländern. So hat Deutschland mit der Girocard im stationären Einzelhandel sowie mit Rechnungskauf und SEPA-Lastschrift im Onlinehandel häufig genutzte, eingeschliffene Verfahren – einen etwaigen Wechsel müssten die deutschen Kunden ebenso mittragen wie beispielsweise die Niederländer, die über ihr nationales System iDEAL mehr als zwei Drittel ihrer Onlinebestellungen bezahlen, an der Ladenkasse aber häufig auf das Maestro-System von Mastercard setzen.

Spaniens Banken wiederum haben mit „Bizum“ erst vor wenigen Jahren ein nationales P2P-System aufgebaut, das sie nicht ohne Weiteres wieder aufgeben wollen. Auch die deutsche Kreditwirtschaft ist mit Giropay-Paydirekt gerade im Begriff, ein nationales Verfahren für P2P und Onlinehandel einzuführen. Dissens gab es unter den Banken daher zusätzlich darüber, ob EPI die bestehenden nationalen Systeme miteinander verknüpfen oder ein komplett neues Bezahlsystem aufsetzen soll – ersteres würde zwar den Übergang vereinfachen, wäre aber wesentlich kostspieliger.

Erschwerend kommt die bislang schleppende Einführung der SEPA-Echtzeitüberweisung hinzu. Bieten Kreditinstitute sie ihren Kunden an, erheben sie häufig gesonderte Gebühren – auch, um die Investitionskosten wieder einzuspielen. Damit aber wäre eine Kernfunktion des EPI-Projekts für den normalen Kunden zu teuer und beispielsweise gegenüber P2P-Transaktionen von PayPal nicht mehr wettbewerbsfähig.

Auch bei der nun angepeilten EPI-Light-Variante gibt es daher keine Gewissheit, ob die Endkunden sie am Ende annehmen. Nutznießer dürften dann die amerikanischen Platzhirsche sein. Abgesehen von ihrer gut geölten Lobbymaschine haben sie den unabweisbaren Vorteil, dass sie in allen europäischen Ländern vertreten und in den Alltag integriert sind – und Kunden sie an der Kasse wie im Onlinehandel bereits heute länderübergreifend nutzen. (mon@ct.de)

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