c't 7/2019
S. 62
Hintergrund
Musik-Streaming
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Bild: Albert Hulm

Ade, du schöner Klang

Was mit der Musik passiert, wenn die CD stirbt

Knapp 40 Jahre nach ihrer Geburt ist die Audio-CD vom Aussterben bedroht. Ihr Erbe übernehmen Streaming-Dienste, deren Klang als minderwertig gilt. Dabei können sie die Klangqualität sogar verbessern.

Schaut man auf die vorläufigen Zahlen der Musikindustrie, dann wurden in Deutschland im vergangenen Jahr weniger als 50 Millionen CDs verkauft – im ersten Halbjahr 2018 brach der Umsatz um 25 Prozent ein. Das erinnert an den Niedergang der Vinyl-Schallplatte: Von 1990 bis 1992 stürzte deren Absatz von 45 Millionen auf 5 Millionen LPs ab. Wenn sich die Geschichte wiederholt, dann gehören auch Silberscheiben bald zum seltenen Luxusgut, das sich nur noch gut betuchte Hörer leisten.

Schon heute bekommt man viele Alben nicht mehr auf CD. Die große Masse der Hörer streamt Musik nur noch und nimmt damit klangliche Einbußen in Kauf. Denn Dienste wie Spotify und iTunes setzen auf verlustbehaftete Kodierverfahren wie Ogg Vorbis, AAC und MP3, um bei der Übertragung Bandbreite zu sparen. Andere Anbieter wie Deezer und Tidal offerieren für einen stattlichen Aufpreis hingegen verlustfrei komprimierte Streams. Im Artikel ab Seite 64 untersuchen wir, welche Auswirkungen das hat: Gibt es Unterschiede zwischen den eingesetzten Kompressionsverfahren? Welche davon kann man messen und welche hört man auch?

Der Loudness War

Abseits der Codecs beeinträchtigen jedoch noch weitere Aspekte den Klang. So tobt noch immer der sogenannte Loudness War. Er beruht auf dem Phänomen, dass ein Hörer bei zwei ansonsten identischen Stücken stets die lautere Version bevorzugt – da genügen bereits kleine Unterschiede. In der digitalen Welt lässt sich Musik jedoch nicht beliebig lauter machen. Es gibt eine feste Grenze von 0 dBFS (Dezibel Full Scale), über den kein Paukenschlag hinausragen kann. Wenn ein Song insgesamt lauter wird, dann rückt diese 0-dBFS-Grenze immer näher und verhindert, dass besagter Paukenschlag einen Akzent setzen kann. Doch mit Kappung der Pegelspitzen bricht nicht nur die Dynamik ein, sondern es verändert sich auch der Frequenzgang, was zum Teil eklatante Auswirkungen auf den Sound hat.

In der Musikproduktion ist es Aufgabe eines Mastering-Ingenieurs, solche Klangveränderungen zu prüfen und nötigenfalls zu korrigieren. Ein gutes Mastering kann den Klang eines Stücks dramatisch verbessern. Doch Streaming-Dienste stellen die Klangmeister vor neue Probleme: Mussten sie zuvor nur eine Song-Referenz beim CD-Presswerk abliefern, so haben sie bei Streaming-Anbietern oft keine Kontrolle mehr darüber, welche Version der Zuhörer letztlich vorgesetzt bekommt. Darüber entscheidet nun ein Algorithmus. Allein Spotify kann einen Song in vier verschiedenen Lautstärken mit drei unterschiedlichen Bitraten wiedergeben. Die zwölf Permutationen haben kaum kalkulierbare Abweichungen in Frequenzspektrum, Dynamik und Stereobreite zur Folge, die ein Mastering-Ingenieur weder prüfen noch korrigieren kann.

Streaming-Dienste verändern die Lautstärke, damit ihre Programme besser durchhörbar werden. In einer gemischten Playlist würde sonst ein leiser Song nach einem lauten untergehen. Die automatischen Lautstärke-Anpassungen arbeiten jedoch nicht immer korrekt und spielen manche Songs lauter ab als andere – was zu einem neuen Kapitel im Loudness War führt. Schwer haben es auch dynamische Konzeptalben, die absichtlich die Lautstärke einzelner Songs reduzieren. Automatische Lautheitsanpassungen sind damit zuweilen überfordert, wie unsere Analysen zeigen.

Besser als CD?

Abhilfe verspricht ein neuer Codec namens MQA (Master Quality Authenticated), den der Streaming-Anbieter Tidal einsetzt. Das in Großbritannien entwickelte Format ist abwärtskompatibel zu normalen Wave- und FLAC-Dateien. Einerseits soll es sicherstellen, dass die vom Mastering-Ingenieur abgelieferte Musikdatei durch keinen Algorithmus mehr klanglich verändert wurde. Andererseits soll es sogar eine bessere Klangqualität ermöglichen als eine Audio-CD, zumals es mit satten 24 Bit eine deutlich größere Dynamik erzielen kann.

Während viele Musikproduzenten das Verfahren begrüßen und spezielle MQA-Versionen ihrer Alben auf Tidal veröffentlichen, stößt der Codec in audiophilen Kreisen auf Kritik: MQA arbeite nicht verlustfrei und würde die Musikdateien mit einem Digital Rights Management (DRM) versehen. Was davon wahr ist und was nicht, analysieren wir ab Seite 70. Zudem klären wir dort, wie leises Rauschen (Dithering) den Klang digital aufgezeichneter Musik verbessern kann und welche Bedeutung größere Bit-Tiefen und höhere Samplingraten haben, von denen audiophile Hörer so sehr schwärmen.

Damit Sie die Unterschiede nachverfolgen können, haben wir unter ct.de/ypmw kurze Hörproben veröffentlicht. Sie verdeutlichen etwa , wie sich die verschiedenen Codecs und Dithering-Methoden auf die Dynamik auswirken. Zur besseren Demonstration haben wir die Lautstärke der Effekte angehoben, damit Sie die Unterschiede auch ohne teures Audio-Equipment problemlos hören können.(hag@ct.de)