c't 4/2019
S. 3
Editorial
Markus Montz

Wohl und Wehe der Patientenakte

Die Vorteile einer elektronischen Patientenakte liegen auf der Hand. Kommt ein Arzt schnell an die Behandlungsgeschichte eines Patienten, spart ihm das Zeit bei der Diagnose. Er könnte Doppelmedikation vermeiden. In Notfällen käme er an wichtige Informationen. Und so weiter.

So gesehen ist es positiv, dass die Bundesregierung eine elektronische Patientenakte einführen will: bis Anfang 2021, zentral gespeichert, verbindlich für Ärzte und viele weitere Angehörige der Heilberufe. Diese müssen gesetzlich Versicherten dann auf Wunsch Berichte, Rezepte et cetera in die Akte stellen. Die Patienten sollen die Datenhoheit behalten: Wer in welcher Situation darauf zugreifen darf, entscheiden sie selbst.

Der Preis für diesen medizinischen Segen könnte allerdings hoch sein. Schließlich sind etliche Krankheiten immer noch gesellschaftlich stigmatisiert und Schwangerschaften in vielen Firmen ungern gesehen. Daher kann es fatale Konsequenzen haben, wenn eine Behandlungsgeschichte beim Arbeitgeber, Vermieter oder politischen Gegner landet. Da in der elektronischen Patientenakte die Diagnosen aller behandelnden Ärzte enthalten sein können, wäre folgerichtig absolute Sicherheit erforderlich.

Das Problem: Die gibt es nicht. Umfangreiche Dateninfrastrukturen besitzen Schwachstellen, so wie alle komplexen technischen Systeme. Mehr noch: Heutige State-of-the-art-Verschlüsselung ist in höchstens 20 Jahren lächerlich. Mit heute abgefischten Gesundheitsdaten kann man vielen Betroffenen aber auch dann noch das Leben zur Hölle machen.

Die Bundesregierung - nein, wir alle! - sind gefordert, dieses komplexe Thema intensiv zu diskutieren. Gerade schwer Kranke müssen jede Hilfe bekommen und würden meist sofort freiwillig Zugriff gewähren. Gerade sie könnten aber von späteren Datenlecks besonders betroffen sein. Diesen Widerspruch gilt es aufzulösen. Daher sollte die Patientenakte aus meiner Sicht für den Moment gestoppt werden. Da wir hundertprozentige Datensicherheit nicht versprechen können, müssten wir zuerst lernen, mit Gesundheitsdaten diskriminierungsfrei umzugehen – vor dem Gesetz und im täglichen Miteinander. Das klingt unmöglich, hätte aber zwei Vorteile: Angreifern fehlt der Anreiz und den Menschen könnte besser geholfen werden. Auch weil sie mit ihren Krankheiten offen umgehen könnten. Wäre das nicht großartig?

Unterschrift Markus Montz Markus Montz

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