c't 17/2019
S. 76
Reportage
Freifunk: Communities
Aufmacherbild

Gemeinsam funken

Zu Besuch bei Freifunk-Communities in Stadt und Land

Hinter dem ehrenamtlich organisierten Bürgernetz Freifunk stecken viele unterschiedliche Menschen. Wer sind die Freifunker und was treibt sie an, ihre Zeit und manchmal auch ihr Geld in ein gemeinschaftliches Netzwerk zu stecken?

Unweit vom Leineufer, in einer Klinkerbau-Anlage voll mit Graffiti, Bauzäunen und selbst gebauten Möbeln aus Paletten, hat sich der Hannoveraner Hackerspace Leinelab eingemietet. Es ist Donnerstagabend, Zeit für das wöchentliche Freifunk-Treffen. Im ersten Geschoss ist eine Art Gruppenraum, Getränkekästen mit Mate und Cola stapeln sich an der Wand. In allerlei Regalen, die bis zur Decke ragen, liegen Elektronik, Rechnerbauteile und Lötkolben. Um einen großen quadratischen Tisch in der Raummitte sitzen über ein Dutzend Männer. Vom Studenten bis zum Rentner ist jede Altersklasse vertreten. Vor ihnen stehen Laptops, hier und da ein Pizzakarton und etliche WLAN-Router. Sie diskutieren über Router-Modelle, Standorte für Antennen und wie es um das Freifunk-Netz in dieser oder jener Ecke bestellt ist. Die anwesenden Freifunker begrüßen Neulinge freundlich und geben Tipps.

Bernd Schittenhelm (l.) und Tobias Holst engagieren sich bei Freifunk Hannover.
Sie tauschen sich auf den wöchentlichen Treffen mit anderen aus und helfen Neulingen.

Zu den erfahrenen Freifunkern zählt auch Bernd Schittenhelm. Der Informatiker betreut eigentlich bei einem größeren Systemhaus Firmenkunden, aber in seiner Freizeit engagiert er sich im Vorstand des Freifunk-Vereins Fnorden. Jetzt am Abend diskutiert er mit den anderen zum Beispiel, ab welcher Größe es sinnvoll ist, ein Netz in kleinere Segmente zu teilen. Während das Stimmengewirr zunimmt, verziehen sich einige in die Werkstatt, um mit dem Lötkolben den Speicher eines beliebten, aber unterdimensionierten WLAN-Routers aufzurüsten.

Digitales Glas Wasser

Einige Tage später, im ruhigeren Ambiente als dem Gewusel des Freifunk-Abends, treffe ich mich mit Bernd Schittenhelm. Mit dabei ist Tobias Holst, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seiner Doktorarbeit über Medizininformatik schreibt. Während seines Mechatronik-Studiums stieg er bei Freifunk ein und betont: „Es geht nicht um ein paar Nerds. Freifunk, das ist ein Mitmachnetz.“ Bernd Schittenhelm sieht es sehr grundsätzlich: „In einer digitalen Gesellschaft ist freier Zugang zu Kommunikation Grundversorgung, wie ein digitales Glas Wasser.“ Kein Wunder, dass sie nicht nur Hannover vernetzen, sondern auch die umliegende Region, wie das Schwimmbad in Pattensen oder ein soziokulturelles Zentrum in Hameln.

Beide berichten von Einladungen der umliegenden Gemeinden. „Meistens ist es ein Politiker aus der Bürgerschaft, der davon gehört hat und uns einlädt“, erläutert Bernd Schittenhelm. In Vorträgen oder Ausschusssitzungen erklären die beiden dann das Einmaleins von Freifunk. Aber von sich aus bittet Schittenhelm niemanden mehr, einen Router aufzustellen: „Werbung für Freifunk macht keinen Sinn. Die Leute müssen von sich aus überzeugt sein.“

Anfangs hätten sie noch vorkonfigurierte Router verteilt. Davon seien gut ein Drittel verschwunden. Tobias Holst pflichtet ihm bei: „Wenn man die Leute selbst motiviert, Freifunk-Router einzurichten und aufzubauen, dann laufen die Geräte länger. Obwohl für uns ein fertig konfigurierter Router einfacher wäre.“ Beide betonen den gemeinschaftlichen Aspekt an Freifunk. Schittenhelm ergänzt: „Man darf nicht den Fehler machen, Freifunk als Dienstleister zu sehen.“ Es brauche Verantwortliche vor Ort, die sich um die lokale Installation kümmern. In Hannover sind sie froh, ein großes Kernteam zu sein.

Ihren Nachwuchs ziehen sie vor allem aus jüngeren Jahrgängen der technischen Studiengänge, wie einst Tobias Holst. Ihn fasziniert es, über Freifunk mehr über größere Netzwerke zu lernen und dafür effiziente Lösungen zu finden, etwa den Flaschenhals an einem beliebten Standort zu beseitigen. Für Bernd Schittenhelm ist Freifunk ein Gegenpol zum Job. Bei der Arbeit bekommt er oft nur eine Rückmeldung, wenn etwas nicht wie erwartet läuft. „Bei Freifunk ist das Feedback meist positiv. Die Leute freuen sich, dass es funktioniert.“

Funken und grillen

Einige Wochen später, die Sonne brennt unerträglich über der Berliner Innenstadt: Gleich an der Spree liegt einer der ältesten Hackerspaces, die c-base. Ein Vereinsheim für Nerds, dessen Innenleben einer dystopischen Raumstation nachempfunden ist. Es ist das Wochenende nach Christi Himmelfahrt, an dem sich seit über fünfzehn Jahren Freifunker aus ganz Deutschland zum „Wireless Community Weekend“ treffen. Dieses Jahr ist es mit dreißig Besuchern recht familiär, denn die gleichzeitig stattfindende Gulaschprogrammiernacht in Karlsruhe ist eine starke Konkurrenz. In der c-base gibt es ein kleines Vortragsprogramm, dem einige lauschen. Andere Teilnehmer chillen am Ufer im Schatten der Bäume oder besprechen über ihre Laptops gebeugt technische Details. Zwischen den Vorträgen verkauft Sven Wagner, besser bekannt als cven, an der c-base-Theke Getränke, was er durch laute Rufe Richtung Ufer ankündigt. Er war dabei, als sich vor fast 20 Jahren in der c-base Enthusiasten freier Netzwerke trafen und Gruppen bildeten, von denen Freifunk nur eine war. Wie cven sind auch Elektra Wagenrad und Monic Meisel Pioniere der Szene.

Elektra Wagenrad (l.) und Monic Meisel haben Freifunk von Anfang an entschieden mitgeprägt.

Tote Glasfaser

Von Monic Meisel stammt das ikonische Freifunk-Logo mit den pinken Kreisen und den gelben Pfeilen. Sie sitzt am Spreeufer und schwärmt von den Anfangstagen: „Den Namen Freifunk habe ich mit einem Freund erfunden, eines schönen Abends beim Rotwein.“ Für sie fing es im Jahr 2001 damit an, dass ein Arbeitskollege ihr von der Ideen einer nicht-kommerziellen Internet-Infrastruktur erzählte. „Mich hat nicht nur der technische Aspekt begeistert, sondern auch die soziale Idee des gemeinschaftlichen Bauens, selbst Dinge tun, Hilfe zur Selbsthilfe“, berichtet Meisel, die zu der Zeit in einer Agentur arbeitete.

Gerade in Berlin fielen die Initiativen auf fruchtbaren Boden. Nach der Wende hatte die Telekom in den neuen Bundesländern und Ostberlin moderne Glasfaser verlegt, aber darüber keine Breitbandanschlüsse angeboten. Gleichzeitig boomte DSL auf dem alten Kupferdraht. „Es gab damals wie heute noch das Problem des Marktversagens“, beschreibt Meisel die Lage. „Leute, die einfach nicht ans Internet angebunden sind und daher auch nicht an der zunehmend digitalen Gesellschaft teilnehmen können.“ Gemeinsam mit Mitstreitern gründete sie 2003 den Förderverein Freie Netzwerke. Es entstand die Plattform Freifunk.net, über die weitere Gruppen unterstützt werden sollten.

Rückschlag Störerhaftung

Zunächst war das Interesse groß, Antennen wurden selbst gebaut und Kirchtürme vernetzt. Erst als die Telekom doch den Breitband-Ausbau vorantrieb, sprangen die ersten Nutzer wieder ab. „Das war dann doch bequemer“ resümiert Meisel. „Es ist ja schon ein Aufwand: Man muss es selber bauen und sich mit der Technik auseinandersetzen.“ Viele beteiligten sich aber weiter an Freifunk, bis das Urteil zur

Störerhaftung dem Projekt einen Rückschlag versetzte. „Das war der krasseste Einschnitt. Da haben ganz viele Angst bekommen“, erinnert sich Meisel. Danach blieben zunächst nur die Enthusiasten und Aktivisten am Ball.

Es dauerte eine Weile, bis mittels VPN-Tunnel über Schweden die Störerhaftung umgangen wurde. „Da haben wir gezeigt, dass das Internet nicht so eine räumlich auf Ländergrenzen beschränkbare Sache ist“, grinst die Aktivistin. Sie widmete sich intensiv der Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit; sehr viele neue Communities gründeten sich und das Medieninteresse stieg. Auch politische Ereignisse, wie die Debatte um Netzneutralität, die Snowden-Enthüllungen oder der arabische Frühling gingen an den Netzaktivisten nicht vorbei. „All diese Ereignisse machten den Leuten bewusster, dass ein eigenes Netz bedeutet, dass wir auch selber die Regeln in diesem Netz machen können.“ Das und der Bedarf an öffentlichem WLAN befeuerte einen erneuten Freifunk-Boom, der zu mittlerweile über 450 aktiven Communities im deutschsprachigen Raum geführt hat.

Politische Stolpersteine

Monic Meisel sieht ihre Rolle vor allem in der Öffentlichkeitsarbeit und der Vertretung der politischen Interessen der Freifunk-Communities. Neben Logo und Website habe sie mit dem Förderverein immer wieder Kampagnen und Pilotprojekte mit angeschoben. So förderte die Medienanstalt Berlin-Brandenburg den Freifunk-Backbone der Hauptstadt und veröffentlichte eine Broschüre, die unter anderem Politikern und Verwaltungen das Prinzip von Freifunk erklärt.

Während des Wireless Community Weekend tauschen sich die Freifunker beim gemeinsamen Grillen auch außerhalb der Vorträge aus.

Die Betriebswirtin Meisel ist gut vernetzt und kümmert sich als Vorstand vom Förderverein auch um die Lobbyarbeit. „Es ist zäh, es ist langsam“, beschreibt sie zerknirscht den Austausch mit Politikern. Die uneinheitliche Anerkennung von Freifunk als gemeinnützig frustriert sie. Obwohl Regierung und Opposition sich einig sind, kommt das Gesetz nicht voran. „Mir fehlt an der Stelle die Wertschätzung. Und da habe ich auch nichts davon, wenn ich die Hände von Politikern schütteln darf.“ Andererseits hat sie durch Freifunk viel gelernt – weit über die technische Ebene hinaus. „Man trifft engagierte Leute aus aller Welt, mit spannenden Ideen. Die Vielfalt finde ich faszinierend.“

Maschen im Protokoll

Elektra Wagenrad ist eine dieser Personen mit speziellen Ideen. Sie hat entschiedenen Anteil daran, wie Freifunk heute technisch funktioniert. Mit vierzehn Jahren war Elektra Wagenrad begeistert vom Amateurfunk, aber auch schnell genervt vom Morsecode. Doch die Kommunikation über Funk sollte sie nicht loslassen. Als halb Friedrichshain kein Breitband hatte, half sie dabei, ein selbstorganisiertes Internetcafé über eine Richtfunk-Strecke zu versorgen. „Um die Kosten zu reduzieren, haben wir die Antennen selber gelötet“ erzählt sie. „Ich bekam dann den Tipp, dass sich in der c-base eine Freifunk-Gruppe trifft.“ Doch wie gestaltet man ein Netzwerk unter Gleichen, ganz dezentral? „Es gab die Idee der Mesh-Netzwerke und wir organisierten 2003 einen Workshop mit dem Protokoll Mobilemesh dazu.“ Der erste größere Ansatz, OLSR (Optimized Link State Routing), basierte auf einem Standardisierungs-Entwurf der Internet Engineering Task Force (IETF). „Das war ein Reinfall“, ist Wagenrads vernichtendes Urteil. „All die theoretischen Ansätze taugten in der Praxis nicht.“ Sie und ihre Mitstreiter probierten OLSR 2004 auf der „Wizard of OS“-Konferenz im Berliner Congress Center aus. Die Veranstaltung im Spannungsfeld von Technik, Kultur, Politik und Philosophie war ein ideales Testfeld. Das Ergebnis war ernüchternd.

Protokoll im Eigenbau

„Ich habe mir daraufhin mit Thomas Lopatic das Verhalten von OLSR genau angeschaut.“ Elektra Wagenrad wusste von früheren Tests mit einem anderen Protokoll, dass die Verbindungsqualität einer Route viel entscheidender für die Performance ist als die Anzahl der Hops. Sie krempelten OLSR um, indem sie die Parameter umkonfigurierten, aber Endlosschleifen in den Netzwerkrouten und Skalierbarkeits-Probleme setzten ihnen Grenzen. „Wir haben dann Anfang 2006 mit B.A.T.M.A.N. ein neues Protokoll entwickelt.“ Den Speicherverbrauch minimierten sie, indem die Klients nicht mehr alle Knoten kannten, sondern nur noch die unmittelbaren Nachbarn. „Nach drei bis vier Monaten Entwicklungszeit war B.A.T.M.A.N. brauchbar.“ Gleichzeitig hob sie mit Axel Neumann die Website open-mesh.org aus der Traufe, um eine Plattform für den Austausch zu schaffen. Mittlerweile ist das Nachfolge-Protokoll B.A.T.M.A.N. Advanced (batman-adv) das verbreitetste Mesh-Protokoll im Freifunk. Sie selbst hat sich aber aus der aktiven Entwicklung rausgezogen. Auf die heute oft im Kern zentralistische Struktur von Freifunk-Netzwerken, mit VPN-Verbindungen von den WLAN-Routern zu den jeweiligen Freifunk-Servern, blickt sie etwas kritisch: „Die Dezentralität war für uns ‚Ältere’ immer das Ding.“ Do-it-yourself-Netzwerke sollten ihrer Ansicht nach mehr auf Mesh statt Access Points setzen. „Ich bin da Fundamentalistin“, gesteht Elektra Wagenrad etwas ironisch.

Freifunk als Provider

Philip Berndroth verbindet mit der Richtfunk-Antenne auf dem historischen Wassertum Freifunk-Knoten in Essen-Steele mit der Innenstadt.

Einen Monat später in Essen-Steele, unweit der Ruhr. Entgegen der Ruhrpott-Klischees ist hier alles Grün. Aus den Bäumen ragt ein historischer Wasserturm hervor, der mittlerweile restauriert ist und einem lokalen Software-Unternehmen als Firmensitz dient. Philip Berndroth von Freifunk Rheinland hat den Wasserturm als Treffpunkt vorgeschlagen. Auf dessen Dach hat er eine Richtfunk-Antenne installiert. Bei Philip Berndroth gehen Beruf und Hobby ineinander über. Direkt nach der Schule gründete er mit Freunden eine Firma. Zunächst begannen sie mit Software-Entwicklung, aber nun sind sie als Provider für Geschäftskunden aktiv. Berndroth treibt der netzpolitische Aktivismus an: „Was wir alle brauchen, ist ein freies Internet, einen gewissen Spirit, dass das unzensiert ist“, sagt er gleich zu Beginn.

Als die Störerhaftung Freifunk auf die Füße fiel, entschieden sie sich beim Freifunk Rheinland, den Datenverkehr nicht über Schweden umzuleiten. Stattdessen meldeten sie den Verein als Provider bei der Bundesnetzagentur an. „Wir haben das ganz bewusst gemacht, weil es das Providerprivileg gab“, erklärt Berndroth den Schritt. Damit konnte der Verein bei Urheberrechtsverletzungen nicht direkt kostspielig abgemahnt werden, sondern erst bei Untätigkeit. Für die Anmeldung konnte der Jungunternehmer seine Expertise einsetzen: „Da geht einher, dass man ein Sicherheitskonzept abgeben muss, registriert wird und eine Urkunde erhält.“ Über die Jahre hatte der Verein etwas Geld angespart. Davon schafften sie einen Server mit 10-GBit-Netzwerk an, um diesen mit dem Internetknoten DE-CIX in Düsseldorf zu verbinden. Außerdem zahlten sie die Aufnahmegebühr bei der europäischen Internetgesellschaft RIPE und dienten fortan mit eigener Infrastruktur den regionalen Freifunk-Gruppen als VPN-Endknoten ins Internet. Später förderte das Land NRW diesen Freifunk-Backbone.

Auf dem platten Land

Richtfunk ist das große Thema an der Nordsee, in Wittmund nahe Wilhelmshaven. Der umtriebige Student Adrian Heeren hat fast im Alleingang seine ostfriesischen Heimatstadt samt Umgebung mit Freifunk ausgestattet. Auf dem Wireless Community Weekend in Berlin stellte er bereits seine diversen Projekte vor. Noch zu Ausbildungszeiten begann Heeren, die Fußgängerzone von Wittmund mit kostenlosem WLAN auszustatten. Bei seiner Recherche stieß er auf Freifunk und war gleich begeistert. „Ich fand diese Kombination faszinierend aus dem Hardwareverständnis, das man bei Freifunk braucht, um diese Software zu entwickeln, aber auch das soziale Engagement, was nötig ist, um in Kneipen oder so den sozialen Gedanken von Freifunk verständlich zu machen.“ Diesen sozialen Ansatz sieht er aber auch in der technischen Netzwerk-Struktur. „Der Meshing-Gedanke, dass man das Signal weiter verteilten kann über Bezirke hinweg und so sich sein eigenes Netzwerk aufbaut.“

In seiner ostfriesischen Heimat hat Adrian Heeren über Freifunk mehrere Orte miteinander verbunden. Er stellt sich gerne Herausforderungen, wie einen Campingplatz so mit Freifunk zu vernetzen, dass selbst zur Fußball-WM die Streams nicht abreißen.
Die Outdoor-Router

Was er in den letzten fünf Jahren an Freifunk in seiner Heimatstadt auf die Beine gestellt hat, ist sowohl von der Masse als auch in der technischen Umsetzung beeindruckend. Der Fußgängerzone folgten Rathaus, Seniorenzentrum, ein Kirchturm bis hin zum Campingplatz gleich hinterm Deich. „Mich hat es zum Schluss auf die Dächer verschlagen“, resümiert Adrian Heeren. „Ich interessiere mich schon ewig für Antennen- und Funktechnik und Freifunk hat mir da die Spielwiese gegeben.“ Saubere Kabelkanäle, ordentliche Serverschränke und bemerkenswerte Antennenkonstruktionen zeugen von seiner Ausbildung zum Elektriker für Geräte und Systeme. Stadtbekannt als „der mit dem WLAN“, fragte die Kirchengemeinde, ob er nicht mit einer Funkstrecke den Gottestdienst per Video ins Seniorenzentrum Johanneshaus übertragen könnte. „Da hatten wir uns gleich zwei Funkstandorte gesichert: an der Nikolaikirche in der Innenstadt und dann etwas außerhalb das Johanneshaus.“ Letzteres diente den Wittmunder Freifunkern als Ausgangspunkt für das nächste Projekt.

Die Freifunk-Installation auf dem Kirchturm ist hinter dem Geländer versteckt, um nicht mit dem Denkmalschutz in Konflikt zu kommen.

Richtfunk über sieben Kilometer

Innerhalb von Wittmund ging es vor allem um einen kostenlosen, unkomplizierten Netzzugang, auch für die Touristen. „Irgendwann kam eine Mail aus dem kleinen Örtchen Sandelermöns“, erinnert sich Adrian Heeren. Abgeschnitten vom Breitband-Ausbau kam die Idee auf, mit Freifunk die weißen Flecken auf der Abdeckungskarte zu tilgen.

Aus einer Disco-Traverse bauten Adrian Heeren und seine Mitstreiter einen Funkturm am Dorfgemeinschaftshaus in Sandelermöns.

„Sieben Kilometer sind kein Pappenstiel“, unterstreicht der Freifunker die Herausforderung. Auf einem Kleinanzeigen-Portal entdeckten er und seine Mitstreiter eine Aluminium-Traverse aus einer Diskothekenauflösung in Süddeutschland. „Wir haben uns einen Anhänger ans Auto gehängt und sind mit 100 km/h runter gehiekelt und haben zwanzig Meter Traverse abgeholt“, beschreibt Heeren die Aktion mit friesischem Understatement.

Der Funkturm auf dem Altenheim in Wittmund verteilt die dort im angemietete Internetverbindung in die Umgebung.

Mit der Traverse bauten sie mit dem Dorfbürgerverein einen Funkturm ans Gemeinschaftshaus, gerade so hoch, dass keine Baugenehmigung nötig war. „Das Internet kommt vom Johanneshaus zum Dorfgemeinschaftshaus. Von da aus geht es mit anderen Antennen in die Fläche, damit sich die Anwohner anschließen können“, erklärt Heeren das Prinzip. „Die Häuser haben alle eine kleine Schüssel am Haus, die genau auf den Antennenmast zeigt und dann haben die auch eine stabile Verbindung von etwa 30 MBit.“

Die Richtfunkstrecke zwischen Altenheim und Kirchturm überträgt nicht nur die Internetverbindung in die Innenstadt, sondern auch den Gottesdienst in den Gemeinschaftsraum des Seniorenzentrums.

Weitere Dörfer anzubinden reizt ihn nicht, obwohl er helfen würde. „Da muss man auch Spaß und Lust dazu haben.“ Ihn lockt die technische Herausforderung. Dem Turmbau folgte daher die Versorgung des Campingplatzes in Harlesiel mit Internet. „Da kam was ganz anderes. Wir konnten sagen, jetzt machen wir Tiefbau, verlegen Glasfaser mitten im Schlamm, das muss auch sein“, erzählt er lachend. Statt schwindeliger Höhen hantierte Heeren mit Erdraketen. Am Ende der Leitungen stehen aber trotzdem Freifunk-Router montiert auf Laternenmasten. Die hat er natürlich wieder gebraucht über Kleinanzeigen organisiert. (ktn@ct.de)