c't Retro 2018
S. 8
Szene
Die Retro-Szene
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Restore, reboot, replay

Die Retroszene, der Spaß am Gerät und der ganze Rest

Sie denken, Sie seien schon „retro“, nur weil Sie Ihr Computerschätzchen nicht wegwerfen? Dann sollten Sie erst mal sehen, was andere in der Retro-Szene tun.

Die einen nennen es sehr wissenschaftlich Computerarchäologie, für die anderen sind es Computersammler oder – etwas extravaganter – Retrotopia-Fans.

Wer sich mit alten Computern beschäftigt, tut das aus den absonderlichsten Gründen: Manche sind Kämpfer gegen das digitale Vergessen, andere hingegen Anthropologen, welche die Frühgeschichte des Silicon Valley als Beschreibung einer untergehenden Kultur betrachten. Und dann gibts die Unpolitischen und Unphilosphischen, die in ihrer Scheune alte Technik bloß als Bestandteil ihres Hippie-Lebens konservieren, als der Media-Van von der AntFarm herumfuhr, mit einem Bildschirm-Terminal auf dem Anhänger.

Andere treibt die Leidenschaft, alte Technik zu verstehen und wieder zum Laufen zu bringen, obwohl sie längst obsolet geworden ist. Wer sich auf der Website https://retrocomputing.stackexchange.com/ ins Thema einliest, bekommt eine Ahnung, was Bastler in dieser Richtung alles machen: Zum Beispiel olle Home Computer an das neueste 4K-Display anschließen oder Atari- und Commodore-Rechner via Econet verbinden, einer sehr billigen, aber langsamen Netzwerk-Variante.

Für viele ist „retro“ auch schlicht die Rückkehr in die eigene Jugend, als Amiga, Atari und C64 wundervolle Spielgeräte waren und man bis tief in die Nacht hinein daddelte und durch hohe Telefonrechnungen manches tiefes Loch in die Kasse der Eltern riss.

Mach flott den Schrott

Der Japaner Yumato Hirohisa hat beruflich nichts mit Computern zu tun, aber dennoch unterhält er in seiner Wohnung ein kleines privates Apple-Computermuseum. Im Jahr 2000 hatte er auf dem US-amerikanischen Vintage Computer Festival einen Apple 1 ersteigert – aus Respekt vor der Ingenieurleistung von Steve Wozniak. Als Wozniak ihm später das noch erhaltene Handbuch („Red Book“) signierte, weinte Hirohisa vor Freude.

Ganz anders der US-amerikanische Milliardär Nathan Myhrvold. Als ehemaliger Microsoft-Manager hat er einen Job-Hintergrund und für seine Sammlung ließ er klotzen. Sie ist in einem Lagerhaus untergebracht und beschäftigt sogar Assistenten, um die Sammlung in Schuss zu halten. Bizarr: Umgeben von insgesamt fünf Cray-Superrechnern gibt es dort einen Platz, an dem Myhrvold übt, wie Frühmenschen Speerspitzen zu schlagen – Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ lässt grüßen.

Des Sammlers Glück liegt in Regalien.

Das Gegenstück zu einer Cray liefern Bastler, die auf der Basis von Kleinstrechnern wie dem Raspberry Pi alte Computer maßstabgerecht im Miniformat nachbauen, wobei auf dem Pi die entsprechende Emulationssoftware läuft. So gibt es Replica-Bausätze für den Minicomputer PDP-8 aus den sechziger Jahren, einer PDP-8 von der Größe einer Zigarrenkiste oder den handlichen Nachbau einer PDP 11/70. Genau wie beim Modellbau von Flugzeugen oder Schiffen legen die Nachbauern großer Wert auf die detailgetreue Rekonstruktion, immer entlang der Original-Dokumentationen dieser Computer.

Zum Retro-Sein gehört deshalb auch der Besuch zahlreicher Museen, aber auch Firmenarchive, in denen die Dokumentation all dieser Technik schlummert. Sogar der Chipbauer Intel unterhält eine Mischung aus Archiv, Museum und Auskunftei für Menschen, die sich mit alter Hardware beschäftigen.

2017 wurde in Santa Rosa ein Gebäude der Firma Keysight Technologies bei einem Waldbrand vernichtet. Weil die Sprinkleranlage nur auf Feuer ausgerichtet war, das innerhalb der Gebäude entstand, wurde das dort lagernde Firmenarchiv von Hewlett Packard ein Raub der Flammen. Nun liegt die Frühzeit der Firma, die sich vom Messgeräte-Bauer zum internationalen Computerkonzern entwickelte, im Dunkeln.

„Retro“, das ist aber nicht nur Hardware. Auch Software kann zuweilen sehr langlebig sein, weil es nichts Vergleichbares in „neu“ gibt. So berichtete die „Welt“ von einem Commodore Amiga 1000, der seit 1985 über ein 1200-Baud-Modem die Heizung und Lüftung von 19 Schulen steuert, nachdem ein Schüler die Steuerung unter AmigaOS programmiert hatte. Die dafür erforderliche, aber längst nicht mehr produzierte Hardware wird dann schon mal auf Flohmärkten auf Vorrat gekauft.

So ist auf Auktionen und auch sonst der Apple II GS nach wie vor ein begehrter Rechner. Er gehört nämlich zum „Stoll VDU Computerarbeitsplatz“ der Flachbett-Strickmaschine der Reutlinger Firma Stoll. Mit modischen Tischen im Stil der 70er Jahre eingekleidet, gewann der futuristische Computerarbeitsplatz Design-Preise. VDU, die Abkürzung für Visual Design Unit, ist der umgestrickte Name für den Apple-Rechner, an dem ein Digitalisierungs-Tablett, ein hochauflösender Farbmonitor und ein Farbdrucker angeschlossen sind – und eben die Strickmaschine. Der Apple II GS war übrigens nicht der erste Computer, den Stoll einsetzte: Vor Apple nutzte die Firma bereits den ST-111, eine umgetaufte PDP-11 von DEC.

Retro trifft Retro

Bei einem Retro-Treffen wirds schon mal wuselig, hier 2014 bei der VCFBerlin.

Die Annäherung an die Retroszene gelingt am besten auf Treffen, die verschiedene Gruppen und Personen veranstalten. Hier kann man liebevoll präsentierte Computer bestaunen und Fragen stellen. Mitunter sieht man die alte Hard- und Software auch noch in Aktion. Teils nehmen dabei auch ältere Besucherjahrgänge für die Übernachtung mit einem Schlafsack unterm Tisch vorlieb. Derlei Treffen werden häufig von Bastel-Workshops begleitet, manchmal gibt es auch Flohmärkte, denn jeder Sammler ist auch ein Sucher.

Das Vintage Computer Festival Europe (VCFe) ist das älteste und manches Mal auch das größte Treffen der Retro-Szene in Europa, organisiert von Hans Franke. Es findet immer um den 1. Mai herum statt, früher in den Räumen des Eisenbahner-Sportvereins München-Ost, heutzutage im Kulturzentrum Trudering. Neben der Ausstellung alter Rechner bietet das VCFe Workshops und Vorträge zur Computergeschichte an. Es gibt ein sehr nerdiges Quiz und einen kleinen Flohmarkt für alte Hard- und Software.

Einst mussten die ausgestellten Geräte älter als zehn Jahre sein. Diese Regel ist durch eine Art Coolness-Diktat ersetzt worden. Nun dürfen es auch zeitgenössische Computer sein, wenn sie „eine Aussage haben“, zum Beispiel ein No-Name-Pentium-PC, in dem ein Bastler das Kunststück fertig brachte, drei Soundkarten der frühen Multimedia-Zeit (AdLib, Soundblaster, Ultrasound) gleichzeitig zu betreiben. Organisator Hans Franke will mit dem Festival den Erhalt und die Pflege historischer Computer und anderer (E)DV Gerätschaften fördern, das Interesse an „überflüssiger“ Hard- und Software wecken und dabei vor allem den Spaß daran ausleben.

In Berlin trifft sich die Szene auf dem Vintage Computing Festival Berlin (VCFB), zuletzt Mitte Oktober in der Ladestraße des Deutschen Technikmuseums in Berlin. Dort, wo einstmals Güter von der Bahn auf Pferdefuhrwerke und Lastkraftwagen umgeladen wurden, ist nun das Museum zur Entwicklung der Kommunikationsnetze. Schwerpunkt des jährlichen Festivals waren diesmal grafische Nutzeroberflächen. Aber die VCFBs behandeln nicht nur historische Computer, sondern auch historische Betriebssysteme, Software, Programmiersprachen, Netzwerktechnik und andere Geräte – kurz: Alles, was rechnet, inklusive historischer Taschenrechner und Rechenmaschinen. Die Retro-Enthusiasten wollen das Interesse mit Ausstellungen, Vorträgen und Workshops sowie mit viel Spaß wecken.

Auf Basis des Raspberry Pi lassen sich etliche Modelle alter Rechner bauen, hier eine PDP-8 im Kleinformat

Der KC-Club trifft sich seit 1995 jährlich Anfang April an wechselnden Orten im Osten Deutschlands. Alles dreht sich hier um die in der DDR gebauten Kleincomputer KC85 2-4 und die historische Rechentechnik dieser Zeit. In Workshops und Vorträgen geben KC-Experten Tipps zum Erhalt der Rechner. Außerdem tauscht man dort Software und sucht auf dem Hardware-Flohmarkt Komponenten. KC-Rechner und Vorträge über die Computerei in der DDR sind natürlich auch auf anderen Treffen der Retroszene zu finden, doch so und mit eigens passend ausgewählten Veranstaltungsräumen ist das KC-Clubtreffen ein ganz eigenes Format.

Die XzentriX ist das Treffen für – wie die Veranstalter sagen – Computerfreunde, die an ein Leben nach der Standardsoftware glauben. Es findet jeweils Anfang September in einer Halle in Seeshaupt, Bayern, statt und ist den Ataris und Amigas, dem Joyce oder dem BBC Acorn gewidmet. Allem, was sonst noch so 8 Bit über den Bus schaufelt oder aus anderen Gründen Kult-Bonus genießt.

50.000-mal gebaut: So sieht die PDP-8 im Original aus.

Die Classic Computing wird vom Verein zum Erhalt klassischer Computer veranstaltet, jeweils Ende September. Der Verein selbst steht allen klassischen Rechnern aufgeschlossen gegenüber: „Egal, ob Großrechner der 70er, Home-Computer der 80er oder PCs der 90er. Wir haben sie alle.“Es gibt eine Vereinszeitschrift, von denen einige Tipps und Hinweise auch als Artikel über die Homepage abgerufen werden können. Dort findet sich auch eine Wissensdatenbank über das Retro-Computing.

Wer im Rhein-Main-Gebiet wohnt, kann dort mehrmals im Jahr die HomeCon besuchen, ausgewiesen als „Homecomputer- und Konsolentreffen“. Als private Veranstaltung wird die HomeCon seit 2009 vom 1. Hanauer Netzwerkclub ausgetragen. Das verbindende Motto aller HomeCons ist der Spaß am Gerät: „Die alten Fehden ‚Atari gegen Commodore gegen Schneider‘ sind doch längst zu den Akten gelegt. Vom alten Pong über das Atari VCS bis zur Playstation: Spaß machen die doch alle!“ Die Veranstalter ermutigen zur Zusammenarbeit und zum gegenseitigen voneinander Lernen.

Feste Plätze

Wer sammelt und die Festivals besucht, der stellt auch gerne aus. Das geschieht meist in Form von Bildern und Geschichten im Web, in virtuellen Museen, die in aller Welt eingerichtet wurden. Stellvertretend für viele sei die digitale Scheune www.digibarn.com von Bruce Darner genannt, die seit über 20 Jahren besucht werden kann. Bruce Darner versucht, die vielfältigen Verbindungen der frühen Computerkultur mit der Hippie-Bewegung zu konservieren. So finden sich hier die Faksimiles der Newsletter der People’s Computer Company, die zur Lektüre von Steve Wozniak und anderer Hobbyisten gehörten.

Für die virtuellen europäischen Museen hält der deutsche Sammler und VCFe-Organisator Hans Franke ein kurz kommentierendes Verzeichnis parat, siehe ct.de/ym4r.

Daneben gibt es aber auch richtige Museen und öffentlich zugängliche Sammlungen. Die Gesellschaft für Informatik verzeichnet insgesamt 35 Besuchsmöglichkeiten in Deutschland, vom Binarium in Dortmund bis zum Zuseum in Bautzen. Auch die finden Sie unter ct.de/ym4r.

Das größte Museum dieser Art in Deutschland ist das Heinz-Nixdorf-Museumsforum (HNF). Es ist in der ehemaligen Firmenzentrale der Nixdorf Computer AG in Paderborn und stellt Informatik vom Rechnen in Babylon bis zur Einführung ins Programmieren vor. Neben der ständig wachsenden Dauerausstellung veranstaltet das HNF häufig Sonderausstellungen. So wird Ende Oktober ein neuer Ausstellungsbereich unter dem Titel „Mensch, Roboter! – Leben im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz und Robotik“ eröffnet. Im Blog des HNF gibt es regelmäßig „Neues von gestern aus der Computergeschichte“ zu lesen. (mil@ct.de)