c't 24/2018
S. 32
News
Gesellschaftsspiele

Pacman auf Pappe

Wie Brett- und Videospiele zusammenwachsen

Die Welt der Gesellschaftsspiele nähert sich der Videospielwelt immer mehr an und lernt dabei viel von den digitalen Verwandten. Computerspiele wandern aufs Brett, in jeder Box steckt einzigartiges Spielmaterial und Spiele bekommen Updates.

Der Gesellschaftsspiele-Markt wächst und gedeiht: größere Umsätze, neue Ansätze, breiteres Publikum. Viele der analogen oder semi-analogen Games sind auch der Tech- und IT-Welt nahe – sei es, weil sie ihre Wurzeln in der Videospielwelt haben, App-Anbindung bieten oder die Digitalisierung innovativ für sich nutzen.

Retro ist auch auf dem Spieltisch im Trend. IELLO präsentierte bei der SPIEL-Messe in Essen beispielsweise die 8Bit-Box, die wie eine alte Spielekonsole aufgemacht ist und drei Spielmodule mitbringt: den Pacman-Klon Pixoid, den Arcade-Racer Outspeed und die Mini-Olympiade Stadium. Alles analog auf dem Tisch, mitsamt Papp-Gamepads, auf denen man im Geheimen Spielbefehle eingibt, die dann auf dem Spielbrett ausgeführt werden. Ein weiteres Retro-Schmankerl ist Powerup. Mit modularem Spielbrett, Würfeln und Spielmarkern – allesamt mit Artwork in 16-Bit-Pixel-Grafik – bekommt man hier SciFi-Plattforming-Action in 2D auf dem Spieltisch.

Videospiel-Publisher Paradox Entertainment macht wiederum den Schritt von digital zu analog und bereitet derzeit vor, einige seiner beliebten, hauseigenen Strategietitel wie Crusader Kings, Hearts of Iron und Europa Universalis in Zusammenarbeit mit Gesellschaftsspielverlagen als Brettspiele umzusetzen. Wie viele andere Entwickler wenden sie sich zwecks Finanzierung dabei an Fans und Interessierte und hoffen auf Unterstützung – beispielsweise via Kickstarter.

Algorithmen und Videospiel-Anleihen

Retro pur auf dem Spieltisch: Die 8Bit-Box hat Brettspiel-Klone von Videospiel-Klassikern an Bord. Beispielsweise Pixoid – quasi Pacman.

Neue Gesellschaftsspiele schauen sich viel von der Videospielbranche ab und nutzen die Digitalisierung, um zugänglicher, fairer oder atmosphärischer zu werden. Ganz trivial beginnt das bei von Entwicklern produzierten Tutorial-Videos und Regelerklärungen auf YouTube, die man oft über einen QR-Code auf dem mitgelieferten Regelhandbuch erreicht. Komplexer wird es bei neuen technischen Möglichkeiten, die Hersteller dank moderner Algorithmen und Produktionstechniken haben und in immer größerem Stil nutzen.

Fantasy Flight Games beschreitet hiermit neue Wege beim Spieldesign. So ist beispielsweise jedes Exemplar des frisch erschienenen Entdecker-Brettspiels Discover – Lands Unknown einzigartig. Zufalls- und Kompilierungs-Algorithmen in der Produktionskette sorgen dafür, dass die Zusammenstellung aus spielbaren Charakteren, Spielplanteilen, Ereigniskarten, Geschichten und weiteren Elementen in jeder Discover-Box anders ist.

Sieht so komplex aus wie die Vorlage, ist sie auch: die Brettspielvariante von Crusader Kings des Publishers Paradox Interactive.

Das passt gut zum Thema des Spiels: Man landet mit einer Gruppe Entdecker auf einem unbekannten Kontinent, erforscht diesen und muss dabei ums Überleben kämpfen. Dank der Einzigartigkeit jedes Exemplars ist vor dem Öffnen der Box nicht absehbar, ob man in Wüsten- und Gebirgslandschaften, Urwäldern oder Steppen landet – und mit welchen Spielfiguren und vor welchen Herausforderungen diese dann stehen. Besitzt man Discover also selbst, spielt dann jedoch gemeinsam mit Freunden deren Exemplar des Spiels, kann man eine völlig neue Geschichte erleben, auf unbekannte Hindernisse treffen und neue Erfahrungen machen. Die grundlegende Spielmechanik bleibt jedoch gleich.

Spiele mit unterschiedlichen Exemplaren dieses Unique Game genannten Quasi-Genres sind so immer anders, was Wiederspielbarkeit, Abwechslung und Spielgefühl zugute kommt.

Knallbunt und einzigartig – Algorithmen sei Dank: Kein Kartendeck des Fantasyspiels Keyforge gleicht dem anderen.

Das Gleiche gilt für das farbenfrohe Kartenspiel KeyForge von Richard Garfield, bei dem zwei Spieler mit Kartendecks gegeneinander antreten. Ziel ist, es Ressourcen – Aember genannt – zu sammeln, um als Erster drei Schlüssel zu schmieden. Dafür bedient man sich diverser Kreaturen, Artefakte und Zaubersprüche aus sieben Fantasy- und SciFi-Fraktionen, mit denen man selber Aember sammelt, feindliche Kreaturen bekämpft oder den Gegner anderweitig ausbremst.

Auch hier der Clou: Jedes einzelne Kartendeck ist einzigartig – und in seiner Zusammenstellung nicht veränderbar. Es ist per intelligentem Algorithmus aus drei der sieben Fraktionen kompiliert und bringt 36 spielbare Karten mit – 12 pro Fraktion. Welche genau das sind und in welcher Kombination sie enthalten sind und funktionieren, ist bei jedem Deck anders. Auch hier lässt sich vor dem Kauf eines Decks nicht absehen, welche Zusammenstellung man bekommt. Einzelne Karten zwischen Decks oder Spielern zu tauschen ist aus Regelsicht nicht erlaubt. Damit hier nicht gemogelt werden kann, sind alle Karten mit einem zufällig generierten, einzigartigen Namen und einem ebenso individuellen Bild auf den Kartenrückseiten markiert. Das kann besonders in der relativ großen Turnierszene wichtig werden, die sich häufig um derartige Spiele bildet.

Brettspiel-Bugfixing

Wiederum andere Spiele übernehmen eine weitere große Stärke der Videogames auf den Spieltisch: Updates und Bugfixing. Das Star Wars X-Wing Miniaturenspiel zum Beispiel, auch von Fantasy Flight Games, ist schon seit einigen Jahren auf dem Markt, wurde nun jedoch auf eine zweite Edition aktualisiert. Seitdem befinden sich die wichtigsten Balancing-Mechanismen des Spiels in einer zugehörigen App. Fällt nun nach Release durch Ausprobieren und Rückmeldungen der Spielenden Ungleichgewicht auf, können die Entwickler in der App Änderungen vornehmen, die sich wiederum auf das Gameplay auf dem Spieltisch auswirken und so wieder für Balance sorgen – ein Patch für ein Gesellschaftsspiel. (jube@ct.de)