c't 17/2018
S. 16
News
Windows-Zwangsmigration
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Bild: Nds. Finanzministerium

Rauswurf nach Diktat

c’t deckt auf: Niedersachsens Zwangsumstieg von Linux auf Windows

Koalitionsverträge geben Aufschluss darüber, auf welche Vorhaben sich die Parteien einer Regierung geeinigt haben. Im Abschnitt über Steuervorhaben hat die amtierende Niedersächsische Landesregierung einen ziemlich ungewöhnlichen Punkt eingefügt: SPD und CDU verordnen den Finanzämtern mal eben den Umstieg von Linux auf Windows – mit spärlicher Begründung.

Der Koalitionsvertrag der rot-schwarzen Landesregierung von Niedersachsen liest sich wie eine Liste guter Vorsätze: mehr Prävention und Polizei, Inklusion allerorten, kostenlose Kindergärten, mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur, aber keine neuen Schulden, und achja, kein Linux mehr in den Finanzämtern.

Politiker zweier künftiger Regierungsparteien sollen sich in Koalitionsverhandlungen über die Wahl des Betriebssystems einer einzelnen Verwaltungsbehörde verständigt haben? Sowas gibt es in Niedersachsen tatsächlich. Und deshalb steht auf Seite 134 des Koalitionsvertrags von SPD und CDU ganz unten: „Wir werden den in Niedersachsen bislang Linux-basierten Verfahrensbetrieb aufgeben.“ Dort wird nicht etwa eine ergebnisoffene Überprüfung beschlossen, sondern direkt, dass Linux rausfliegt. Neun Wörter, mit denen die Politik ein mehrjähriges, Abermillionen Euro teures IT-Großprojekt losgetreten hat.

Um die Tragweite dieser Entscheidung erkennen zu können, muss man wissen, dass die Niedersächsische Finanzverwaltung seit der Einführung von Computern eine praktisch Windows-freie Zone ist. Bereits bei der Beschaffung der ersten Arbeitsplatzrechner Mitte der 1990er Jahre wählte man Sun-Workstations mit Solaris. Im Februar 2005 fiel die Entscheidung, das in die Jahre gekommene Solaris mit dem nicht mehr zeitgemäßen CDM-Desktop durch die deutsche Distribution Suse Linux 9.2 mit KDE-Desktop zu ersetzen. Windows stand nicht zur Debatte.

Und während im Herbst 2006 alle Welt gespannt beobachtete, wie die Stadt München im Rahmen des inzwischen gescheiterten LiMux-Projekts die ersten von insgesamt 15.000 Computern von Windows auf Linux migrierte, schloss die IT-Abteilung der Niedersächsischen Finanzverwaltung ohne jegliches Aufsehen ihre Linux-Migration von insgesamt 12.000 Arbeitsplatzrechnern an 70 Standorten erfolgreich ab – innerhalb von nur neun Monaten. Windows gab es allenfalls auf einigen Notebooks, die als mobile Terminals genutzt wurden.

Ein wichtiger Punkt der Linux-Migration war die Einführung eines Software-Deployments, mit dem sich alle Linux-Arbeitsplätze zentral von Hannover aus mit Updates versorgen ließen. Das machte IT-Abteilungen an den einzelnen Standorten überflüssig. Vor Ort gab es lediglich einige Mitarbeiter, die zusätzlich als Trainer geschult wurden. Sie übernahmen die Einweisung neuer Kollegen und fungierten bei Problemen als lokaler Ansprechpartner. Die Zusammenstellung sowie notwendige Anpassungen an der Suse-Distribution nahm, dank Open-Source-Software, die zentrale IT-Abteilung selbst vor. So wurden nicht einmal Gelder für Wartungsverträge mit Suse benötigt. Außerdem wurden Fachanwendungen in Java und somit faktisch plattformunabhängig entwickelt. Daher verfügt die IT-Abteilung der Niedersächsischen Finanzverwaltung über umfangreiche Linux-Kenntnisse. Windows ist nicht ihr Steckenpferd.

Spurensuche

Wenn es zwei politischen Parteien so wichtig ist, die seit über zehn Jahren bewährte IT-Infrastruktur der Finanzverwaltung auf links zu drehen, dass sie diesen Punkt explizit in die Koalitionsverhandlungen aufnehmen, dann sollten sie sich vorab umfänglich informiert und wichtige Parameter wie Dauer, Umfang, Kosten und vor allem den Nutzen gegeneinander abgewogen haben. Allein schon, um nicht vom Landesrechnungshof die Leviten gelesen zu bekommen.

Der Koalitionsvertrag selbst gibt darüber nur vage Aufschluss: Ziel sei es, „auf diesem Weg die länderübergreifende Zusammenarbeit zu erleichtern und den Aufwand in Programmierung und Verfahrensbetreuung zu reduzieren“.

Der Hintergrund ist, dass die Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein seit 2012 mit dem gleichen IT-Dienstleister zusammenarbeiten, wie wir aus dem Niedersächsischen Finanzministerium erfuhren. Und während die anderen Bundesländer „allesamt Windows einsetzen“, also die gleiche Software verwenden, müsste für Niedersachsen stets eine Linux-Variante entwickelt werden, wofür Mehrkosten entstünden. Doch hier wurde das Pferd von hinten aufgezäumt: Die bisher für die niedersächsischen Finanzämter entwickelten Anwendungen wurden in Java geschrieben, die höchstwahrscheinlich auch unter Windows benutzt werden könnten. Eine Java-Anwendung für alle Bundesländer dürfte also eigentlich genügen – Mehrkosten entstünden allenfalls für die Entwicklung einer proprietären Windows-Anwendung.

Unsere Fragen nach voraussichtlichen Umstellungs- und Lizenzkosten, Projektdauer und den zu erwartenden Einsparungen beantwortete das Finanzministerium deutlich weniger konkret. So sei „von einer mehrjährigen Umstellungsphase auszugehen“ und die Umstellung werde „nach heutigem Stand in 2019 beginnen“.

Betroffen seien auch lediglich die Arbeitsplatzrechner: Bei den Servern sei „keine generelle Abkehr von Linux beabsichtigt“. Es steht also nicht nur eine Windows-Migration an, sondern es entsteht zugleich eine heterogene Infrastruktur. Mit diesem Argument versuchte man auch unsere Befürchtungen zu zerstreuen, Microsoft könnte durch eine künftige Entscheidung des Oberen Gerichtshofs der USA dazu verurteilt werden, die auf den Servern gespeicherten Daten sämtlicher Steuerpflichtiger an die US-Behörden auszuliefern.

Was das Ganze kosten wird, weiß das Finanzministerium auch noch nicht: Von entsprechenden Lizenzkosten für Windows-Clients sei auszugehen, schreibt das Finanzministerium in seiner Stellungnahme an c’t. Wie hoch diese konkret ausfallen werden, kann niemand sagen – die Preise, die Microsoft Behörden berechnet, sind geheim. Auch Informationen darüber, welche Kosten für Programme und für die künftige Wartung zu veranschlagen sind, seien „in diesem Stadium noch nicht verfügbar“. Aber die „mutmaßlichen Mehrkosten gegenüber der bisherigen Lösung relativieren sich mit Blick auf die landesinterne und länderübergreifende Zusammenarbeit durch Skalen- und Synergie-Effekte“, schreibt das Finanzministerium. Für eine Behörde, deren Kerngeschäft Zahlen sind, ist die Stellungnahme auffällig schwammig.

Das Finanzministerium selbst wurde mit dem Projekt offenbar von der Landesregierung überrascht und kämpft aktuell darum, überhaupt irgendwelche Informationen zu beschaffen: „Derzeit wird eine vom Finanzministerium beauftragte Voruntersuchung im Landesamt für Steuern durchgeführt.“ Dennoch hat die Vorgabe aus der Politik bereits erste Auswirkungen, so wurden alle Weiterentwicklungen der aktuellen Linux-Lösung auf Eis gelegt.

Es handelt sich also mitnichten um einen Papiertiger, ein Vorhaben, das die Regierung letztlich gar nicht umsetzt. Das beweist auch der Haushaltsplan: 5,9 Millionen Euro wurden im Entwurf für das Jahr 2019 für die Windows-Migration der Finanzämter vorgesehen. Rein vorsorglich wohlgemerkt, denn laut Finanzministerium hat man ja noch gar keine Ahnung, wie viel Geld man überhaupt braucht. In den Folgejahren sollen jeweils weitere 7 Millionen für das Projekt bereitgestellt werden – Ende offen.

Ausgeschwiegen

Angesichts des Informationsdefizits im Finanzministerium fragten wir die Landesregierung, die der Finanzverwaltung ja die Abschaffung der Linux-Lösung auferlegt hat, nach den ihr vorliegenden Informationen, auf deren Basis diese Maßnahme beschlossen wurde.

Damit begann ein Schwarzer-Peter-Spiel: Die ersten zwei schriftlichen Bitten um Stellungnahme gingen in der Staatskanzlei verloren, weshalb wir telefonisch und dann noch einmal schriftlich nachhaken mussten. Aber auch dann konnte uns die Niedersächsische Staatskanzlei nicht weiterhelfen. Der stellvertretende Regierungssprecher Olaf Reichert verwies uns an das Innenministerium, bei dem der CIO (Central Information Officer) der Landesregierung seinen Sitz habe.

Dort prüfte man unsere Anfrage und kam zu dem Schluss, dass die Zuständigkeit beim Finanzministerium liege, von dem wir ja bereits eine Stellungnahme erhalten hätten. Stimmt: Dort hatte man uns mitgeteilt, dass man noch gar nichts wisse und gerade dabei sei, sich einen ersten Überblick zu verschaffen.

Unsere unmittelbar an die Landesregierung und früheren Verhandlungsteilnehmer gerichteten Fragen, auf wessen Initiative hin die Windows-Migration überhaupt in den Koalitionsvertrag aufgenommen und auf Basis welcher Informationen ein solch großes, langwieriges und auch teures Projekt aus der Taufe gehoben wurde, hüllten sich Staatskanzlei und Innenministerium trotz nochmaligem Nachhaken in beharrliches Schweigen.

Damit ist klar, dass die Landesregierung über keinerlei Detail- oder Fachinformationen verfügte, als sie die Windows-Migration der Finanzämter im November 2017 beschloss und das Projekt nur wenige Monate später anschob. Es handelt sich also um eine rein politische Entscheidung, koste sie, was immer sie wolle. Fast 13 Millionen Euro sind dafür bis 2020 bereits vorgesehen, ein Ende ist nicht absehbar.

Ob das Projekt letztlich Erfolg hat und irgendwelche Einsparungen ermöglicht, wird sich ebenfalls nicht feststellen lassen. Denn dazu müssten die Betriebs- und Wartungskosten der aktuellen Linux-Clients bekannt sein. Doch „eine individuelle Kostenermittlung nur für die Linux-basierten Arbeitsplätze liegt nicht vor und wäre auch nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich“, teilte uns das Finanzministerium mit.

So wird nicht einmal der Landesrechnungshof beurteilen können, ob die Millionen sinnvoll investiert oder völlig sinnlos verpulvert wurden. Es wird spannend sein zu beobachten, wie der Landesrechnungshof diese Zwangsmigration und die völlig desolate Informationslage beurteilen wird. Wir bleiben in jedem Fall am Ball. (mid@ct.de)