c't 17/2018
S. 26
News
Strafe gegen Google

Android im Visier der EU

EU-Kommission verhängt Rekordstrafe gegen Google

Google missbraucht seine Marktmacht und setzt Android als Druckmittel ein, um die Google-Suche zu bevorteilen, hat die EU-Kommission befunden. Brüssel verhängt deswegen eine Rekordstrafe von 4,3 Milliarden Euro und fordert einschneidende Änderungen.

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat Google schon zur zweiten Rekordstrafe verdonnert, diesmal im Zusammenhang mit Android zu vier Milliarden Euro. Bild: © European Union 2018/Source: EC – Audiovisual Service/Photo: Jennifer Jacquemart

Mit über 80 Prozent Marktanteil allein in Deutschland ist Android das dominierende Betriebssystem im Smartphone-Markt. Weltweit kratzt man an den 90 Prozent und außer iOS von Apple ist kein nennenswerter Konkurrent im Mobilmarkt mehr übrig. Laut EU-Kommission hat Google beziehungsweise Konzernmutter Alphabet diese marktbeherrschende Stellung ausgenutzt und dem Wettbewerb geschadet.

Insbesondere soll Google seine Dominanz im Suchmaschinenmarkt weiter gefestigt sowie konkurrierende Software und Systeme verhindert haben. Wie die für die Wettbewerbspolitik zuständige Kommissarin Margrethe Vestager erklärte, wurden „durch diese Praktiken Wettbewerbern von Google die Möglichkeit genommen, innovativ und konkurrenzfähig zu sein.“

Google verweist dagegen auf das generell offene und frei zugängliche Android, deren Fragmentierung lediglich mit ein paar Regeln und Anreizen für die Hersteller verhindert werden soll. Laut Google-CEO Sundar Pichai habe „Android mehr Auswahl geschaffen, nicht weniger.“

Die Europäische Kommission hat Google in dem schon seit 2010 laufenden und 2015 erheblich ausgeweitetem Verfahren die Rekordsumme von exakt 4.342.865.000 Euro aufgebrummt. 90 Tage hat Google nun Zeit, die Vorgaben der Wettbewerbshüter umzusetzen, sonst drohen Google-Mutter Alphabet weitere Zwangsgelder in Höhe von 5 Prozent des Tagesumsatzes. Zudem muss Google Schadenersatzklagen von betroffenen Personen und Unternehmen befürchten. Allerdings hat Google bereits angekündigt, gegen den Beschluss vorzugehen.

Alles für die Suche

Die Europäische Kommission betont, dass eine marktbeherrschende Stellung alleine nicht verboten sei. Allerdings missbrauche Google diese starke Stellung im Bereich Suchmaschinen, App-Stores und mobilen Betriebssystemen. Konkret wirft die Kommission Google drei illegale Praktiken vor. Erstens koppelt Google die eigene Suche und seinen Browser sehr weitreichend an Android. Möchte ein Hersteller den Play Store vorinstallieren, muss er auch andere Apps wie den Google-Browser nehmen. Zwar zwingt Google die Android-Anbieter nicht zu seinem App-Shop, doch ohne Play Store sei das Gerät aus Sicht der Kunden quasi wertlos. Dass er unverzichtbar sei, bestätigen laut Kommission auch die Smartphone-Hersteller. Zudem gebe es für den Nutzer keine legale Möglichkeit, nachträglich den Play Store zu installieren.

Dies hat zur Folge, dass nicht nur Googles App-Store, sondern auch Suche und Browser von Google auf nahezu allen verkauften Android-Smartphones vorhanden sind und entsprechend bevorzugt genutzt werden. So laufen 95 Prozent aller Suchanfragen von Android-Geräten über Google. Untermauert wird das ausgerechnet durch Windows Mobile: Hier liefen 75 Prozent der Suchanfragen über Bing, weil Microsofts Suchmaschine vorinstalliert war und nur 25 Prozent kamen an Google. Die Vorherrschaft von Google ist also nicht alleine dem beliebterem Produkt geschuldet, sondern der Vorinstallation, schlussfolgern die Wettbewerbshüter.

Google entgegnet, dass es sehr einfach wäre, andere Apps als die mitgelieferten zu nutzen und zeigt gleich in einer Animation, wie man in 30 Sekunden Chrome durch Opera Mini ersetzt. Dass dabei lediglich die Chrome-Verknüpfung vom Startbildschirm entfernt wird, verschweigt Google lieber, denn deinstallieren lässt sich ein vorinstallierter Chrome bei keinem Android-Gerät.

Auch die Download-Zahlen sollen laut Google die Freiheiten unter Android zeigen. Firefox und Opera seien über 100 Millionen Mal und der UC-Browser sogar über 500 Millionen Mal heruntergeladen worden. Bei mehreren Milliarden Android-Geräten bedrohen solche Zahlen aber kaum die Vormachtstellung von Chrome. Recht hat Google mit der Feststellung, dass es den Herstellern auch bisher freistand, zusätzlich andere Apps vorzuinstallieren. Samsung liefert etwa seit jeher seinen eigenen Browser mit. Doch angesichts des Mangels und der berechtigten Kritik an Bloatware sind doppelte Apps mit der gleichen Aufgabe oft ungeliebt.

Bloß kein zweites Android

Zweitens habe Google bis 2014 finanzielle Vorteile für Hersteller und Mobilfunk-Provider gewährt, wenn sie ausschließlich die Google-Suche auf allen Geräten des Sortiments installierten. Hier sehen die Regelhüter den „Wettbewerb in erheblichem Maße beeinträchtigt“. Die Verteidigung von Google, dass diese Zahlungen notwendig gewesen seien, um den Firmen die Herstellung von Android-Geräten schmackhaft zu machen, ließ die Kommission nicht gelten. Schon Intel wurde 2009 wegen solcher Exklusivverträge zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Google beendete die Praxis zwar 2014 endgültig, für die Jahre 2011 bis 2014 hat die Kommission das Verhalten aber als rechtswidrig eingestuft.

Das dritte wettbewerbswidrige Verhalten ist auch heute noch aktuell. Google untersagt es Herstellern, alternative Android-Versionen (sogenannte Forks) zu nutzen, solange sie Android mit Googles App-Paket im Angebot haben möchten. Wer sich nicht daran hält, bekommt keine Lizenz und auch auf keinem anderen Modell den Play Store. Gleichzeitig die einen Geräte mit Lineage OS und andere mit Googles App-Paket anzubieten, ist also nicht möglich. Außerdem lassen sich Play Store und andere Google-Apps nicht legal auf Android-Forks installieren.

Denn obwohl Android selbst Open Source ist, die Google Apps sind es nicht. So steht es zwar jedem frei, Android weiterzuentwickeln, auch als komplett eigenes System. Aber ohne den Zugriff auf Googles Ökosystem bleibt der kommerzielle Erfolg quasi ausgeschlossen. Amazon etwa scheiterte mit dem Fire Phone und seinem Fire OS getauften Ableger spektakulär. Nur im Tablet-Markt konnte sich der Amazon-Fork behaupten. Cyanogen OS starb, bevor es sich überhaupt wie geplant von den Google-Diensten abnabeln konnte.

Die Kommission hält die Begründung von Google auch nicht für ausreichend, dass die Einschränkung zur Verhinderung der Android-Fragmentierung notwendig sei. Die Kontrolle, ob Geräte die technischen Vorgaben für Googles Apps einhalten, hätte auch ohne Verbot von Forks stattfinden können. Zudem gebe es keine Hinweise darauf, „dass es bei Android-Forks zu technischen Störungen und Fehlern bei der Unterstützung von Apps kommen würde.“

Google verweist auf Unix als mahnendes Beispiel, wo Dutzende unterschiedliche Forks miteinander konkurrieren. Selbst Android ist ein Verwandter des Open-Source-Systems. Um Fragmentierung zu Lasten der Nutzer und Entwickler zu verhindern, müsse man Regeln aufstellen und eine Balance zwischen allen Nutzerinteressen herstellen.

Was sich ändern wird

Aufgrund der schwerwiegende Vorwürfe und den weiteren angedrohten Strafen wird Google dennoch nicht umhinkommen, seine Android-Strategie zu verändern. Bevor Google eine Zwangsmaßnahme wie die Browser-Wahl unter Windows riskiert, versucht man sich möglicherweise mit den Vorgaben zu arrangieren. An der marktbeherrschenden Stellung wird sich ohnehin vorerst wenig ändern und die Nutzer zumindest kurzfristig nur Kleinigkeiten bemerken.

Zwar darf Google die Hersteller nicht mehr zur App-Bündlung zwingen, doch nach dem Auspacken will der Nutzer möglichst schnell Zugriff auf alle Funktionen. So bleibt das Google-App-Paket vorerst erste Wahl. Samsung könnte aber sehr bald auf Chrome verzichten und nur noch seinen eigenen Browser vorinstallieren. Microsoft wird bald versuchen, mit Herstellern Verträge aufzusetzen, um seine Apps als Standardanwendungen auf die Geräte zu bringen. Schon beim gescheiterten Cyanogen OS war man mit im Boot. Das eröffnet neue Einnahmemöglichkeiten für Smartphone-Marken, weil Beteiligungen an Werbeeinnahmen und fürs Vorinstallieren locken. Weil nun weiterhin der Play Store drauf sein darf, schreckt das auch die Kunden nicht.

Die indirekte Drohung von CEO Pichai, Android könne demnächst etwas kosten, sollte sich die EU mit ihrer Vorstellung durchsetzen, erscheint derzeit unwahrscheinlich. Denn dazu ist das Geschäftsmodell mit Werbeanzeigen viel zu lukrativ. Anders als von Pichai behauptet hat die EU-Kommission das Business-Modell von Android nicht grundsätzlich abgelehnt. Die Gefahr, durch ein kostenpflichtiges Android ein Konkurrenzsystem zu provozieren und zu stärken, bei dem man gar keinen Zugriff auf die Daten hat, geht Google wohl kaum ein. Zudem würde es die gefürchtete Fragmentierung eher befördern, wenn Google von den Hersteller Lizenzgebühren verlangen würde.

Die Hersteller wiederum werden kaum viel Geld in eigene Forks versenken, die erst Jahre später Früchte tragen. Denn für die darf Google den Play Store weiterhin verbieten, nur paralleles Anbieten darf es nicht verhindern. An der Marktmacht von Google kommt auch ein Samsung derzeit nicht vorbei. Dennoch steigen langfristig die Chancen, auf Android-Ableger und mehr Wettbewerb im Smartphone-Markt.

Finanzielle Probleme wirft die Milliardenzahlung für Google zunächst nicht auf: Im zweiten Quartal betrug der Reingewinn nach Abzug der Strafe immer noch 3,2 Milliarden US-Dollar bei einem Umsatz von 32,5 Milliarden Dollar. Alleine 28 Milliarden stammen aus der Vermittlung von Werbung und die finanzieren auch weiterhin die Entwicklung von Android. Und kolportierte 90 Milliarden hat Google auf der hohen Kante.

Sollte die Entscheidung rechtskräftig werden, fließt die Strafe in den EU-Haushalt ein, die Beteiligung der Ländern sinkt entsprechen. Deutschland würde so rund 900 Millionen Euro an Abgaben sparen. Bis dahin könnte es allerdings dauern, denn Google hat angekündigt, die Strafe anzufechten.

Die Bevorzugung von Apple-Diensten bei iOS ist für die EU übrigens kein Problem. Denn das iPhone-System gehört der Kommission zufolge nicht zum gleichen Markt, weil Apple es nicht an andere Hersteller lizenziere und die Einschränkungen Google im Kampf mit Apple nicht in ausreichendem Maße behinderten. (asp@ct.de)