c't 16/2018
S. 60
Hintergrund
Zukunft des Fernsehens
Aufmacherbild
Bild: Albert Hulm

Alles auf dem Schirm

Die Zukunft des Fernsehens

Video auf Abruf statt fester Sendetermine, Sprachsteuerung statt Fernbedienung und Smart-Home-Zentrale statt dummer Glotze: Das TV-Gerät und das, was man damit macht, wollen Hersteller, Fernsehmacher und Werbetreibende völlig umkrempeln. Leider nicht nur im Sinne des Zuschauers.

Laut einer repräsentativen Umfrage des ZVEI-Fachverbands Consumer Electronics nutzen 63 Prozent der deutschen Fernsehzuschauer ihr TV-Gerät, um darüber Inhalte aus dem Netz zu beziehen – sei es von Videostreaming-Diensten wie Amazon Video, Netflix und iTunes, aus Mediatheken oder Videoclip-Portalen. Das ist eine drastische Steigerung gegenüber 2011, als laut Branchenverband Bitkom gerade einmal 13 Prozent der befragten Smart-TV-Besitzer ihr Gerät tatsächlich mit den Internet verbunden hatten.

Zum Kasten: Die große Zuschauerwanderung

Damit dürften auch erst einmal die Unkenrufe von Kritikern verstummen, die meinten, dass mit dem Siegeszug der Streaming-Angebote der Fernseher untergehen würde. Vielmehr zeigen auch von Netflix veröffentlichte Nutzungszahlen (siehe Kasten „Die große Zuschauerwanderung“), dass das TV-Gerät in den meisten Haushalten noch immer die zentrale Rolle bei der Wiedergabe von Fernsehen und Videokonserven spielt.

Selbst ein schneller Tod des linearen Fernsehens ist nicht mehr so sicher, wie man lange glaubte. Schienen sich junge Zuschauer eher YouTube & Co. zuzuwenden, kam eine im vergangenen Jahr von der Hochschule Fresenius veröffentlichte Studie zu dem Ergebnis, dass gerade diese Gruppe zum klassischen Fernsehen zurückkehrt – weil es ihr einfach zu anstrengend ist, ihr Programm selbst zusammenzustellen.

Für die TV-Industrie ist diese Entwicklung Fluch und Segen zugleich: Einerseits erhält sie durch die steigende Beliebtheit von On-Demand-Angeboten die Chance, einer alten Produktkategorie neues Leben einzuhauchen – und so einen Kaufanreiz zu schaffen. Offenbar mit Erfolg: Im ersten Quartal 2018 waren bereits drei Viertel aller verkauften Fernseher mit Internetzugang und smarten Funktionen ausgestattet. Andererseits steigen die Ansprüche an die Geräte enorm: Der Wechsel zwischen den Quellen soll möglichst nahtlos funktionieren, neue Dienste und Funktionen so schnell wie möglich verfügbar sein – und dennoch müssen der Datenschutz und die Privatsphäre gewährleistet bleiben.

Zuletzt diskutierte die Deutsche TV-Plattform, in der sich TV-Hersteller, Sender, Infrastrukturbetreiber, Forschungsinstitute und zuständige Behörden zusammengeschlossen haben, auf einer Fachkonferenz in Hamburg unter dem Motto „Smarter Fernsehen, Smarter Leben“ intensiv darüber, wie sich das alles unter einen Hut bringen lässt.

Sprachsteuerung

Dabei zeigte sich, dass viele Smart-TV-Hersteller Sprachsteuerungssysteme ganz oben auf der Agenda haben. Philips, Sharp und Sony nutzen bei ihren smarten Fernsehern Android TV als Betriebssystem, das seinerseits bei der Spracheingabe erwartungsgemäß auf Google Assistant setzt. Für ausgewählte Sony-Fernseher existiert zudem ein Alexa-Skill, das die Steuerung der Geräte auch über Amazons Assistenzsystem von verknüpften Lautsprechern aus erlaubt.

LG nutzt bei seinen aktuellen Smart-TVs zwar WebOS und bietet ein eigenes Sprachassistenzsystem auf Basis seiner Smart-Connect-Plattform „ThinQ“ an, das sich mit einem Knopf auf die Mikrofontaste der Fernbedienung aufrufen lässt. LG zeigt sich aber auch offen für Google Assistant. In amerikanischen und britischen TV-Modellen des Herstellers ist dieser bereits integriert, für die deutschen Geräte sollte er in der zweiten Jahreshälfte zur Verfügung stehen. Daneben will LG auch eine Alexa-Anbindung für Echo & Co. herausbringen.

In den USA und Korea läuft auf Samsungs Smart-TVs bereits der Sprachassistent Bixby, im europäischen Raum greift das Unternehmen noch auf ein anderes eigenes Sprachsteuerungssystem zurück. Nach eigenen Angaben hat Samsung keine Pläne zur Integration von Amazons Alexa oder dem Google Assistant. Panasonic hat schließlich angekündigt, für seine aktuellen 4K-Smart-TVs im Herbst Software-Updates zu veröffentlichen, die Alexa und Google Assistant anbinden. Wie diese Verknüpfung konkret aussehen wird, ist noch nicht bekannt.

Von Kanälen über Sender …

In der simpelsten Form ist die Sprachsteuerung schlicht eine Abwandlung der klassischen Fernbedienung: Statt die Zahlentasten zu drücken, kann man nun auf die einzelnen TV-Kanäle mit gesprochenen Kommandos à la „Alexa, wechsle den Kanal auf 5“ umschalten.

Einige Hersteller gehen darüber hinaus und erlauben dem Anwender das Umschalten über die Sendernamen. Dass sich der Nutzer keine Gedanken mehr über die Kanalbelegung machen muss, ist nicht zuletzt deshalb ein großer Komfortgewinn, da nur die wenigsten mehr als die Nummern einer Handvoll Sender im Kopf haben. Zwar können viele TV-Geräte alle Kanäle und deren Belegung auflisten, doch auch diese Liste ist üblicherweise mehrere Seiten lang. Die Suche nach Namen ermöglicht es zudem in der Regel auch, mit „Netflix“ und „Amazon Video“ zu den Video-on-Demand-Angeboten zu springen.

Bei der Suche nach TV-Kanälen muss sich der Fernsehhersteller allerdings entscheiden, wie er mit dem Suchergebnis umgeht: Sollen die Treffer nur aufgelistet werden oder soll der Fernseher gleich zum Top-Eintrag umschalten? Letzteres erspart eine Eingabe, dafür nerven Fehlerkennungen – etwas dass das System „Fox“ statt „Vox“ versteht – stärker. LG hat sich beispielsweise dazu entschlossen, gleich zum TV-Sender (vorzugsweise in der HD-Auflösung) zu wechseln, listet die Alternativen aber in einem Balken am unteren Bildrand mit auf.

… zu Themen

Mit der Spracheingabe von Sender- und Dienste-Namen ist das Ende der Fahnenstange aber noch nicht erreicht. Schließlich, so der allgemeine Tenor unter den Besuchern der Hamburger Fachkonferenz, sei es den meisten Zuschauern letztlich egal, wo das gewünschte Programm läuft. Als Beispiel lässt sich die Fußball-WM anführen, die abwechselnd von ARD und ZDF übertragen wurde: Die Zuschauer schalteten nicht explizit einen Sender ein, sondern wollten einfach nur das Spiel sehen.

Im Kurztest wechselte der LG-Fernseher der aktuellen 8er-Reihe bei der Sprachsuche nach „Nachrichten“ um 20:05 Uhr auf das ProSieben-Magazin „Galileo“. Außerhalb der Tagesschau-Zeit bevorzugte der Algorithmus den Nachrichtenkanal Phoenix.

Eine solche thematische Suche bietet die neue LG-TV-Generation bereits. Doch während ThinQ die Spracherkennung semantisch gut meisterte, ließen einige Suchergebnisse im Kurztest inhaltlich teilweise zu wünschen übrig: Auf „Zeige mir Nachrichten“ sprang der Fernseher wochentags um 20:05 Uhr zum ProSieben-Magazin „Galileo“, den erwarteten Toptreffer „Tagesschau“ listete er nur als Alternative. Laufende WM-Übertragungen fand das LG-TV über den Suchbegriff „Fußball“ überhaupt nicht, sondern nur eine KiKa-Sendung zum Sportereignis.

Des Rätsels Lösung scheint in den Metadaten zu liegen, die die Sender zu den jeweiligen Sendungen hinterlegt haben: So führten ARD und ZDF die WM-Spiele tatsächlich nicht unter „Fußball-Weltmeisterschaft“, sondern unter „FIFA WM 2018“. Und die Metadaten-Problematik verschärft sich noch, wenn der Fernseher neben dem laufenden TV-Programm auch Aufzeichnungen, Mediatheken und Videostreaming-Angebote in die Suche einbezieht. Künftig dürfte die SEO-Optimierung der Metadaten daher ein großes Thema sein.

Während sich mancher Spartenkanal nun erhofft, dass seine Inhalte durch die Themensuche sichtbarer werden, befürchten etablierte Sender bereits, dass die Themensuche Zuschauer von ihrem Programm wegführen wird. Senderübergreifend sind mittlerweile aber die Befürchtungen der Programmmacher, dass künftig Eigeninteressen der Betreiber der Sprachassistenzssysteme die Reihenfolge der Treffer bestimmen. So könnte Alexa beispielsweise Amazon-Videotitel denen von Netflix und Sky vorziehen.

Smart-Home-Zentrale

Während die meisten TV-Hersteller die Netzanbindung lediglich dafür nutzen wollen, dem Kunden den Zugriff auf Inhalte aus dem Internet zu ermöglichen, sieht TechniSat den Fernseher auch als Zentrale im Smart Home. Dass es sich hierbei nicht um ein reines Lippenbekenntnis handelt, beweist das Unternehmen, indem es in seine neuen Smart-TVs Funkchips für das Heimautomationssystem Z-Wave integriert und die Einbindung sowie die Steuerung der Komponenten über eine eigens dafür geschaffene Bedienoberfläche ermöglichen will. Ältere TV-Modelle sollen sich mit einem USB-Funkstick und einem Firmware-Update nachrüsten lassen. Man darf gespannt sein, wie gut TechniSat dies gelingt.

Laut Sascha Prüter, bei Google zuständig für Android TV, steigen alleine mit der Integration der Spracheingabe die Ansprüche an die Entwickler der TV-Bedienoberfläche schon stärker, als man vermuten mag. Schließlich zieht ein Teil der Nutzer weiterhin die klassische Fernbedienung vor, in manchen Haushalten dürften sogar Vertreter beider Lager anzutreffen sein. Dann sollte der Wechsel zwischen Fernbedienung und Spracheingaben nahtlos funktionieren. Tatsächlich müsse man laut Prüter aber immer Kompromisse eingehen, da reine Oberflächen für die eine oder andere Eingabemethode zu sehr voneinander abweichen würden.

Hinzu käme eine allgemein steigende Erwartungshaltung der Nutzer an die Bedienoberfläche, ausgelöst durch die rasanten Entwicklungen bei Mobilgeräten, wo jeder neue Dienst sofort verfügbar ist. Allerdings müsse man beachten, dass Fernseher nicht wie Smartphones alle zwei Jahre ausgetauscht werden, so Prüter. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Fernsehers liege aktuell vielmehr bei rund sieben Jahren.

Vor diesem Hintergrund lässt sich jedoch auch vermuten, dass es für die Fernsehhersteller wenig attraktiv ist, das Betriebssystem eines Fernsehers auch noch Jahre nach dem Verkauf aktuell zu halten. Das scheint sich auch Google überlegt zu haben und macht den TV-Herstellern daher klare Vorgaben hinsichtlich des Support-Zeitraums von Android TV – vielleicht auch aus Erfahrung mit den Smartphone-Herstellern. Laut Prüter müssen die Hersteller zumindest drei volle Releases auf die Geräte bringen und Sicherheits-Updates noch länger einspielen.

Adressable TV

Mit der Internetanbindung wird der Fernseher aber nicht nur smart, sondern auch empfänglich für adressierbare und personalisierte Inhalte. Doch für die meisten Zuschauer ist die Vorstellung, dass ihr Sehverhalten überwacht und ausgewertet wird, ein rotes Tuch. Google hat sich laut Sascha Prüter daher dafür entschieden, so wenig Nutzerdaten wie möglich zu sammeln, um sich und seine Partner keiner Kritik auszusetzen. So habe Android TV aktuell nicht einmal eine Kenntnis darüber, was der Nutzer im Live-TV, bei Netflix und so weiter macht. Das sei allerdings eben auch schlecht für ein Empfehlungssystem, das mancher Nutzer zu schätzen wüsste.

Lokalisierte Werbung in L-Banner-Form: Auf dem Smart-TV können Sender dank Internetverbindung und HbbTV die Sonderangebote der nächsten Filiale eines Elektronikhändlers anzeigen.

Ganz vom Tisch ist das Thema Datensammeln damit aber nicht: Vor allem bei Werbetreibenden steht der adressierbare Fernseher hoch im Kurs – auch wenn personalisierte Inhalte aus Gründen des Datenschutzes und der Zuschauerakzeptanz auch hier bislang noch tabu sind. Genutzt wird aber bereits die Möglichkeit, den Standort des Fernsehers beziehungsweise dessen IP-Adresse zu ermitteln. Wie das konkret ausschauen kann, sieht man beispielsweise, wenn man auf einem smarten 4K-Fernseher mit aktiviertem HbbTV RTL oder Vox über DVB ansteuert: Kurz nach dem Umschalten sieht man hier seit einiger Zeit Werbeeinblendungen mit regionalen Angeboten bestückt.

Noch ärgerlicher als die Regionalisierung ist für manche Nutzer aktuell aber tatsächlich die Werbeform: Die Sender nutzen sogenannte L-Banner, bei dem die Werbung entsprechend ihrer Bezeichnung den linken und den unteren Rand des Bildschirms einnimmt, während das TV-Bild in der rechten oberen Ecke verkleinert weiterläuft. Aus technischer Sicht handelt es sich, vereinfacht gesprochen, um ein unsichtbares Browser-Fenster mit skaliertem Videobild – eine Technik, die der programmbegleitende Online-Dienst HbbTV mitbrachte.

Doch während diese L-Banner manchen Werbetreibenden in Verzückung versetzt, treiben sie viele Nutzer älterer Smart-TV-Geräte schier in den Wahnsinn. Schließlich wurde deren Prozessorleistung gerade einmal darauf ausgelegt, im HbbTV-Betrieb den typischen roten Button anzuzeigen oder vielleicht eine Leiste am unteren Bildrand. Im Ergebnis erlebt man nun, dass Smart-TVs aus den Jahren 2015 und 2016 bei der Einblendung von L-Bannern über etliche Sekunden wegen Überlastung keine Fernbedienungsbefehle mehr annehmen oder die Werbeeinblendung auch beim Wechsel auf ein anderes Programm stehen lassen.

Von c’t befragte TV-Sender gaben hinter vorgehaltener Hand an, sich des Problems bewusst zu sein und an einer Optimierung zu arbeiten, um den L-Banner auch auf älteren Geräten anzeigen zu können, ohne den Groll der Zuschauer auf sich zu ziehen. Ganz uneigennützig dürfte dies nicht sein: Fernsehhersteller wie Panasonic warben bei der Präsentationen neuer TV-Modelle gegenüber c’t bereits mit der Möglichkeit für die Nutzer, HbbTV gezielt für einzelne TV-Kanäle abschalten zu können. Das Online-Angebot von Sendern, die zu sehr nerven, könnte man folglich komplett vom Bildschirm verschwinden lassen, ohne bei anderen Sendern auf HbbTV verzichten zu müssen. (nij@ct.de)