c't 13/2018
S. 70
Interview
Breitbandnetze

Onkel Dagobert aus Landskrona

Anke Domscheit-Berg über den Breitbandausbau und staatliche Lizenzzahlungen an Microsoft

Seit der Bundestagswahl sitzt die frühere Microsoft-Managerin Anke Domscheit-Berg als Netzpolitikerin für die Linken im Deutschen Bundestag. Im Interview schwärmt die parteilose Abgeordnete vom schwedischen Breitband-Modell, Verträgen ohne Laufzeit-Bindung und den „Eiern in der Hose“ der neuen Staatsministerin für Digitales im Bundeskanzleramt.

c’t: Wie ist denn die Breitbandversorgung bei Ihnen in Ihrem Wahlkreis Brandenburg an der Havel?

Anke Domscheit-Berg: Tja. Es ist ein Teil von Deutschland. Und das ist die Antwort. Die ist ja überall grottenschlecht.

Ansonsten habe ich ganz viele Orte im Wahlkreis, die haben nicht nur kein Internet, die haben nicht mal Mobiltelefonnetz. Also da haben wir wirklich weiße, weiße Flecken. Man fährt durch und kann nicht mal telefonieren. Wir reden von Orten, da bin ich zehn Minuten von Berlin in der Bahn gefahren. Da verabschiedet sich mein Telefon und das war’s dann. Ich muss stricken, weil ich nichts arbeiten kann. Es nervt sehr.

Die parteilose Netzpolitikerin Anke Domscheit-Berg ist seit seiner Gründung Obfrau der Linken im Bundestagsausschuss für Digitale Agenda.

c’t: Haben Sie auch Ideen, wie man das ändern könnte?

Domscheit-Berg: Ja. Ich bin eine große Verfechterin des schwedischen Modells. Die machen das dezentral, bottom-up. Da haben zwei Drittel aller Kommunen das Glasfasernetz in ihrer eigenen Regie. Die betreiben das wie die Stadtwerke. Die sagen sich: Abwasserkanäle, das ist ein natürliches Monopol, das braucht jeder Haushalt, aber jeder nur einmal. Ich brauche keinen Wettbewerb über Abwasserkanäle. Das ist genau das Gleiche wie für Glasfaser. Braucht jeder Haushalt, aber nur einmal. Einmal richtig.

Und der Wettbewerb sollte eben nicht auf natürlichen Monopolen stattfinden, auf der Infrastruktur, sondern auf den Diensten, die da angeboten werden. Das ist übrigens profitabel. Es lohnt sich für die Kommunen, die Netzinfrastruktur selber zu betreiben. Die müssen ja eh die Straße alle vierzig Jahre aufbuddeln, das ist Pi mal Daumen der Zyklus, in dem man auch eine Glasfaser mal wieder erneuern muss. So haben sie im Prinzip von jedem Haushalt zusätzlich zu den Abwassergebühren noch die Digitalrendite aus den Durchleitungsentgelten der Glasfaser.

c’t: Hierzulande klagen die Provider, dass zu wenig Nachfrage da sei.

Domscheit-Berg: Die haben in Schweden sehr hohe Abnahmeraten. Dort hat man schon Mitte der Neunzigerjahre verschiedene Modelle ausprobiert. So hat sich mit der Zeit herauskristallisiert, dass die Open-Access-Modelle am besten funktionieren. Die haben also irgend so ein Portal oben drauf, da würde man – jetzt mal übersetzt auf Deutschland – ein Angebot der Deutschen Telekom sehen, eines von 1 & 1, man würde eines von Vodafone sehen, und dann könnte man klicken, was man haben will. Da kommt dann der Wettbewerb rein.

c’t: Wie hat der Wettbewerb denn gewirkt?

Domscheit-Berg: Die Kommunen, die es erst ohne so ein Portal hatten und dann eines drauf geschaltet haben, bei denen sind die Preise innerhalb von zwei Wochen um zirka 30 Prozent gefallen. Einfach durch die Transparenz des Wettbewerbs. Und es sind im Regelfall alle Vertragslaufzeiten auf null gefallen. Da gibt es nicht so etwas wie zwei Jahre Bindung oder – was die Lobby mal gefordert hat – fünf Jahre Vertragsbindung. Das heißt, ich kann in einer halben Minute den Anbieter wechseln.

c’t: Und wie sieht das in der Praxis aus?

Domscheit-Berg: Ich war zum Beispiel in Landskrona und habe mir von den Stadtwerken mal zeigen lassen, wie die das so machen. Die führten mich in den Wald, da waren so zwanzig einsame Häuschen. Die haben alle Gigabit, symmetrisch, für 50 Euro im Monat. Da weint man als Deutsche, wenn man so was hört. Und sie zeigten mir so einen kleinen Schuppen im selben Wald. Der Mensch von den Stadtwerken schließt den auf und dann sieht man so die kleinen blinkenden Lämpchen. Und das war echt einer meiner augenöffnendsten Momente in Schweden: Da guckte mich dieser Stadtwerke-Typ an und kriegte solche Dollar-Zeichen in die Augen wie Onkel Dagobert und sagte: „Do you see all these lights blinking? It’s all my money. My money!“

Für den ist das ein Geschäftsmodell, das wirklich hervorragend funktioniert. Auch wenn es nur 20 Häuser im Wald sind. Dann hat er uns an den Strand geführt – die sind an der Ostsee – und hat uns irgend so eine kleine Insel gezeigt in Sichtweite und hat gesagt: Die haben auch ein Gigabit, wenn sie wollen. Die Insel ist aber nur acht Wochen im Jahr bewohnt. Aber dadurch, dass die halt in einer Minute einen Vertrag abschließen und auch wieder kündigen können, haben die dann halt für 14 Tage Urlaub in der Hütte ein Gigabit symmetrisch und können Netflix gucken und davor und danach zahlen sie nix. Kein Problem. Und er sagt: Das rechnet sich.

c’t: Und das soll auch hier funktionieren?

Domscheit-Berg: Warum soll das hier nicht gehen? Die haben weder eine dichtere Besiedlung in Schweden noch billigere Lohnkosten. Wir glauben immer, das muss top-down gehen, das müssen irgendwelche Riesen-Unternehmen machen, denn nur die können das bezahlen. Aber wenn man das dezentral macht und auf diese Art und Weise wie in Schweden, dann geht das auch hier.

c’t: Sehen Sie, dass unsere Regierung irgendwie auf dem Weg dahin wäre?

Domscheit-Berg: Na ja, sagen wir mal, nach vielen Jahren großer Verzweiflung gibt es tatsächlich einen Hoffnungsschimmer: Also einen Kanzleramtschef Braun, der sich hinstellt und wirklich klipp und klar sagt: Es gibt nur noch Steuer-Euro für Glasfaser.

c’t: Und wie sieht es mit dem schwedischen Modell aus?

Domscheit-Berg: Es gibt immer wieder Erwähnungen, dass man über ein Open-Access-Modell nachdenkt. Und das wäre eine komplette Kehrtwende. Ich glaube noch nicht daran, weil ich zu viele Pferde kotzen gesehen habe und der Lobbyismus extrem intensiv ist in all den Fällen, die mit Netzpolitik zu tun haben.

c’t: Ist Dorothee Bär, die neue Digital-Staatsministerin von der bayrischen CSU, dabei hilfreich?

Domscheit-Berg: Ich kenne sie schon sehr lange und ich halte sie auch für eine kompetente Person. Und sie hat ein paar Eigenschaften, die da hilfreich sind, ja. Zum Beispiel hat sie Eier in der Hose. Also die hat wirklich Chuzpe und stellt sich mit ihrer Meinung hin, auch wenn es dann einen Shitstorm gibt, und hält das durch. Also dass es langfristige Visionen braucht. Und dass es nicht bloß Breitband und digitale Bildung gibt, sondern eben auch Flugtaxis. Und das ist richtig! Die Dinge kommen und das wird auch nicht so ewig dauern und es ist wichtig, dass man sich mit der Regulierung befasst. Die Reaktion darauf zeigt, dass wir also immer noch Leute mit Visionen zu Ärzten schicken.

c’t: Das ist aber auch nichts Neues, oder?

Domscheit-Berg: Ich finde auch gut, dass sie neue Ansätze verfolgt. Ich finde es nämlich gerade im Digitalen ganz schrecklich, dass die Jugend praktisch nix zu sagen hat. Und dass Doro Bär jetzt sagt, sie möchte das Kanzleramtspöstchen jetzt ein bisschen öffnen und da so eine Art Thinktank aus Jugendlichen zu digitalen Themen haben, das finde ich total grandios.

c’t: Haben Sie gar keine Kritik?

Domscheit-Berg: Aber natürlich gibt es auch Dinge, die ich nicht so toll finde. Also wenn sie von „Datenschutz des 18. Jahrhunderts“ redet. Damit will ich ihr nicht unterstellen, dass sie alle Schleusentore öffnen will. Aber auf jeden Fall sieht sie Datenschutz als Problem und dieses Problem soll man lösen. Da sind wir sicherlich auseinander, vermute ich.

c’t: Was sagen Sie als ehemalige Microsoft-Vertreterin zu den immensen Lizenzgebühren, die die Bundesregierung laut Antwort auf eine Anfrage Ihres Fraktionskollegen an den Software-Konzern zahlt?

Domscheit-Berg: Na, ich finde das aus verschiedenen Gründen schlecht. Ich habe auch damals, als ich bei Microsoft war, sehr stark das Thema Open Source vertreten. Das ist auch öffentlich, das kann man nachlesen. Und es war auch damals schon so, dass ich finde, dass gerade Verwaltungen sich nicht abhängig machen dürfen von einzelnen Unternehmen mit einer derart monopolistischen Struktur.

Und was ich viel schlimmer finde: Die großen Digitalunternehmen zahlen ja sowieso fast keine Steuern oder sehr wenig. Und vor allem sind sie extrem clever in Steueroptimierung. Und da finde ich es super problematisch, dass die Verwaltung und die Bundesregierung nach wie vor einfach bereitwillig diese Verträge mit Microsoft Irland abschließen. Warum sagen sie nicht: Wir sind so viele, das ist ein Haufen Kohle, dann wollen wir aber auch, dass die Steuern dafür hier in Deutschland bleiben, also mit Irland machen wir das nicht. Den Arsch in der Hose hat aber keiner. Und das verstehe ich nicht. (tig@ct.de)