c't 8/2017
S. 3
Editorial

Verloren auf der Retro-Welle

Alles kommt irgendwann wieder. Das ist zugegeben ein Klischee, doch selbst in der sonst so auf Fortschritt gebauten Technikwelt zieht es gerade weite Kreise. Angetrieben von unzähligen Blogs, YouTube-Videos und nostalgischen Memes auf Facebook schwappt eine Retro-Welle nach der anderen über uns hinweg und appelliert an die gute alte Zeit, als Technik doch noch so schön unkompliziert und unzerstörbar war.

Selbstverständlich greifen die Hersteller das gerne auf, um ihr Image aufzumöbeln. Doch selten ging es so weit wie beim Nokia 3310, das der neue Besitzer der Marke nach über 12 Jahren erneut auflegt. Wohlgemerkt nicht etwa das Design oder ein paar nostalgische Details, sondern schlicht das ganze Handy in seiner nahezu ursprünglichen Form. Trotzdem stellte das Interesse an diesem Comeback die Reaktionen auf jedes andere Smartphone während des Mobile World Congress in den Schatten.

Kein Wunder: Fast jeder hat das Original besessen oder wenigstens in der Hand gehabt, es gehört immer noch zu den meistverkauften Mobiltelefonen und der Name Nokia ist jedem Technik-Muffel geläufig. Der Ruf des 3310 ist legendär: vermeintlich wochenlange Akku-Laufzeiten, quasi nicht kaputt zu kriegen und dazu noch leicht und kompakt - der Chuck Norris unter den Handys.

Doch genau wie beim Schauspieler verblasst auch beim neuen Nokia 3310 der schöne Schein ziemlich schnell und der gealterte Liebling wirkt ohne Hype eher lächerlich. Denn wenn man ehrlich ist, richtig viel kann es nicht: telefonieren, SMS, Snake und neuerdings auch schlechte Fotos schießen. Da hält der Akku lange, weil es nicht viel zu tun gibt. Wer sich einmal an die Möglichkeiten eines Smartphones gewöhnt hat, mag sich zwar in die selige Handy-Zeit zurücksehnen, wird aber im Alltag kaum die nützlichen Funktionen moderner Geräte missen wollen.

Keine Frage, vielen Menschen würde ein Mobiltelefon ohne Schnickschnack völlig reichen. Doch auch das ist das 3310 nicht, denn wer nur ein Telefon mit langer Standby-Zeit braucht, der bekommt das deutlich günstiger ohne Nostalgieaufschlag - unter anderem bei Nokia selbst.

Die mit der Neuauflage erreichte Aufmerksamkeit kann Nokia für kein Geld der Welt kaufen. Blöd nur, dass bei der ganzen Nostalgie die eigentlichen Hoffnungsträger für die angeschlagene Marke untergehen: die neuen Android-Smartphones. Das wiederbelebte 3310 ist eben nicht das Äquivalent zur Röhrenjeans im Schrank, die bestimmt bald wieder modern wird. Es ist einfach nur alt.

Alexander Spier

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