c't 6/2017
S. 140
Hintergrund
Virtual-Reality-Ökosysteme
Aufmacherbild
Oculus-Home-Menü für Rift und GearVR: Dieses hübsche Wohnzimmer ist so etwas wie eine Betriebssystemoberfläche.

Virtuelle Kämpfe

Ökosystem-Strategien der VR-Hersteller im Vergleich

Noch steckt Virtual- und Augmented-Reality-Technik in der Nische – ob die Brillen irgendwann zum Alltag gehören, ist unklar. Dennoch versuchen die Hersteller schon jetzt, ihre Ökosystem-Claims abzustecken. Im Vordergrund stehen wie so oft die Nutzerdaten.

Im Markt der Virtual und Augmented Reality tobt ein Kampf um die technologische Vorherrschaft der kommenden Jahre. Es stehen sich mehrere Hard- und Softwaresysteme unversöhnlich gegenüber – jeder Hersteller entwickelt eine eigene geschlossene Plattform, mit der Aussicht auf große Marktanteile und dazugehörige Nutzerdaten.

Oculus zum Beispiel setzt auf eine Doppelstrategie: die „große“ Oculus Rift für den Heim-PC und die „kleine“ GearVR in Zusammenarbeit mit Samsung für den mobilen Einsatz. Beide Brillen verwenden die Software Oculus Home, die die Steuerung von Virtual-Reality-Apps erlaubt und ebenfalls ein einfaches grafisches Betriebssystem darstellt – andere Brillen als Rift und GearVR unterstützt Oculus Home nicht. Die Nutzer sollen in der virtuellen Umgebung verbleiben und Apps vorzugsweise aus dem Oculus Home Store beziehen. Zwar kann man sowohl bei der GearVR als auch bei der Rift Software von außerhalb des Stores installieren und starten – aber das erfordert Know-how des Users. Beide Systeme starten externe Inhalte standardmäßig erst einmal nicht – man muss die „unbekannten Quellen“ zuerst manuell aktivieren.

Google beackert zurzeit ausschließlich VR mit dem Smartphone. Die bisherige Cardboard-Infrastruktur soll künftig von Daydream ersetzt werden. Die gegenüber Cardboard technisch stark verbesserte Plattform hilft Handy-Herstellern, vergleichbare Angebote zum aktuellen Mobile-VR-Klassenprimus Samsung GearVR zu entwickeln. Die marktbeherrschende Position von Android soll dabei als Brechstange für den entstehenden VR-Markt genutzt werden.

Microsoft: Eine für alle

Natürlich will auch Microsoft an der virtuellen Zukunft teilhaben und proklamiert deswegen „Windows Holographic – one platform for VR, AR and MR“. Auf der herstellereigenen Mixed-Reality-Brille HoloLens (Kostenpunkt: 3300 Euro) läuft ein angepasstes Windows 10. Im Bereich VR will sich Microsoft auch für die Hardware anderer Hersteller öffnen: HP, Dell, Asus und Acer haben bereits Windows-Holographic-VR-Headsets zu Kampfpreisen ab 300 Dollar angekündigt.

Etwas weniger heimelig als bei Oculus sieht das SteamVR-Bedien-Menü aus.

Valve schafft dagegen Fakten in Sachen VR-Inhalte: die hauseigene Verteilungsplattform Steam, seit Jahren Marktführer für digitale Spiele, bietet einen Virtual-Reality-Modus namens SteamVR an. Damit lassen sich Spiele und Anwendungen in VR starten, unterbrechen und beenden. Dies entspricht in seiner Funktion einem rudimentären VR-Betriebssystem.

Insgesamt mutet SteamVR (und sein technischer Standard „OpenVR“) offener an als die Konkurrenz-Plattformen – schließlich unterstützt Steam nicht nur die hauseigene, gemeinsam mit HTC entwickelte Vive-Brille, sondern auch Oculus Rift und Razers „offene“ OSVR. Das ist allerdings keine Wohltätigkeit der Steam-Macher – Valve will natürlich vor allem Software über die eigene Plattform verkaufen (einem Gerücht zufolge kassiert das Unternehmen 30 Prozent Provision). Und je mehr Hardware-Plattformen bedient werden, desto besser die Verkäufe.

Vision: Offenes VR

All diesen geschlossenen Systemen steht die Vision eines offenen Standards gegenüber. Schon seit Ende 2015 verfolgt die WebVR-Initiative unter Führung von Mozilla die Anbindung von Headsets an Web-Browser. Theoretisch eine tolle Sache: Die Inhalte-Anbieter entwickeln ihren VR-Content für WebVR – und nicht für einzelne Hardware-Plattformen. Theoretisch kann man WebVR schon mit Cardboard, Daydream, Gear VR, HTC Vive und Oculus Rift verwenden.

Bislang unterstützt allerdings nur Google mit dem Chrome-Browser für Android Cardboard und Daydream „out of the box“, Nutzer von PC-VR-Brillen und Desktop-Browsern müssen Vorab-Software verwenden – bei Firefox unterstützen zurzeit nur die Nightly Builds für Windows VR-Brillen, bei der Google-Konkurrenz muss man eine experimentelle Chromium-Version herunterladen.

Der Carmel-Browser für Oculus-Headsets wirkt zurzeit noch ziemlich rudimentär. Er könnte sich langfristig als trojanisches Pferd entpuppen.

Dass VR im Web großes Potenzial hat, steht außer Frage: Vor allem, wenn die WebVR-Unterstützung auch in die normalen Versionen der Browser kommt. So lange wollen Oculus und Facebook nicht warten. Die Firmen arbeiten nicht nur an einem eigenen WebVR-Browser namens Carmel, sondern auch an einem Framework zur vereinfachten Erstellung von Benutzerelementen namens ReactVR. Langfristig soll Carmel in die eigene VR-Umgebung eingebettet werden – das erinnert stark an die Verzahnung des Internet Explorer mit Windows. Seit dem Dezember 2016 ist eine Preview von Carmel in der Rubrik „Galerie Apps“ im Oculus Home Store für die GearVR erhältlich.

Zum Kasten: Wir wollen Deine Daten!

Nachdenklich stimmt, dass Oculus und Google mit ihren integrierten Browsern nicht nur ein Monopol erschaffen, sondern auch vermehrt biometrische Nutzerdaten für personalisierte Werbung abgreifen könnten. Wer den Zugang zum Web kontrolliert, kontrolliert die Nutzerdaten – und die werden in VR in Zukunft vermehrt biometrische Anteile enthalten, etwa wofür man sich genau auf einer Seite interessiert und wie lange man wohin geschaut hat. Laut Oculus-AGB können obendrein Informationen über „Körperbewegungen und -maße“ gesammelt werden.

Mit einem freien WebVR-Browser ist die Spionier-Gefahr geringer. Dazu braucht es jedoch offene Systeme, herstellerübergreifende Standards und die Möglichkeit, unterschiedliche VR-Browser wählen zu können. Zumindest auf den mobilen VR-Plattformen sieht es zurzeit nicht danach aus. (jkj@ct.de)