c't 7/2016
S. 70
Reportage
Schlussmachen bei Facebook

Schluss. Aus. Vorbei?

Das Schlussmachen in sozialen Netzwerken ist kompliziert

Nach einer Trennung zeigt Facebook fleißig weiter Fotos vom glücklichen Ex-Partner an. Verlassene müssen deshalb selbst tätig werden und ihre Freundeslisten und Fotoalben mühsam ausmisten. Oder sie engagieren die Social-Media-Schlussmacherin Caroline Sinders.

Soziale Medien fördern Beziehungen – gestalten das Schlussmachen aber schwierig. Diesem Problem ist Caroline Sinders nachgegangen: Aus anthropologischer Neugier startete die Interaktionsdesignerin ein Kunstprojekt in New York und gab in ihrer Performance vor, ein Social-Media-Break-up-Coach zu sein – ein Beruf, den sie frei erfunden hat. Gemeint ist damit eine Spezialistin, die anderen dabei hilft, in sozialen Netzen mit gescheiterten Beziehungen umzugehen. Dabei geht es nicht nur um Partnerschaften, sondern auch um Kündigungen und das Beenden von Freundschaften. In ihrer Rolle legte Sinders auch selbst Hand an und löschte Fotos von den Smartphones ihrer Kunden oder „entfreundete“ für sie den Ex-Partner und dessen Freundeskreis.

Caroline Sinders hat sich als Social-Media-Schlussmacherin ausgegeben – und damit den Nerv der Nutzer getroffen. Diese waren sogar bereit, ihr Facebook-Passwort zu verraten.

In Sinders „Büro“ in der New Yorker Babycastles Gallery mussten die Kunden zunächst einen Vertrag unterschreiben und einen Fragebogen ausfüllen, in dem sie erklärten, warum sie eine Social-Media-Schlussmacherin brauchten. „Ich war überrascht, dass die meisten nicht etwa zu mir kamen, weil sie Abstand von einer alten Beziehung brauchten. Sie wollten einfach mehr über Social Media an sich wissen“, erklärt Sinders. Sie findet es erschreckend, wie viel Zeit die Nutzer einerseits in sozialen Netzwerken verbringen und wie wenig sie andererseits darüber wissen – vor allem, wenn es darum geht, mehr Abstand zu diesen Netzwerken zu bekommen.

In 15-Minuten-Sitzungen bot Sinders ihren Ratschlag für 10 US-Dollar an. Viele ihrer Tipps waren leicht umzusetzen: „Wenn jemand zu mir kam, weil er mehr Abstand von seinen Facebook-Freunden brauchte, riet ich einfach, die Facebook-App vom Smartphone zu löschen. Den meisten war die Idee dazu noch nicht mal durch den Kopf gegangen!“

Braucht die Welt tatsächlich eine Social-Media-Break-up-Koordinatorin, die solche simplen Ratschläge gibt? „Ich glaube schon, dass viele das so sehen“, findet Sinders. „Vernetzungs-Algorithmen sind einfach nicht dazu geschaffen, digitale Verbindungen zu beenden.“ Schluss machen? Verbindungen abbrechen? Darauf sind die Algorithmen nicht programmiert.

Ganz bewusst, vermutet Caroline Sinders. Schließlich sind diese Verbindungen für die sozialen Netzwerke eine wahre Fundgrube an Informationen: Facebook & Co. wissen, welche Fotos wir posten, welchen Publikationen wir folgen und auf welche Profile wir am häufigsten klicken. Dieses Wissen nutzen die Dienste, um die Newsfeeds zu individualisieren – und um passende Werbung anzuzeigen. Wenn Nutzer Verbindungen auflösen, verlieren sie für die Netzwerke an finanziellem Wert. Kein Wunder also, dass sie dafür keine Werkzeuge bereitstellen.

Schlussmach-Apps als Rettung?

Wenn man im echten Leben eine Beziehung beendet oder die Arbeitsstelle gewechselt hat, löscht man Telefonnummern, meidet bestimmte Kneipen oder zieht sogar in eine andere Stadt. Alte Erinnerungen kommen in Kisten, die weit weg auf dem Dachboden landen. Für die digitale Welt der sozialen Medien gibt es eine solche Kiste leider noch nicht. Und die Vernetzungs-Algorithmen machen es schwer, den nötigen Abstand zu gewinnen.

Immerhin gibt es einige Behelfslösungen, die das Vergessen erleichtern sollen. Die App KillSwitch etwa löscht bei Facebook alle „verknutschten Fotos“ und „schwärmerischen Posts“, auf denen der Ex-Partner markiert ist. Picture Burn verbrennt virtuelle Fotos ohne Brandgefahr. Um User in schwachen Momenten vor sich selbst zu schützen, gibt es wiederum die App Drunk Dial. Vor dem Anruf beim Verflossenen müssen Liebestrunkene zunächst Matheaufgaben lösen – mit vernebeltem Kopf eine echte Herausforderung. „Diese App ist wirklich genial“, findet Caroline Sinders. Doch im Allgemeinen hält sie nicht viel von den Schlussmach-Apps: „Ich verstehe ja, dass man diese emotional schwierige Aufgabe, gerade nach dem Ende einer romantischen Beziehung, gern an eine App oder an einen Break-up-Koordinator abgeben möchte. Aber man muss sich auch überlegen, was man damit genau tut: All unsere Informationen, Passwörter, Fotos, Nachrichten gehen an eine Über-App oder an eine Person, die alles für uns kontrollieren soll. Das kann unglaublich gefährlich sein.“

Doch in den USA nehmen es die Nutzer mit persönlichen Informationen offenbar nicht so genau. Sinders’ Kunden waren fast alle bereit, ihr – einer praktisch Fremden – all ihre privaten Informationen zu überlassen, nur damit sie das Beenden ihrer Beziehungen in sozialen Netzwerken übernehmen konnte. „Das ist für mich unbegreiflich. Einerseits kamen die meisten zu mir, weil sie sich mehr Distanz und mehr Privatsphäre wünschten. Andererseits waren sie fast alle bereit, mir einfach so all ihre Passwörter in die Hand zu drücken.“

Filter statt Apps

Hilflosigkeit führt dazu, Datenschutzbedenken aufzugeben – so sie denn überhaupt existieren. Vielleicht liegt das auch daran, dass es keine Netiquette gibt fürs Beenden von Online-Beziehungen. Viele Nutzer sind verunsichert: Ist es erlaubt, noch ein „Gefällt mir“ zu hinterlassen, wenn der Ex-Freund etwas Lustiges auf Facebook postet? Darf man auf den Tweet der Ex-Freundin antworten? Das Schlussmachen ist in der digitalen Welt mindestens genau so nuanciert wie im echten Leben.

Statt einer Social-Media-Break-up-Koordinatorin oder einer Schlussmach-App wünscht sich Sinders deswegen bessere Filter für soziale Netzwerke: „Ideal wäre es, wenn wir bessere Mechanismen hätten, mit denen wir zum Beispiel bestimmte Hashtags oder auch Freunde von Freunden sperren könnten. Das würde es Nutzern viel einfacher machen, neben dem realen Leben auch in der digitalen Welt eine Beziehung zu beenden.“

Sinders will weiterhin als Social-Media-Schlussmacherin beratend tätig sein, um mehr Menschen auf die Problematik aufmerksam zu machen. Denn auf die Hilfe der Netzwerk-Betreiber können sie leider nicht hoffen. (dbe@ct.de)