c't 5/2016
S. 20
Prozessorgeflüster
Gravitationswellen

Prozessorgeflüster

Von Wellen und Erschütterungen

Soft Machines erschüttern die Prozessorwelt, Erdbeben Taiwans Fabriken und Gravitationswellen das ganze Universum. Und ich schaue mal zurück auf die Pioniere, die sich mit Rechnern – und mit Gravitationswellen beschäftigt haben.

Soft Machines, das Start-up, das unter dem Namen VISC-Architektur mit einer Art umgekehrten Hyper-Threading mehrere physische Kerne an einem Thread ackern lassen will, hat mit beeindruckenden Simulationsergebnissen nachgelegt. Im Single-Thread-Betrieb soll VISC bis zu 10 Instruktionen per Takt (IPC) ausführen können, im Schnitt bei 4 bis 6 liegen, gut doppelt so viel wie die Out-of-Order-Konkurrenz. Und die – Apple A9, ARM Cortex 72 und Intel Skylake – sieht etwa beim SPEC-CPU2006-Benchmark in puncto Performance pro Watt ziemlich alt aus, zumindest in der Simulation. Der erste Vertreter Shasta mit zwei Kernen, vorgesehen für TSMCs 16-nm-Prozess, soll noch in diesem Jahr herauskommen. Bekannte Analysten wie Kevin Krewell sind skeptisch, hoffen aber sehr, dass sich Soft Machines als „real deal“ herausstellen wird – ansonsten wäre die Mikroprozessorlandschaft ziemlich langweilig.

Wenn an Soft Machines Simulationen was dran ist, müssen sich ARM, Apple und Intel (links) warm anziehen. Schon der noch für dieses Jahr geplante Shasta hängt die Konkurrenz in Watt pro Performance locker ab.

Im kommenden Jahr sind für den 10-nm-Prozess dann Shasta+ und der Vierkerner Tahoe geplant. Doch könnte es unerwartete Verzögerungen geben. So hat TSMC jetzt nach dem Erdbeben vom 6. Februar wohl doch mehr Probleme als gedacht, die Fab 14 wieder in den Normalbetrieb zu bekommen – und das, wo die Umsätze nach Apples Teilausstieg deutlich gesunken sind. TSMC hofft aber wieder auf Exklusivverträge mit Apple Ende des Jahres mit Beginn der 10-nm-Produktion.

Am 14. Februar konnte die Rechnergilde nicht nur den Valentinstag feiern, sondern auch den 70. Geburtstag des ENIAC, der mit seinen 18 000 Röhren als erster elektronischer Computer gilt. Ein Original-Rack von ihm lässt sich im Heinz-Nixdorf-Museumsforum bewundern. Über die Frage, wer denn überhaupt den ersten Computer erfunden hat, herrschte ja jahrelanger Expertenstreit, ob nun Zuse, Atanasoff, Berry, Aiken, Turing … Nein, das war viel früher, hört man heute verstärkt, denn mit zunehmender Entschlüsselung der Unterlagen rückt immer mehr Charles Babbage mit seiner Analytic Engine in den Vordergrund. Die wäre, wie man inzwischen annimmt, Turing-mächtig gewesen, wenn er sie denn fertiggestellt hätte.

Eine frühere Babbage-Maschine, die Difference Engine No. 2, wurde bereits 2002 mühevoll in London rekonstruiert. Nun ist ein Team an der weitaus komplexeren Analytic Engine dran, kein kleineres, per Handkurbel betriebenes Räderwerk wie die Difference Engine, sondern ein 19 Meter langes Ungetüm, angetrieben von einer Dampfmaschine. Ein Jahrzehnte-Projekt: Zunächst müssen 7000 handgeschriebene Seiten zugeordnet und zahlreiche undokumentierten Symbole von Babbage entschlüsselt werden. Man komme aber gut voran, berichtete mir Mitinitiator Doran Swade vom Londoner Science Museum. Das letzte Jahr mit den Festlichkeiten zum 200. Geburtstag von Babbages berühmter Mitstreiterin Lady Ada Lovelace hat noch einmal einen kräftigen Anschub gegeben.

Göttinger Rechenwunder

Hundert Jahre später haben dann Zuse und andere viele Babbage-Ideen oft unwissentlich wieder aufgegriffen. Neben Zuse gilt Heinz Billing als einer der bedeutendsten Computer-Pioniere der Nachkriegszeit – und er war dann später einer der Wegbereiter für die Suche nach Gravitationswellen. Mit einer Startfinanzierung aus den Mitteln des Marshall-Planes konstruierte er ab 1948 an der Universität Göttingen die G1, einen Rechner mit Magnetophon-Speicher, der nach vielen Wirren 1952 fertig wurde. Die zunächst tonangebenden Briten setzten lieber auf eine andere Speichertechnik mit Quecksilber-Verzögerungsgliedern, Billing wollte hingegen seine von einem Bauknecht-Drehstrommotor angetriebene Magnetspeichertechnik durchsetzen. Nur war es in der neugegründeten Bundesrepublik nicht gerade einfach, einen Etat für solche Ideen zu bekommen. Zum Glück fand er die Unterstützung der Göttinger Astrophysiker unter Prof. Liebermann und von Prominenten wie Werner Heisenberg; auch Konrad Zuse half mit einer Ladung Relais aus. 1951 konnten dann Bundespräsident Heuss, Werner Heisenberg und Otto Hahn einer ersten Vorführung einer Teilstufe des G1 beiwohnen.

Das „Göttinger Rechenwunder“, die G1, war mit 480 Röhren weitaus kleiner und mit gerade einmal zwei Rechenoperationen pro Sekunde viel langsamer als etwa der riesige oben erwähnte ENIAC. Anders als bei jenem mussten die Röhren bei der G1 auch nur das Rechenwerk darstellen. Die dynamischen Register, ebenso wie einige statische Speicher, lagen auf der Magnettrommel. Aber nach der Vorführung war das Eis gebrochen, Billing konnte mit der G2 und G3 nachlegen, jede mehr als zehnmal so schnell wie die Vorgängerin. Die G3 von 1960 hatte dann aber schon Kernspeicher.

Die perfekte Welle

1958 zog das Max-Planck-Institut für Physik- und Astrophysik zunächst nach München-Schwabing und die Astronomen dann zwanzig Jahre später nach Sibirien (Studentenjargon), also nach Garching um. Ab 1970 widmete sich Heinz Billing den Gravitationswellen, versuchte sie zunächst mit einem großen Aluminiumzylinder aufzufangen, später stieg sein Team dann auf Interferometer mit Präzisionslasern um. Die Laser-Technik erwies sich als so elementar wichtig, dass das Max-Planck-Institut für Quantenoptik später nach Hannover umzog. 2002 wurde hier und in Potsdam in Zusammenarbeit mit der Leibniz-Universität in Hannover das Albert-Einstein-Institut (AEI) gegründet.

Professor Karsten Danzmann ehrt Heinz Billing bei der Festveranstaltung zur Entdeckung der Gravitationswellen.

Bis Billing in den 80er Jahren in den Ruhestand ging, blieben alle seine Messungen ohne Erfolg. „Nie hat jemand Gravitationswellen so schön nicht gemessen wie wir“ hat ihm sein Nachfolger Prof. Karsten Danzmann – Professor für Gravitationsphysik an der Leibniz-Uni in Hannover und einer der beiden Direktoren am AEI – bei der großen Festveranstaltung am 11. Februar in den Mund gelegt. Aber nein – so korrigierten ihn später in privater Runde die als Ehrengäste geladenen Billing-Mitarbeiter Winkler und Rüdiger, dieses schöne Bonmot stamme von einem weiteren wichtigen Mitstreiter, dem langjährigen Chef des Max-Planck-Instituts für Astrophysik Prof. Rudolf Kippenhahn. Kippenhahn ist seitdem durch viele populärwissenschaftliche Bücher über Astro- und Atomphysik sowie über Kryptologie breitflächig bekannt geworden. Nun können beide Wissenschaftler im leicht fortgeschrittenen Alter, Kippenhahn kurz vor dem 90. und Billing gar kurz vor seinem 102. Geburtstag, doch noch den späten Triumph miterleben.

Mein Atlas

Nur 3 Minuten nach dem großen Event der Verschmelzung zweier schwarzer Löcher – also genauer gesagt: 1,3 Milliarden Jahre plus 3 Minuten – bekam am AEI in Hannover der diensthabende 33-jährige Postdoc Marco Drago aus Padua am 14. September 2015 gegen 11:54 MESZ eine automatische E-Mail. Da wäre ein Event GW150914 von beiden LIGO-Interferometern mit super Signal-zu-Rausch-Werten. Ausgewertet wurden die Daten von Atlas – „mein Atlas“, der bislang einzige Supercomputer, den ich mit Druck auf den roten Knopf mit in Betrieb nehmen durfte. Damals im Mai 2008 war der von Pyramid Computer aufgebaute Rechner immerhin der schnellste Supercomputer mit Ethernet-Interconnects auf dem Erdball.

Die meisten Knoten (mit einem Xeon-3220-Prozessor) arbeiten auch heute noch, nur sind aktuelle Haswell-Prozessoren etwa drei- bis viermal schneller und effizienter, die alten Yorkfields werden jetzt ausgemustert. Zu den 5368 Kernen von damals sind in der Zwischenzeit rund 9000 hinzugekommen, dazu 264 Nvidia-GPUs. Ende letzten Jahres kaufte das AEI palettenweise preiswerte GeForce-GTX-750-Karten ein, 1875 Stück, die jetzt Zug um Zug eingesetzt werden. Mit über einer Million CUDA-Kernen und mithin mehr als 2 Petaflops Rechenleistung bei einfacher Genauigkeit – mehr brauchen die meisten dort laufenden Algorithmen nicht – ist der Rechner für diesen Job gut aufgestellt, da können jetzt viele Events kommen. Nur so oft verschmelzen schwarze Löcher eben auch nicht, jedenfalls soweit man weiß. Bislang vermochten die klassischen Methoden mit optischen, Radio- und Röntgenteleskopen sowie Teilchendetektoren ja nichts festzustellen. Und die fanden auch noch nichts Weiteres über die geheimnisvolle dunkle Energie und dunkle Materie heraus. Gravitationswellen könnten jetzt den Schlüssel dazu liefern, den Schlüssel zu der derzeit wohl spannendsten Problemstellung in der Physik. (as@ct.de)