c't 3/2016
S. 42
News
Unterseekabel
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Ostsee-Highway

Ein neues Daten-Seekabel für skandinavische Rechenzentren

Billiger Strom und kühles Klima lassen immer mehr Groß-Rechenzentren in Nordeuropa entstehen. Google und Facebook etwa investieren Milliarden. Damit die Daten zu den Kunden in Zentraleuropa kommen, benötigen sie dicke Leitungen. Der finnische IP-Carrier Cinia geht mit seinem Seekabel-Projekt C-Lion-1 voran und verbindet Helsinki mit Rostock.

Dass es schneller ging als erwartet, hatte vor allem mit dem Wetter zu tun: 93 Tage war das Spezialschiff unterwegs, um 1172 Kilometer Unterseekabel durch die Baltische See zu verlegen. Am 12. Januar verkündete Jukka-Pekka Joensuu, Chef des finnischen Telekom-Konzerns Cinia Group, im Rahmen einer Feierstunde in Rostock: „Heute Abend führen die Techniker den letzten Spleiß aus, die Verbindung steht.“

Das neue Glasfaserkabel C-Lion-1 verläuft durch die Baltische See. Es verbindet Helsinki und Rostock mit einer Gesamt-Bandbreite von 120 TBit/s. Bild: TeleGeography (www.submarinecablemap.com)

„C-Lion-1“ (oder „Sea-Lion“) wird im Frühjahr 2016 in Betrieb genommen und dann die erste direkte Glasfaser-Verbindung zwischen Nord- und Westeuropa sein. Die Endstellen liegen in Helsinki und Rostock. Acht Glasfaserpaare mit je 15 TByte/s Kapazität laufen im C-Lion-System durch die Ostsee – eine Gesamtbandbreite von rund 120 TByte/s. Cinia wollte eine außergewöhnlich latenzarme Verbindung herstellen, was offensichtlich gelungen ist: Erste Messungen weisen auf Signallaufzeiten von weniger als 10 ms hin.

Am Deich steht ein unscheinbarer Container, in dem C-Lion-1 aus dem Boden kommt und terminiert ist.

Der finnische IP-Carrier will mit dem Kabel einen Bedarf decken, der gerade erst so richtig entsteht: Immer mehr IT-Unternehmen entdecken Nordeuropa als idealen Standort für ihre Rechenzentren. Google beispielsweise hat bereits mehr als eine Milliarde Euro in sein finnisches Datacenter bei Hamina investiert. Facebook baut sein ohnehin schon riesiges Rechenzentrum im nordschwedischen Lulea immer weiter aus. Der deutsche Server-Hoster Hetzner Online errichtet in diesem Jahr auf 150 000 Quadratmeter Grundfläche bei Tuusula, etwa 20 Kilometer nördlich von Helsinki, einen Datacenterpark.

Grün, billig, kalt

Zwei Faktoren beflügeln den Datacenter-Boom in Nordeuropa: das Klima und vor allem die Energiepreise. Kalte Außenluft senkt Kosten für die Kühlung. Facebook kommt in Nordschweden beispielsweise ganz ohne Klimaanlagen aus. Hetzner hatte auch in Schweden und Island nach einem Standort gesucht, sich dann aber für Finnland entschieden. Nirgends sonst sei der Preis für grünen Strom so stabil günstig wie dort, erklärte Firmenchef Martin Hetzner im Gespräch mit c’t: „Wir haben in Deutschland dreimal so hohe Energiekosten.“

Hetzner betreibt an seinen deutschen Standorten derzeit fast 200 000 Kunden-Server. Die dafür notwendige Energie ist der größte Kostenfaktor. Eine Verlagerung der Datacenter ins nahe Frankreich, wie sie einige deutsche Provider gerade vollziehen, stand laut Hetzner nie zur Diskussion: „Dort ist der Strom zwar auch billiger, aber es ist eben Atomstrom.“ Außerdem sei man mit dem finnischen Standort nah an den Wachstumsmärkten in Osteuropa und Russland. Einen Umzug von Servern von Deutschland nach Finnland gäbe es aber nicht.

Die Betreiber von Rechenzentren sind auf möglichst latenzarme Verbindungen zu den zentralen europäischen Datenkreuzen in Frankfurt und Amsterdam angewiesen – dort also, wo sich der Großteil der Kunden befindet. Hetzner hat als erstes Nägel mit Köpfen gemacht und sich in das C-Lion-Projekt eingekauft. Der Mittelständler sicherte sich exklusiv eines der acht Glasfaserpaare, um das neue Rechenzentrum an den eigenen Glasfaserring anzuschließen, der die bestehenden Standorte Nürnberg, Falkenstein und Gunzenhausen mit dem De-Cix in Frankfurt verbindet.

Daten-Pipeline

Anhand eines Musters zeigt Alcatel-Lucent den Aufbau des C-Lion-Kabels. Acht dünne Glasfaser-Paare (ganz oben) transportieren die Daten.

Hetzner ist bislang einzige Kunde auf dem C-Lion-Kabel. Man führe aber konkrete Gespräche mit weiteren potenziellen Kunden, betonte Joensuu. Die Cinia-Gruppe gehört zu 77 Prozent dem Staat Finnland, der sich mit 20 Millionen Euro an dem C-Lion-Projekt beteiligt hat. Weitere 40 Millionen kamen von privaten Investoren. Die Europäische Kommission hatte dem Projekt begeistert zugestimmt. Wichtig sei ihr ein diskriminierungsfreier Zugang für Kunden gewesen. Den Zuschlag für die Fertigung und Verlegung von C-Lion-1 erhielt Alcatel-Lucent.

800 Kilometer der Strecke durch die Baltische See verläuft entlang der Nord-Stream-Pipeline, die Europa mit russischem Erdgas versorgt. Entlang dieser Route ist der Meeresboden bereits sondiert, was Zeit und Kosten gespart hat. Die Herstellung des Kabels begann Anfang 2015 im französischen Calais und nahm sieben Monate in Anspruch. Danach musste es auf zwei riesige Spindeln gewickelt und aufs Verlegeschiff verbracht werden.

Am 12. Oktober begann die Mission auf der Helsinki vorgelagerten Insel Santahamina, wo das Kabel auf finnischer Seite terminiert ist. Ein Untersee-Pflug zog die einen Meter tiefe Schneise für das Kabel in den Meeresgrund. Im Abstand von durchschnittlich 80 Kilometer frischen optische Signalverstärker das Signal auf. Den dazu nötigen Strom führt das Kabel selbst in einer Schicht der Ummantelung.

Bereits am 15. Dezember erreichte das Kabel schließlich Rostock-Warnemünde. Hier brachten es die Techniker direkt am langen, im Sommer vielbevölkerten Sandstrand an Land. In etwa drei Meter Tiefe ging es von dort aus auf die andere Seite des Deichs, wo C-Lion-1 nun in einem Container aus dem Boden kommt und terminiert ist – fast direkt an der Straße, neben einem Imbiss und der Verkaufsstation eines Klettergartens. Dass sich hier die Auffahrt zu einem neuen Highway des internationalen Datenverkehrs befindet, dürfte wohl kaum jemand vermuten. (hob@ct.de)