c't 22/2016
S. 26
News
IPTV

Zwanglos fernsehen

IPTV ohne Settop-Box und Provider-Bindung

Ein neues TV-Angebot „waipu.tv“ vereint nach Angaben des Anbieters die Flexibilität und den Komfort einer App mit der Verlässlichkeit und Qualität eines Kabelanschlusses.

Für alle, die Fernsehen nicht über Satellit, Antenne oder Kabel empfangen können oder wollen, gibt es seit einigen Jahren eine Alternative: Fernsehen als Datenstrom aus der DSL-Dose. Doch wer sich einmal genauer mit „IPTV“ beschäftigt, der merkt schnell, wie speziell dieser Empfangsweg ist: Wählt man ein Angebot eines Telekommunikationsunternehmens wie der Deutschen Telekom, ist man nicht nur an dessen Netz gebunden, sondern auch nicht frei in der Wahl des Routers und der Settop-Box. Nur so können die Anbieter störungsfreien Empfang gewährleisten.

Eine flexiblere Alternative sind Streamingdienste wie Zattoo und Magine TV, die die TV-Signale durchs Internet an den Zuschauer senden. Der kann bei einem beliebigen DSL-Provider Kunde sein. Allerdings weisen diese Dienste nicht ohne Grund darauf hin, dass es bei der Bildübertragung zu Aussetzern kommen kann: Tatsächlich haben sie ja nicht die komplette Übertragungskette unter ihrer Kontrolle.

Daher erstaunt es erst einmal, dass mit „waipu.tv“ gerade ein neues IPTV-Angebot auf dem deutschen Markt gestartet ist, das zwar mit jedem beliebigen Breitband-Internet-Anschluss funktionieren soll, aber dennoch die Verlässlichkeit und Qualität eines Kabelanschlusses bieten will. Hinter dem Dienst steht die Exaring AG, an der Freenet mit rund 25 Prozent beteiligt ist.

Technisch möglich ist der Dienst laut Anbieter dadurch, dass dieser einen Zugriff auf einen mehr als 12.000 km langen Glasfaser-Ring hat. Dieser zieht sich durch weite Teile Deutschlands und soll über Hunderte von Knotenpunkten zu DSL- und Kabelnetzen beim Start 23 Millionen Haushalte erreichen. Darüber laufen die TV-Daten laut Exaring an den Internet-Knoten vorbei und werden erst in der Nähe des Haushalts in den bestehenden Breitband-Anschluss des Nutzers eingespeist.

Der Zugang lässt sich weiterhin für andere Internet-Dienste nutzen, wobei dieser Teil wie üblich über das Netz des gewählten Internet-Providers läuft. Exaring speist nur TV-Daten ein. Insofern könnte sich eine intensive parallele Internet-Nutzung durchaus auf den TV-Empfang auswirken. Exaring selbst gibt einen Mindest-Datendurchsatz von 6 MBit/s für Fernsehen in Standardauflösung beziehungsweise 16 MBit/s für HDTV an. Bei Problemen mit dem Durchsatz passt der Dienst die Datenrate des TV-Signals nach unten an – was natürlich zu Lasten der Bildqualität geht.

Angucken und aufnehmen

Erstes TV-Empfangsgerät ist in der Wohnung das mit dem WLAN verbundene Smartphone mit der darauf installierten waipu.tv-App, an die das Fernsehbild samt EPG übertragen wird. Das Smartphone ist hier also Media-Hub, Fernbedienung und Programmzeitschrift in einem. Mit einer Wischbewegung übergibt man das Bild von dort an den Fernseher – oder genauer gesagt an einen Streaming-Client vom Typ Google Chromecast, da Exaring die Cast-Technik von Google benutzt. Daher hat der Dienst auch seinen Namen: waipu ist japanisch und steht für wischen. An sich könnte man die App danach beenden, da der Datenstrom nun direkt über das Google-Gerät läuft. Allerdings erfolgt die Bedienung von waipu.tv weiter über das Smartphone.

Digitalen Mehrkanalton gibt es zum Start des Angebots nicht. Dieser soll künftig aber geboten werden. Voraussichtlicher Starttermin ist hier das Frühjahr 2017.

Aufnahmen lassen sich von unterwegs anstoßen. Sie landen im Cloud-Speicher von waipu.tv.

Während die großen Provider bei IPTV auf Multicast-Übertragung setzen, arbeitet der neue Dienst mit Unicast. So erhält tatsächlich jeder waipu.tv-Nutzer seinen eigenen TV-Datenstrom. Stößt der Nutzer eine Aufnahme an, so wird die Aufzeichnung laut Anbieter auf den Servern in den Rechenzentren des Unternehmens abgelegt. Auch Timeshifting-Funktionen sind somit möglich, ohne dass eine Festplatte in einer Settop-Box mitlaufen muss.

Laut Exaring reicht die Kapazität des Glasfasernetzes momentan bereits aus, um 100 Millionen parallele HD-Streams auszuliefern. Der Ring sei auch für die Übertragung von TV-Kanälen in 4K-Auflösungen ausgelegt. Man warte nur auf passende Angebote seitens der Sender – und auf den 4K-fähigen „Chromecast Ultra“, den Google just ankündigte (siehe S. 16).

Unicast bedeutet auch, dass jeder genutzte Streaming-Client selbst dann seinen eigenen Stream erhält, wenn alle Nutzer im Haus dasselbe Programm schauen. Bis zu vier parallele Streams sind möglich. Da Aufnahmen direkt auf den Exaring-Servern und nicht auf einer Settop-Box ausgeführt werden, muss dafür aber keine Bandbreite reserviert werden.

Apropos Aufnahmen: Am Ende des Tages muss sich natürlich auch Exaring an die Spielregeln halten, die die TV-Sender ihren Vertragspartnern stellen. Daher wird es beispielsweise auch bei waipu.tv nicht möglich sein, die Sender der RTL-Gruppe in HD-Qualität aufzuzeichnen. Die App soll bei einem Aufnahmeversuch künftig die mögliche Aufnahme in SD vorschlagen.

Angebot und Preise

Die waipu.tv-App ist kostenlos für iOS (ab 8) und Android (ab 4.4) erhältlich; die öffentlich-rechtlichen Sender sind gratis in SD verfügbar. Zum Start sollen sich über 50 Sender über waipu.tv live empfangen lassen, auch in HD. Anfang 2017 soll das Angebot auf über 100 Sender anwachsen. Zu buchen sind die Angebote bundesweit in über 500 Shops von Mobilcom-Debitel und allen Filialen von Gravis. Beides sind Töchterfirmen von Freenet, das waipu.tv neben DVB-T2 als tragende Säule seines neuen TV-Geschäftsfeldes sieht.

Die Bedienung läuft bei waipu.tv über die Smartphone-App mit integriertem EPG.

Das „Comfort“-Paket enthält öffentlich-rechtliche und Privatsender in SD sowie 10 Stunden Aufnahmespeicher in der Cloud. Es kann im ersten Monat kostenlos getestet werden, danach werden monatlich 4,99 Euro fällig. HD-Sender und Fernsehen unterwegs auf dem Mobiltelefon kann man für jeweils 5 Euro zubuchen. Das „Perfect“-Paket für 14,99 Euro monatlich enthält aktuell nur öffentlich-rechtliche Sender in HD-Qualität. Allerdings erklärte Exaring, dass die Senderliste nicht in Stein gemeißelt ist. Im Preis ist zudem ein Cloud-Speicher enthalten, der 50 Stunden TV-Aufnahmen fasst.

Mit Jugendschutz-Sicherungen muss man sich bei waipu.tv nicht herumärgern: Exaring schließt nach eigenen Angaben nur Verträge mit Volljährigen und verzichtet daher vollständig auf eine PIN-Eingabe.

Erster Eindruck

c’t konnte sich bis zum Redaktionsschluss einige Tage lang einen ersten Eindruck von waipu.tv unter realen Bedingungen verschaffen. Dabei stellte sich heraus, dass sich der Dienst nicht auf Nvidias Shield TV nutzen lässt, obwohl der Streaming-Client offizielle Googles Cast-Technik unterstützt: Es war auf dem Fernseher nur ein Ausschnitt des Bildes zu sehen. Auf einem parallel angeschlossenen Chromecast 2 klappte der Empfang. Allerdings verband sich die waipu.tv-App lieber mit dem Shield TV als mit dem Chromecast, sodass wir immer wieder erst einmal die eine Verbindung lösen und die andere herstellen mussten.

An verschiedenen DSL-Anschlüssen mit 16 und 50 MBit/s Datendurchsatz funktionierte der Dienst einwandfrei – das betraf sowohl Fernsehwiedergabe als auch die Timeshifting-Funktionen sowie das Anfertigen und Abrufen von Aufnahmen. Passend dazu reagierte die App unverzüglich auf Eingaben. Wir vermissten lediglich eine Möglichkeit, spontan durch die Programme zappen zu können.

Bei einem 100-MBit-Kabelanschluss von Kabel Deutschland, an dem der Provider gerne „herumdoktert“, traten hingegen immer mal wieder massive Störungen auf: Dann blieben HD-Übertragungen unvermittelt stehen – und selbst bei der Wiedergabe von SD-Aufnahmen unterbrach der Chromecast zu Stoßzeiten (abends sowie an Wochenenden und Feiertagen) ab und an die Wiedergabe, um erst einmal seinen Puffer zu füllen. Dann konnte man nur recht umständlich das Programm am Fernseher wieder stoppen – und wünscht sich die gute alte Fernbedienung zurück.

Dies zeigt, vor welchen Herausforderungen Exaring steht: Manche Kunden dürften alle Probleme dem IPTV-Anbieter anlasten. Das Start-up kann aber weder ausschließen, dass der Provider auf der letzten Meile Störungen verursacht, noch solche am Router oder beim Streaming-Client des Kunden verhindern. (nij@ct.de)