c't 21/2016
S. 68
Interview
Ausländer-Integration
Aufmacherbild

Die schaffen das

JavaScript-Unterricht für Geflüchtete

Integration zum Nachmachen: IT-Berater Matthias Köper bringt jugendlichen Flüchtlingen das Programmieren bei. Die Kursteilnehmer profitieren trotz sprachlicher Herausforderungen erkennbar von dem Angebot des ehrenamtlichen Helfers.

Die „Deutsche Eiche“ im Bremer Stadtteil Horn-Lehe steht noch als Restaurant im Hotelführer, doch seit November vergangenen Jahres heißt das Haus „Bunte Eiche“. Es dient seitdem als „Inobhutnahme für unbegleitete männliche minderjährige Ausländer“, kurz: als Heim für Geflüchtete. Der IT-Berater Matthias Köper hält dort für einen Teil der Bewohner ehrenamtlich einen Kurs zur Programmierung in JavaScript.

Um einen Eindruck von der ungewöhnlichen Lehrveranstaltung zu gewinnen, bin ich zusammen mit Kameramann Ralf Bieler nach Bremen gereist. Videos von diesem Besuch finden Sie über den Link zu diesem Artikel.

Video: IT-Kurs für Geflüchtete in der Bremer „Bunte Eiche“
Video: Projektleiter Friedhelm Stock
Video: Matthias Köper schult Geflüchtete in JavaScript

Fern der Heimat

Zum Kasten: Ein Stück Heimat

Die erste Überraschung war positiv: Die „Bunte Eiche“ ist alles andere als abgewohnt. Die Atmosphäre wirkt wie eine Mischung aus Hotel und Studentenwohnheim. Das Schild vor dem Eingang benennt alle Träger der Unterkunft – die Sozialeinrichtung Alten Eichen, die Caritas, das Deutsche Rote Kreuz und die Bremer Jugend- und Sozialhilfe. Davon abgesehen ist an Innen- und Außenwänden der Unterkunft kaum etwas in Deutsch zu lesen. Ein riesiges Whiteboard ist komplett in unterschiedlichen Fremdsprachen beschriftet. „Keine Ahnung, was da alles steht“, erklärt uns das Personal mit einem Augenzwinkern. Am Fußballplatz hinter dem Haus sind ein paar arabische Schriftzeichen an die Wand gesprayt, doch prägend ist die kunstvoll mit Flaggen und Werder-Bremen-Logo bemalte Stirnwand.

Die Unterkünfte sind Ein- und Zweibettzimmer jeweils mit eigener Nass-Zelle, dazu Gemeinschaftsküchen, in denen sich die Jugendlichen selbst bekochen. Unseren Gesprächspartnern von den Trägereinrichtungen scheint es fast ein wenig peinlich zu sein, dass sie so komfortable Wohnverhältnisse für ihre Schützlinge vorweisen können. Im wohlsituierten Horn-Lehe brauche man aber keine Angst zu haben, dass Rechtspopulisten daraus rhetorisches Kapital schlagen, erfahren wir vom pädagogischen Leiter Horst Gräfe.

Die Flüchtlingsunterkunft „Bunte Eiche“ in Bremen ist ein umgewidmetes Hotel.

Rund um die Uhr gibt es professionelle Betreuer vor Ort – vor allem als Anlaufstation für Bewohner, die unter traumatischen Erlebnissen ihrer Flucht oder Vorgeschichte leiden. Da kommen manche erst spät nachts zur Ruhe, zumal Kontakte ins Heimatland dann am leichtesten herstellbar sind, erklärt Gräfe, „Trotzdem schalten wir den Internet-Zugang morgens um eins ab“.

Spannender Stoff

Die JavaScript-Lektionen des SoloLearn-Kurses sind in Englisch formuliert.

Einigermaßen pünktlich zum Kursbeginn finden sich die Teilnehmer ein – bis auf einen, der nach telefonischer Rückfrage etwas später kommt.

Minderjährige Kursteilnehmer dürfen wir ohne Zustimmung des Amtsvormunds nicht filmen. Sowie ich die Volljährigen der Teilnehmer auf entsprechende Genehmigungen anspreche, schwindet mein Optimismus. Selbst Aufmunterungen durch Betreuer und den Dozenten erzeugen bloß verlegen gestammelte Ablehnungen. Wenn das mit der Verständigung dermaßen schwierig ist, frage ich mich, wie soll dann der Kurs irgendwelche Erfolge zeitigen?

Während Kameramann Ralf Tische und Stühle passend für unsere Filmaufnahmen arrangiert, installiert der Dozent Matthias Köper seinen Beamer und die Notebook-Verbindung mit seinem Smartphone. PCs für die Kursteilnehmer hatte er im Vorfeld der Maßnahme gebraucht erworben und der Bunten Eiche als Dauerleihgabe überlassen.

Rückenwind aus Armenien

Das Kursmaterial stammt vom Anbieter SoloLearn. Dessen armenische Gründer Yeva Hyusyan und David Kocharyan haben mittlerweile über 600 kostenlose Lektionen zu IT-Themen von HTML über JavaScript bis zu SQL produziert und dafür mehr als zehn Millionen Teilnehmer gezählt.

Das US-Unternehmen beschäftigt armenische IT-Experten und bemüht sich um eine aktive Nutzer-Community. Auch wenn derzeit alle Kurse nur in Englisch vorliegen, stehen erklärtermaßen Übersetzungen in andere Sprachen auf der Agenda. Mit Kursen in anderen Sprachen böte sich das SoloLearn-Material noch besser zur Schulung von Geflüchteten an.

Als der Dozent loslegt, wird schnell klar, dass die Ausländer auch dem deutsch-englischen Lehrstoff durchaus folgen können. Ihre Körpersprache gibt deutliche Auskunft, was sie im Einzelnen verstanden haben und was nicht. Rückfragen bleiben zwar die Ausnahme, aber nicht selten sprechen sich die Kursteilnehmer gegenseitig an und helfen sich weiter. In diesen Fällen legt dann auch der Dozent eine zusätzliche Erklärung nach.

Köper präsentiert den Lehrstoff im Vorlesungsstil und reichert ihn mit eigenen Beispielen an. An diesem Tag geht es darum, ein Webformular auszufüllen und mit JavaScript auszuwerten. Köper simuliert dazu einen Wareneingang. Bei dem betriebsorientierten Beispiel denke ich, dass es den Kursteilnehmern sehr fremd vorkommen muss. Doch denen ist die Aufgabe auf Anhieb eingängig. Die zahlreichen Quizfragen, die Köper aus dem SoloLearn-Material einstreut, können sie jedenfalls gut beantworten.

Zum Kasten: Ein Trittstein auf dem Weg zum Beruf

Ich staune, wie diszipliniert und konzentriert sich die Jungs auf den für sie äußerst schwierigen Stoff einlassen. Dabei haben sie an diesem Freitagnachmittag allesamt schon mehrere Stunden Eingewöhnungskurs in der Berufsschule hinter sich, und einer von ihnen ist zu alledem erkennbar erkältet und reichlich erschöpft.

Deutsche Sprache, schwere Sprache

In der Pause kommen wir stolpernd doch irgendwie ins Gespräch. Es zeigt sich, dass die Jugendlichen Deutsch besser verstehen, als sie sich in dieser Sprache ausdrücken können. Süleyman, der im Kurs gelegentlich Hilfestellung von seinem Tischnachbarn erfragt, kann ich mit Mühe entlocken, dass er auf einen deutschen Schulabschluss hinarbeitet und anscheinend noch keine konkreteren Pläne hat. Das trifft auch für andere zu. Mouhammad, der als einziger eine in Deutschland anerkannte Hochschulreife hat, will Medizin studieren. Abdullah-div verblüfft mich mit der Auskunft „Ich habe kein Interesse an Computern. Ich habe Lust, JavaScript zu lernen, aber nicht später für meinen Beruf.“ Was er denn werden will? „Kfz-Mechatroniker“. „Solche Leute müssen aber eine Menge von Computern verstehen.“, wirft der Dozent ein, „Da wird dir der Kurs sicher weiter helfen“. Seinem energischen Kopfnicken nach sieht Abdullah-div das genauso.

Der Fußballplatz der Bunten Eiche verbindet internationales Flair mit Bremer Lokalpatriotismus.

Die Zigtausend-Euro-Werte, die Köper in der Pause als absehbare Jahresgehälter an die Wand malt, machen keinen Eindruck. Stattdessen kommen mehrere Fragen, ob man in Deutschland für jeden Beruf einen Schulabschluss braucht, selbst für einen Praktikumsplatz. Unsere vereinten Erklärungen dazu ernten nur vereinzeltes, unsicheres Kopfnicken. Anscheinend haben wir uns trotz aller Bemühung immer noch nicht einfach genug ausgedrückt. Offenbar ist Deutsch sehr viel schwerer zu lernen als JavaScript. (hps@ct.de)