c't 20/2016
S. 28
Prozessorgeflüster
AMD

Prozessorgeflüster

Von absoluten und relativen Siegern

Durch viele Misserfolge und Hiobsbotschaften hat sich AMD über die Jahre zum Sorgenkind der Halbleiterindustrie entwickelt. Doch derzeit läufts für die Noch-Sunnyvaler auf den ersten Blick so rund, dass man sich die Augen reibt.

AMD hat zurzeit einen echten Lauf: Die letzten Quartalszahlen waren besser als von vielen erwartet, und mit den aktuellen Radeon-GPUs konnte man Nvidia erhebliche Marktanteile wegnehmen. Dann hatte AMD im August auch viele Nachrichten über die kommenden Zen-Prozessoren verbreitet, die gut aufgenommen wurden, auch an der Börse: Der Aktienkurs hatte enorm zugelegt. Er sackte aber prompt deutlich ab, als AMD bekannt gab, sich mit der Ausgabe neuer Aktien rund 1 Milliarde US-Dollar frisches Kapital zu beschaffen. Trotzdem steht das Unternehmen besser da als seit Langem.

Doch wie realistisch sind die hohen Erwartungen angesichts des schrumpfenden PC-Markts und der Schwierigkeiten, die Supercomputer-Firmen wie Cray und SGI plagen? Schließlich beruht die Steigerung des GPU-Marktanteils von AMD vor allem darauf, dass der Nvidia-Absatz deutlich schrumpfte – und weniger auf der geringen absoluten Absatzsteigerung um 4 Prozent bei AMD-GPUs. Bei Notebook-GPUs und integrierter Grafik (IGP) ging es sogar abwärts, auch bei AMD.

Wachsen durch Wegschnappen

Auch bei den Marktanteilen gilt es also ganz genau hinzuschauen. Besonders wichtig ist die absolute Größe von Märkten, wenn es um Produkte geht, in deren Entwicklung Hunderte Millionen Euros fließen, etwa Prozessoren und GPUs: Können die zu erwartenden Stückzahlen am Ende überhaupt die Entwicklungskosten finanzieren? Typische Märkte, die Firmen wie AMD, Intel, Nvidia, Qualcomm und Samsung bedienen, unterscheiden sich in den Stückzahlen drastisch. So erwartet Gartner beispielsweise für 2016 den Verkauf von 284 Millionen Desktop-PCs, Notebooks und Windows-Tablets, 2017 sollen es mit 296 Millionen nicht viel mehr werden. Großes Wachstum kann also nur gelingen, wenn man einem Konkurrenten Marktanteile wegschnappt – denn neue Kunden werden kaum zu finden sein.

Auch bei Tablets und Smartphones sind die Zeiten stürmischen Wachstums vorbei: Android- und iOS-Tablets stagnieren bei knapp 190 Millionen Stück. Rund zehn Mal so groß sind die Stückzahlen bei Smartphones – hier dominieren Apple und Samsung mit eigenen Prozessoren, Qualcomm tut sich schon länger schwer und viele ehemalige Konkurrenten sind ausgestiegen, beispielsweise Nvidia. Dort fokussiert man sich mit den Tegra-Kombichips auf Streaming-Geräte wie Shield Android TV und den Auto-Markt. Weltweit dürften 2016 aber höchstens 90 Millionen Autos gekauft werden – und in wie vielen (Premium-)Modellen stecken aufwendige Fahrassistenzsysteme, die leistungsfähige Nvidia-Chips benötigen? Wie teuer können dann Chips für solche Systeme sein – und wie schwer wird es für Nvidia, etablierte Zulieferer zu verdrängen?

Server-Markt

AMD schürt auch die Hoffnungen auf ein Comeback im Server-Markt, den Intel bekanntlich fast im Alleingang mit Xeons beglückt. Die Kunden sind begeistert von frischer Konkurrenz, weil sie Intel Apothekerpreise unterstellen. Ein bezahlbarer x86-Vielkerner mit großem RAM und vielen PCIe-Lanes wie AMD Zen dürfte auch dann viele Käufer finden, wenn die Single-Thread-Performance unter der von Xeons bleibt. Mit der RAM-Verschlüsselung Secure Memory Encryption (SME) und Secure Encrypted Virtualization (SVE) kontert AMD nun auch viele Funktionen der Intel Secure Guard Extensions (SGX): Virtuelle Maschinen auf Cloud-Servern sind damit besser gegen Angriffe geschützt. Intels SGX wird mit Skylake-EP beziehungsweise ebenfalls 2017 in Xeons für die Purley-Plattform debütieren.

Laut AMD haben die Server-Hersteller beziehungsweise deren Kunden großes Interesse an Zen. Allerdings sind die Stückzahlen im Server-Markt klein, IDC erwartet in diesem Jahr knapp 23 Millionen verkaufte Prozessoren, die zusammen 13,9 Milliarden US-Dollar einbringen, also im Mittel rund 600 US-Dollar kosten. In den Folgejahren soll der Markt im Schnitt um 2,2 Prozent jährlich wachsen.

Zu den besten Opteron-Zeiten vor zehn Jahren konnte AMD mehr als 25 Prozent des Serverprozessormarkts erobern. Zen dürfte es 2017 deutlich schwerer haben und Intel wird seine Marktanteile mit Zähnen und Klauen verteidigen. Falls es AMD trotzdem schafft, Intel gleich im ersten Jahr 5 Prozent vom Markt abzuluchsen und 1,15 Millionen Opterons zu verkaufen, würde das etwa 700 Millionen US-Dollar in die AMD-Kasse spülen – ein nettes Sümmchen, immerhin knapp 18 Prozent vom gesamten Umsatz des Jahres 2015.

AMDs Architektur-Ass

Relevant für den Erfolg einer Chip-Generation ist vor allem die zugrundeliegende Architektur. Sie entscheidet darüber, wie schnell ein Haupt- oder Grafikprozessor seine Aufgaben verrichtet und wie viel Watt er dafür verheizt. Im Grafik-Bereich hat sich die aktuelle GCN-Architektur von AMDs Polaris-GPUs dabei tatsächlich in manchen Fällen als Nvidia-Bezwinger herausgestellt – sofern man DirectX-12-Anwendungen auf die Chips loslässt. Dank einer Funktion namens Async Compute führen sie Rechen- und Grafikaufgaben parallel und unabhängig voneinander ohne Leistungsverlust durch. Nvidias Maxwell-Chips müssen beim Wechsel zwischen Compute- und Graphics-Kernel jeweils einen Context Switch durchführen, was Zeit und damit Performance kostet. Entgegen der Beteuerungen von Nvidia – und der Erwartungen – sind bis jetzt auch bei der aktuellen Pascal-Generation kaum bis keine Async-Compute-Fortschritte spürbar. In der Praxis heißt das: Günstige AMD-Karten können plötzlich teurere Nvidia-Modelle überholen, sofern Spiele von Async Compute profitieren.

Als AMD die DirectX-12-Vorteile beim Echtzeitstrategiespiel Ashes of the Singularity demonstrierte, raunten noch einige, es handele sich um ein von AMD massiv gefördertes Vorzeigespiel. Doch es war kein One Hit Wonder, das zeigte sich bei Hitman und Rise of the Tomb Raider, allerdings nur bei abgespeckter Detailstufe. Im neuen Schleichspiel Deus Ex Mankind Divided überholt die Radeon RX 480 sogar die teurere Nvidia GeForce GTX 1060 im DirectX-12-Modus – aber nur im integrierten Benchmark. Spielt man den Titel normal, kehrt sich das Verhältnis wieder um. Daher steht zumindest bei Deus Ex der Verdacht im Raum, dass hier gezielt auf den integrierten Benchmark hin optimiert wurde. Sonst ist der DirectX-12-Pfad auf vielen Grafikkarten sogar langsamer als DirectX 11.

Trotzdem: Die Async-Compute-Verarbeitung ist das Filetstück der GCN-Architektur und war vielleicht sogar ein ausschlaggebendes Argument für Microsoft und Sony, AMD-GPUs für ihre Konsolen Xbox One und Playstation 4 zu verwenden. Auch in der jüngst vorgestellten PS4 Pro steckt eine Polaris-10-GPU mit 2304 Kernen, die immerhin 4,2 TFlops schafft – das Desktop-Pendant auf der Radeon RX 480 erreicht 5,8 TFlops. Sicher ist: Es werden mehr und mehr DirectX-12-Spiele erscheinen, die wohl auf günstigeren AMD-Grafikkarten gut laufen. Das könnte mittelfristig dafür sorgen, dass Nvidia seine immer noch relativ hohen Preise anpassen muss.

Wie man hinter den Kulissen munkelt, wollen die Grünen aber zunächst im Oktober die GeForce GTX 1050 herausbringen – die dann günstigste Pascal-Grafikkarte. Bereits jetzt sind die vermeintlichen Specs ans Licht gekommen: Die GP107-GPU soll 768 Shader-Kerne und 48 TMUs haben, dazu kommen 4 GByte GDDR5-RAM mit 128-Bit-Anbindung. Für E-Sport-Titel wie Overwatch (siehe S. 52), Dota 2 und Co wird die Karte also mehr als genug Leistung bieten. Sie soll sich außerdem nur aus dem PCIe-Steckplatz speisen, folglich keinen zusätzlichen Netzteil-Stecker benötigen.

Nvidia wird mit der GTX 1050 also erneut den bisher größten Trumpf der Pascal-Generation ausspielen: eine für die gebotene Leistung geringe Leistungsaufnahme. Hier kann AMD selbst mit den neuen Polaris-GPUs schlichtweg nicht konkurrieren, weshalb einige Branchenbeobachter mit gedämpften Erwartungen auf AMDs kommende High-End-Generation „Vega“ schauen, die im ersten Halbjahr 2017 mit HBM 2 erscheinen soll. Sie tritt gegen den Pascal-Chip GP102 an – ein verdammt starker Gegner. (mfi@ct.de)