Vollnarkose
"Wo bin ich?", fragte ich nach dem Aufwachen erschrocken die ältliche Krankenschwester, die mich an Oberschwester Ratched aus "Einer flog über das Kuckucksnest" erinnerte. "Sie sind im Gates Memorial Hospital", antwortete Ratched: "Chirurgische Abteilung. Wir haben ein kleines Update an Ihrem Betriebssystem Brainware 10 vorgenommen". Update? Betriebssystem? In meinem Schädel begann es zu brummen und ich stellte fest, dass ich den rechten Arm nicht mehr bewegen konnte.
"Wir haben ihn abgeschaltet. Aus Sicherheitsgründen", erläuterte Schwester Ratched milde lächelnd: "Viele infizieren sich beim Händeschütteln mit einem Virus, wissen Sie." Davor war ich nun sicher. Aber warum fand ich das trotzdem irgendwie beunruhigend? Da hatte jemand ohne mich zu fragen an meiner Software herumgedoktert. Auch meine Gehgeschwindigkeit wurde durch das Update auf die Hälfte reduziert, erfuhr ich. Meine Hardware sei schon alt, Baujahr ’65, man empfehle mir dringend ein Upgrade auf Titanhüften, damit Brainware 10 wieder flüssig laufen könne.
Früher haben einen die Ärzte noch gefragt, ob man einem chirurgischen Eingriff zustimmen würde, und aufgeklärt, warum er notwendig sei und was die Vor- und Nachteile gerade dieser Behandlung seien. Das hatte sich nun offenbar geändert.
Hilflos und wütend verlangte ich: "Machen Sie sofort ein Downgrade! Ich habe in diesen Eingriff nicht eingewilligt und verlange, dass ich meine Gliedmaßen wieder nutzen kann wie vorher. Niemand hat mich darüber aufgeklärt, was dieser Eingriff für Folgen für mich haben würde. Mich hat überhaupt niemand gefragt!"
"Aber mein Herr!", entgegnete die Schwester leicht konsterniert: "Ihre Einwilligung haben Sie uns schon vor zwei Jahren durch ein leichtes Kopfnicken im Vorbeigehen erteilt und damit allen Bestimmungen in unserem umfassenden Rahmenvertrag zugestimmt. Demnach ist uns künftig jeder Eingriff in Ihren Körper nebst Firmware erlaubt, haften wir für keinerlei Mängel und es steht uns völlig frei, den Zeitpunkt und die Art der Eingriffe festzulegen."
"Kann man nicht wenigstens mit dem Arm etwas machen?", fragte ich resigniert. "Das haben schon andere Kunden gefragt und eventuell berücksichtig der Brainware-Hersteller dies beim übernächsten Upgrade". Völlig entmutigt schlief ich wieder ein und träumte wild davon, was das nächste Update mit mir anrichtet.
