c't 16/2016
S. 124
Reportage
Selbstversuch Mobile Payment
Aufmacherbild

Der mit dem Handy zahlt

Selbstversuch: Eine Woche ohne Bargeld und Karten

„Mobile Payment“, also das Bezahlen per Handy, wird als dollstes Ding seit Erfindung der Münze gehandelt. Aber kann man im Alltag wirklich schon auf Bargeld und Karten verzichten? Oder verhungert man dann? Ich habe es ausprobiert.

Mit einem Knall fällt die Haustür hinter mir zu. Ich wollte eigentlich einkaufen gehen, aber ich habe weder Geld noch Karten dabei; das Portemonnaie liegt auf dem Küchentisch. Dummerweise wohne ich im fünften Stock, habe keinen Fahrstuhl und bin sehr faul. Beim Nachdenken über Alternativen zum nervigen Treppenlaufen fällt mir ein: Prahlen Supermärkte nicht seit Neuestem mit Smartphone-Bezahl-Möglichkeiten? Hatte Netto nicht sogar eine eigene App dafür?

10 Minuten später weiß ich (Hochlaufen wäre schneller gegangen): Ja, Netto hat eine Bezahl-App. Aber die kann man nicht mal eben schnell mit Paypal oder dem Girokonto verbinden, sondern muss darauf warten, bis man eine 1-Cent-Überweisung aufs Konto bekommt – zur Verifikation.

Die Pleite weckt meinen Forschergeist. Jetzt will ichs wissen – und eine Woche lang ohne Karten und Bargeld leben.

Tag 1: Beim Betreten des Rewe-Supermarkts fällt mir das „Kontaktlos“-Symbol an der Tür auf. Das kenne ich von meiner Kreditkarte, aber theoretisch sollte das Ganze auch mit meinem NFC-fähigen Smartphone funktionieren. Ich brauche lediglich eine passende Wallet-App.

Video: Nachgehakt

Zwischen Dosentomaten und Farfalle versuche ich, die Welt von NFC, HCE, SE und Girogo zu verstehen. Schwierig. Aber zumindest habe ich begriffen, dass es für Android viele Wallet-Apps gibt, die meisten davon aber eine neue SIM-Karte voraussetzen. Dafür habe ich keine Zeit, ich will jetzt sofort mit dem Telefon bezahlen. Ich stoße auf die Boon-App der deutschen Firma Wirecard. Die wurde laut Play-Store zwar erst 1000 Mal heruntergeladen und hat ziemlich schlechte Bewertungen, aber der Mensch muss ja schließlich essen.

Obwohl ich nur 100 Euro – im Supermarkt stehend – aufgeladen habe, zeigt mir die Boon-App 110 Euro an; 5 Euro Bonus gab es für die Registrierung, 5 Euro für die erste Aufladung. Zahlt sich ja richtig aus, mein Experiment. Aber jetzt wirds ernst: An der Kasse sage ich aufgeregt, ich würde gerne „kontaktlos“ bezahlen. Die Kassiererin, skeptisch: „Glaube nicht, dass das schon geht“, dreht mir aber das Terminal hin. Ich halte das Handy drauf, gebe die selbstgewählte PIN ein – und das war sie schon, die erste Smartphone-Bezahlung meines Lebens.

Tag 2: Ich bin verwirrt. Stimmt mein Vorurteil von der deutschen Fortschrittsverweigerung womöglich gar nicht? Zu meiner allergrößten Verwunderung akzeptiert nämlich so ziemlich jeder größere Laden in meiner Nachbarschaft kontaktloses Bezahlen (und damit Boon). Netto, Kaufland, DM, Rewe, Aldi, Rossmann, Marktkauf, überall werden ich und mein Bezahl-Handy freundlich empfangen. Ich verhungere also nicht.

Tag 3: Apropos Verhungern: Mir ist aufgefallen, dass man in etlichen meiner Lieblingsrestaurants mit Pey bezahlen kann, einem Bitcoin-Dienst aus Hannover. Bitcoins kaufen im Internet ist ziemlich langwierig – da passt es mir gut in den Kram, dass Pey im Hafven Café in Hannover einen Tausch-Automaten aufgestellt hat. Ich bitte einen Kumpel, der mir 50 Euro schuldet, den Schein in den Pey-Automaten zu stecken. Ich fotografiere in der App einen QR-Code am Automaten-Display ab und bin um 0,08 Bitcoin reicher. Die App funktioniert super, nur irritiert mich, dass sie mir eine Viertelstunde nach dem Tausch zwar immer noch 0,08 Bitcoins anzeigt, aber nur noch einen Wert von 46 Euro. Das wird wohl diese „Volatilität“ sein, von der die Bitcoin-Leute immer reden.

Egal, der Kurs steigt bestimmt wieder. Ich gehe erst mal Burger essen und bezahle mit der Pey-App, als wäre es das Normalste der Welt. Der Kellner hält mir ein Display hin, das ich in der App abfotografiere, dann wird der Bildschirm grün. Grün wie „alles gut“. Sehr befriedigend.

Tag 4: So, jetzt könnte langsam mal die 1-Cent-Überweisung von der Netto-App ankommen. Installiere ich halt die Edeka-App. Beim Anmelden meckert sie, die E-Mail-Adresse sei bereits vorhanden. Kann nicht sein, denke ich. Bis mir einfällt, dass Netto ja zur Edeka-Gruppe gehört. Kann ich mich womöglich mit meinen Netto-Accountdaten in die Edeka-App einloggen? Tatsächlich, das geht. Blöd nur, dass die ohne 1-Cent-Überweisung ebenso wenig funktioniert.

Tag 5: Ich kann morgens meine Einkäufe mit dem Smartphone erledigen und abends in Bars und Restaurants bezahlen. Nur mittags habe ich ein Problem: In der Mensa der Medizinischen Hochschule, wo ich meistens essen gehe, muss ich bar bezahlen. Aber gibt es nicht irgendwo eine App, mit der ich einem Kollegen Geld übertragen kann – und der dann für mich an der Mensa-Kasse in bar mitbezahlt? Ich erinnere mich, dass mich amerikanische Freunde neulich gefragt haben, ob ich ihnen das Geld für einen Camping-Trip nicht „venmoen“ könne; offenbar gibt es in den USA eine sehr populäre Geldübertragungs-App namens Venmo. Hatte ich nicht, kannte ich nicht.

Nun hätte ich Venmo gerne, aber in Deutschland gibts die App nicht. Außerdem kann ich kaum von meinen Kollegen verlangen, sich für meinen Selbstversuch eine neue App zu installieren. Der Ausweg: Die PayPal-App; da haben viele meiner Kollegen einen Account. Und: Im „Freunde und Familie“-Modus kostet der Transfer für beide Seiten keinen Cent. Die Mensa-Currywurst ist gesichert, puh.

Tag 6: Die Konto-Authentifizierung für die Netto-Edeka-Apps ist immer noch nicht durch. Die Hotline verspricht mir, mein Anliegen an den eigentlichen Dienstleister weiterzugeben, die Deutsche Post Zahlungsdienste. Die ist für die Apps von Netto, Edeka und Marktkauf zuständig, die alle einen gemeinsamen Account nutzen. Die Lastschrift-Genehmigung muss man also auch nur einmal erteilen – wenn sie denn mal funktioniert. Na ja, ich kann ja überall auch per Boon bezahlen.

Lustig übrigens: Das Supermarkt-Personal ist meist ziemlich irritiert, dass man bei ihnen schon mit dem Handy bezahlen kann. Eine sehr nette Kassiererin bei Rossmann fragt mich, wie das Zahlen per Handy funktioniert. Sie will das demnächst auch mal ausprobieren.

Tag 7: Ich fühle mich heute sehr experimentell – und versuche, Apple Pay zum Laufen zu bekommen. Das wird in Deutschland noch nicht angeboten, dafür aber in der Schweiz. Nach langwierigem Gefrickel weiß ich: Man kann mit deutscher Adresse eine virtuelle „Instant“-Prepaid-Kreditkarte beim Schweizer Anbieter Cornercard beantragen. Diese wird zwar problemlos von Apple Pay akzeptiert (nachdem man die Region im iPhone auf „Schweiz“ geändert hat) – aber man kriegt mit deutschen Konten oder Kreditkarten kein Geld auf die Cornercard geladen. Eine Schweizer Freundin hilft aus.

Ich habe nun ein funktionierendes Apple-Pay-iPhone, das ich stolz meinen Kollegen zeige. Ich werde belehrt, dass mir das doch gar nichts nützt – Apple Pay wird hierzulande nicht unterstützt. Stimmt aber nicht: Da Apple Pay lediglich eine virtuelle kontaktlose Kreditkarte in einer Wallet-App ist, funktioniert der Dienst überall dort, wo kontaktlose Kreditkarten auch akzeptiert werden – zumindest theoretisch. Bei meinen Tests klappte es zwar bei McDonalds und Starbucks, nicht aber bei Rewe und Aldi. Das liegt jedoch nicht an der Hardware, sondern an der Konfiguration: Einige Zahl-Terminals sind offenbar noch so eingestellt, dass sie die sogenannte CDCVM (Consumer Device Cardholder Verification Method) ablehnen. Dabei übernimmt das Smartphone die Authentifizierung (Fingerabdruck, PIN) und nicht das Terminal.

Fazit an Tag 8: Experiment geglückt, Patient nicht verhungert: Man kann tatsächlich heute schon ziemlich problemlos ohne Cash und Karten über die Runden kommen – zumindest, wenn man in den großen Supermarkt-Ketten einkauft. Die flächendeckende Unterstützung hat jedoch weniger mit Smartphone-Apps zu tun, sondern vor allem mit dem Kontaktlos-Kartenstandard von Mastercard und Visa.

Und dennoch: Im Alltag trifft man immer wieder auf reine Bargeld-Läden – zum Beispiel fast alle Bäckereien, Kioske und kleine Kneipen. Ich bin also doch ziemlich froh, dass ich wieder Scheine und Münzen benutzen darf. Bei meinem Stammkiosk gibt es nämlich besseres Bier als im Supermarkt.

Tag 15: Die 1-Cent-Überweisung von der Netto-App ist eingetroffen. (jkj@ct.de)