c't 14/2016
S. 26
Reportage
E-Mobilität
Aufmacherbild

Leafing Germany

Mit dem Elektroauto Nissan Leaf nach Österreich

Eine Strecke von 750 Kilometern im Auto zu fahren – das klingt anno 2016 nicht gerade nach einem Abenteuer. Nimmt man aber ein Elektroauto, denkt jeder an kurze Reichweite und langwieriges Aufladen. Doch wie schaut es in der Praxis aus?

Stundenlanges Rumsitzen an ungemütlichen Rasthöfen, tagelang unterwegs und wahrscheinlich endet die Fahrt sowieso auf dem Abschleppwagen. Die Kollegen geizten nicht mit Horrorvisionen zu unserer geplanten Langstreckenfahrt mit einem Elektroauto. Kein Wunder, hört man doch ständig, dass E-Autos in der Stadt super sind, aber unheimlich schlecht für lange Strecken.

Wir wollten wissen, ob das stimmt. Außerdem interessierte uns der Vergleich mit herkömmlichen Autos: Wie viel länger würden wir tatsächlich unterwegs sein, wie gut und vor allem wo würden wir aufladen können und was kostet die Fahrt?

Die Fahrer: zwei c’t-Redakteure aus dem Heise-Stammsitz in Hannover (einer für die Hinfahrt, einer für die Rückfahrt). Unser Testwagen: ein Nissan Leaf Tekna 30 kWh. Er bietet – gemessen an anderen Elektroautos – eine passable Reichweite und unterstützt Schnellladen: Eine passende Säule lädt den Akku in typischerweise 20 Minuten von 0 auf 80 Prozent.

Nissan bewirbt den Leaf als Alltagsauto, bei dem man sich kaum einschränken muss. Mit einer Reichweite von 240 Kilometern nach dem europäischen Normfahrzyklus kommt man aber auch mit ihm nicht in einem Rutsch von Hannover nach Österreich. Doch bei sparsamer Fahrweise sind durchaus rund 200 Kilometer ohne Stopp drin.

Eile mit Weile

Rein rechnerisch sollten auf der Fahrt nach Österreich also vier Stopps nötig sein. Für die Hinfahrt wurde die Route vorab geplant – inklusive Übernachtungen, denn losgefahren wurde am Abend.

Die erste Etappe führte über circa 110 Kilometer nach Nörten, wo wir mit einer Restweite von 70 Kilometer eintrafen. Die Ladung übernahm der Wirt vom Ratskeller – geladen wurde an einer Säule mit Haushaltsstrom. Statt 20 Minuten dauert das eine Nacht.

Schon nach der kurzen Strecke zeigte sich: Der Leaf ist ein stinknormales Auto. Ständig werden E-Autos in irgendwelchen Nischen präsentiert – als PS-strotzende Protzkiste wie Teslas Model S, als Design- und Machbarkeitsstudie wie BMWs i3 oder als elektrifiziertes Witz-Mobil wie Citroëns jüngst angekündigtes Méhari-Remake.

Morgens stand die erste längere Tour an: Unter der Ausnutzung fast der kompletten Reichweite ging es auf einen Rasthof bei Kassel. Hier sollte der Leaf nun an an einer kommerziellen Schnellladesäule die erste Druckbetankung bekommen. Bezahlprobleme? Von wegen. Mit dem RFID-Chip im Schlüsselanhänger oder auf der Ladekarte kamen wir schneller zum Zug als am Sanifair-Automaten auf der Raststätte nebenan. Dank der Ladung mit bis zu 50 Kilowatt pro Stunde brauchte der Nissan weniger Zeit zum Laden als der Fahrer zum Mittagessen.

Zu unserer Überraschung hat das Zusammenspiel von Reichweitenanzeige und persönlichem Fahrstil fast auf Anhieb geklappt. Wie weit man mit welcher Fahrweise kommen würde, war im Cockpit des Leaf nie eine Frage. Das ist nicht bei jedem Elektroauto so, wie wir beim E-Golf erfahren mussten.

Der nächste Stopp war in Fulda angesetzt. Auch hier findet sich eine Schnellladesäule mit für den Leaf passenden CHAdeMO-Steckern. Die Etappe war mit rund 110 Kilometer deutlich unter der Reichweite. Leider ist das Schnellladesäulen-Netz auf vielen Routen einfach nicht dicht genug, um die Stopps kilometergenau planen zu können. Auf der A7 und der A3 haben die Säulen meist einen Abstand von 80 bis 120 Kilometern. So kam es vor, dass die eigentlich ideale Ladestation dummerweise einige Kilometer hinter der Reichweite unseres Nissans lag. Wir mussten dann wie in diesem Fall wohl oder übel mit halb vollem Akku eine Station früher Rast machen.

Für die Hinfahrt haben wir deshalb insgesamt fünf Pausen benötigt – obgleich vier Stopps eine ausreichende Reichweite von 800 Kilometern ergeben hätten.

Auf Zeit gespielt

Für die Rückfahrt stand ein Fahrerwechsel und ein ehrgeiziges Ziel an: möglichst an einem Tag ankommen und wie mit einem normalen Auto einfach losfahren, ohne vorher zu planen. Schnell zeigte sich, dass das keine gute Idee ist: Die Ladesäulen finden auf Hinweisschildern zu Rastplätzen so gut wie nie Erwähnung. Sich blind auf das Navigationsystem des Nissan Leaf zu verlassen, war ebenfalls keine große Hilfe, da es die Säulen entlang der Route nur auf den höchsten Zoom-Stufen einblendet. So verpassten wir schon auf der ersten Etappe einen Rasthof.

Dank CHAdeMO-Anschluss lässt sich der Leaf in einer kurzen Mittagspause vollständig aufladen.

Die prognostizierte Reichweite schwankte zwischen 30 und 50 Kilometern, die nächste Autobahn-Steckdose war aber laut Navi noch 60 Kilometer entfernt. Im Kopfkino des Fahrers starteten in diesem Moment Filme, wie er einen halben Tag in der bayerischen Pampa neben dem leeren Nissan stehen und auf einen Abschlepper in Krachledernen warten würde.

Eine gezielte Suche nach Säulen mit dem Navi des Nissan lieferte nur unvollständige Ergebnisse. Abhilfe schaffte die Smartphone-App „Wattfinder“: Sie wird von der Community des Elektroauto-Blogs www.goingelectric.de gepflegt und ist umfangreich und aktuell. Damit konnten wir auch in der „Notlage“ sicher an eine Säule abseits der Autobahn navigieren.

Mit der Wattfinder-App planten wir nach diesem Rückschlag die restliche Fahrt in kürzeren Abschnitten. Statt der fünf nötigen Rastplätze fuhren wir insgesamt sogar acht an. Einen merklichen Zeitverlust bedeuteten die jeweils nur 15-minütigen Stopps indes nicht. Sie sorgten aber für das beruhigende Gefühl, dass man sich auf langen Strecken doch keine Sorgen ums Liegenbleiben machen muss.

Was kostet die weite Welt

Auf unserer Tour hatten wir einen durchschnittlichen Verbrauch von 15 kWh pro 100 Kilometer. Nimmt man einen Haushaltsstromtarif mit einem Preis von 26 Cent pro Kilowattstunde als Bezug, kamen wir auf reine Stromkosten von 3,90 Euro auf hundert Kilometer. Hin- und Rückfahrt hätten uns jeweils 29,25 Euro gekostet.

In der Praxis schwanken die Preise je nach Betreiber der Säule erheblich. Ärgerlich: Oft finden sich an den Säulen keinerlei Preisinfos. So fallen bei manchen 0,50 bis 2,5 Euro als Startentgelt an – an anderen wiederum nicht.

Beim Laden rechnen einige Betreiber nach Kilowattstunden ab. Hier liegen die Preise meist leicht über dem Niveau des heimischen Tarifs; bei einigen Anbietern schlägt eine Kilowattstunde mit mehr als 60 Cent zu Buche. An Säulen, die stattdessen nach Minuten abrechnen, schwanken die Preise zwischen 1 und 42 Cent.

Das Bezahlen klappte hingegen völlig reibungslos. Wegen der Menge an verschiedenen Säulenanbietern kommt man an einer Bezahlkarte von „PlugSurfing“ oder „The New Motion“ eigentlich nicht vorbei. Mit diesen kann man an nahezu allen öffentlichen Säulen in einer Sekunde drahtlos bezahlen: Karte an die Säule halten, Kabel einstecken, fertig. Der Betrag wird später automatisch via PayPal oder Lastschrift beglichen. Sofern man überhaupt an kostenpflichtigen Säulen tankt. Auf unserer Fahrt mussten wir an einem Drittel der Säulen gar nichts bezahlen.

Ob man nun billiger als mit einem Verbrenner unterwegs ist, lässt sich also nicht pauschal beantworten: Wer ein 3-Liter-Auto mit Dieselmotor fährt, kommt mit einem Stromer nicht günstiger ans Ziel. Einen vergleichbar motorisierten Benziner kann der Leaf bei den Treibstoffkosten ausstechen: Ein Golf Plus mit 120 PS hätte auf einer Strecke rund 50 Liter Benzin verbraucht (ca. 65 Euro). Rechnet man die staatliche Förderung und die Steuerbefreiung ein, schneiden E-Autos ebenfalls gut ab – unser Testwagen kostet ohne Förderung knapp 36 000 Euro, kleinere Modelle unter 20 000 Euro.

Geht doch

Unterm Strich fanden wir die Langstreckenfahrt viel angenehmer als befürchtet. Mit etwas Planung und entspannter Fahrweise kommt man zwar später ans Ziel als mit einem Verbrenner, dafür aber auch deutlich entspannter.

Wer Reisen mit rund 110 km/h und einer Kaffeepause alle anderthalb Stunden nicht als unzumutbare Einschränkung empfindet, für den ist auch eine lange Strecke problemlos möglich.

Bereits nach wenigen Kilometern fühlte sich der Leaf so normal an, dass wir die begrenzte Reichweite oft vergaßen. Das Ladenetz ist dicht genug, dass man selbst bei Unachtsamkeit nicht liegen bleibt.

Einigkeit herrschte auch beim Fahrgefühl: Keiner der Tester möchte das lautlose Dahingleiten missen. Auf neuem geräuschoptimierten Asphalt hörten wir lediglich das leise Säuseln der Luft an den Außenspiegeln. Während der Fahrten durch die bayerische Landschaft dominierten zirpende Grillen und Vogelzwitschern statt Motorenlärm die Geräuschkulisse. Hinzu kommt der kräftige und vor allem unterbrechungsfreie Durchzug des Elektromotors. Das machte für uns die längere Fahrzeit locker wett. (spo@ct.de)