c't 13/2016
S. 34
News
Sampling-Urteil

Sampling Non Stop?

Eine Analyse zum Sampling-Urteil des BVerfG

Moses Pelham hatte 1997 ein kurzes Sample aus dem Kraftwerk-Song „Metall auf Metall“ verwendet, ohne um Erlaubnis zu fragen. Nun hat Karlsruhe entschieden, dass Sampling durchaus von der im Grundgesetz garantierten Kunstfreiheit geschützt ist – ein Freibrief ist das jedoch nicht.

Dieses gerade einmal 2,2 Sekunden lange Sample aus dem Jahr 1977 beschäftigt die Gerichte noch 40 Jahre später.

Angefangen hat alles 1977: Damals hatte Ralf Hütter, Gründungsmitglied von Kraftwerk, den Song „Metall auf Metall“ für das Album „Trans Europa Express“ eingespielt. Der Rhythmus gefiel dem Hiphop-Produzenten Moses Pelham so gut, dass er zwanzig Jahre später daraus einen zweisekündigen Schnipsel für den Song „Nur Mir“ von Sabrina Setlur verwendete. Doch Pelham vergaß, Hütter um Erlaubnis zu fragen. Der erwirkte daraufhin einen Verkaufsstopp, der zuletzt 2012 vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde. Pelham sah sich in seiner durch Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten freien künstlerischen Ausübung eingeschränkt. Er zog vor das Bundesverfassungsgericht und bekam nun recht. Der BGH muss den Fall neu bewerten.

Im Streit ging es nie um die ungenehmigte Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werkes, wie es in § 2 des Urheberrechtsgesetzes geregelt ist. Denn schützenswerte Werke bedürfen einer Schöpfungshöhe, die dem zweisekündigen Elektrobeat nicht zugesprochen wurde. Vielmehr dreht sich das juristische Gerangel um Eigentumsfreiheit, die in Artikel 14 des GG gesichert und für den betreffenden Fall im zweiten Teil des UrhG in den Paragrafen 85 und 86 näher geregelt wird.

Die Verfassungsrichter argumentierten, dass „Sampling“ – also der Einsatz originaler Audiozitate anderer Künstler – zum künstlerischen Konzept des Hiphop gehört. Diese Praxis sei daher von Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. Die Eigentumsfreiheit müsse hinter dem Grundrecht der Kunstfreiheit zurückstehen, da sonst die kulturelle Fortentwicklung und Entscheidungsfreiheit eingeschränkt sei. Außerdem seien dem Rechteinhaber Hütter keine nennenswerten wirtschaftlichen Nachteile entstanden.

Kunst oder Kopie?

Allerdings setzt das BVerfG auch Grenzen, nämlich dann, „wenn das [durch Sampling] neu geschaffene Werk eine so große Nähe zu dem Tonträger mit der Originalsequenz aufwiese, dass realistischerweise davon auszugehen wäre, dass das neue Werk mit dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz treten werde. Dabei sind der künstlerische und zeitliche Abstand zum Ursprungswerk, die Signifikanz der entlehnten Sequenz, die wirtschaftliche Bedeutung des Schadens für den Urheber des Ausgangswerks sowie dessen Bekanntheit einzubeziehen.“ Sprich, Sampling ist verboten, sobald ein Plagiat angestrebt wird.

Während Sampling-Freunde das Urteil des BVerfG begrüßen, sehen es viele Musiker, Komponisten und Sounddesigner kritisch. Denn das Urheberrechtsgesetz stammt aus einer Zeit, als man zwar Melodie und zur Not Harmonie als schützenswert erachtete, nicht aber Rhythmus und Klang. Heute allerdings kann ein Beat, ein Sound oder eine Bassdrohne ein Musikstück maßgeblich prägen. In diesem Licht wirkt die Entscheidung des BVerfG altväterlich. Zumal sich der Senat an der nahezu unmöglichen Aufgabe versucht, Kunst zu definieren. Viele Graffiti-Sprayer würden sich gewiss über eine ähnlich großzügige Bevorzugung der Kunst- gegenüber der Eigentumsfreiheit freuen.

Problematisch ist ferner, dass der Senat in seinem Kommentar von „kleinsten Tonsequenzen“ spricht. Diese sind also weniger schützenswert, zumal wenn bald vierzig Jahre alt. Andererseits waren gerade diese zwei Sekunden dem Beschwerdeführer Moses P. so wertvoll, dass er sie gleich einem ganzen Song unterlegte. Unverständlich bleibt außerdem, warum nur theoretische Verluste des Rechteinhabers Hütter, nicht aber Gewinne des Beschwerdeführers Pelham bewertet wurden, die aus der Nutzung des Samples entstanden. Inwiefern der Einsatz des Samples dem vom BVerfG postulierten „künstlerischen Dialog“ und der „kulturellen Fortentwicklung“ dient, bleibt ebenfalls unklar.

Das Bundesverfassungsgericht führt die Diskussion um die Sampling-Freiheit in eine neue Runde. Die Richter setzen dabei deutliche Impulse: Die Freiheit der Kunst darf nicht über Gebühr unter den wirtschaftlichen Interessen der Rechteinhaber leiden. Dieses Votum ist sympathisch, schafft aber kaum Rechtssicherheit. Im Fall des Beats von „Metall auf Metall“ muss der BGH neu entscheiden. Was aber passiert, wenn zwei werkentscheidende Sekunden aus dem Song „Die Roboter“ zweckentfremdet werden, wissen nur die Götter. (hag@ct.de)