c't 10/2016
S. 26
Prozessorgeflüster
X-Gene 3

Prozessorgeflüster

Von kleinen Armen und großen Reichen

Das große Schlagwort auf der Hannover-Messe lautet Industrie 4.0 und dafür braucht man viele viele kleine ARM-Prozessoren und große Server. Auch da wollen ARM-Chips mitspielen, doch hier gibts den Platzhirschen Intel. Der fällt aber erst einmal durch eine große Entlassungswelle unangenehm auf.

Auch wenn Barack Obama als Eröffnungsredner zur Hannover Messe 2016 auftrat (siehe S. 20) und die amerikanische Firma DDM Systems aus Atlanta zu den fünf Nominierten gehörte, den „Oscar der Ingenieure“, den Hermes Award der Deutschen Messe AG, konnte die deutsche Firma Harting aus der Hand von Bundesministerin Dr. Johanna Wanka entgegennehmen; eine mittelständische Firma aus dem Mindener Land, nur knapp 80 km vom Messestandort Hannover entfernt.

Applied Micros X-Gene 3 enthält 32 ARMv8-Kerne, 32 MByte L3-Cache, 8 DDR4-2667 Kanäle und 42 PCIe-3.0-Lanes. Bild: APM/LinleyGroup

Ihre Modular Industry Computing Architecture (MICA) vermag ältere Industrie-Hardware auf Level-4.0-Standard zu heben, also bereits existierende Maschinen und Anlagen mit „Intelligenz“ zu versehen. Dabei ist die MICA-Hardware selbst nichts Herausragendes, eine Art Raspi für die Industrie, rund um ein BeagleBone Black, ausgestattet mit 1 GHz ARM-Prozessor von Texas Instruments (TI Sitara AM3358 ARM Cortex-A8) mit 1 GByte RAM und 10/100 MBit Ethernet. Das CPU-Board wurde aber für den Industrieeinsatz um wichtige Dinge wie TPM, Power over Ethernet sowie um ein optionales Funktionsmodul erweitert, etwa für USB oder RFID. Die Jury um den Vorsitzenden Prof. Dr. Dr. Wolfgang Wahlster war aber vor allem vom Konzept der „leichtgewichtigen Virtualisierung“ durch Linux-Container beeindruckt.

Solche kleinen ARM-Systeme reichen für viele Aufgabenbereiche von Industrie 4.0 und IoT, zumindest im Bereich der Steuerung und Datenerfassung. Für die mitunter erheblich aufwendigere Datenauswertung sorgen dann entweder vor Ort sogenannte Edge-IT-Server oder weiter entfernt ein Datenzentrum oder die Cloud.

Letztere benötigen dann durchaus eine gewisse Rechenperformance, und da tun sich real existierende ARM-Prozessoren noch recht schwer. Vereinzelte Benchmark-Ergebnisse, die hier und da aufgetaucht sind, reißen einen bislang nicht vom Hocker.

Potenza

Aber Applied Micros dritte ARMv8-Generation X-Gene 3 (Potenza++) soll endlich den Durchbruch bringen, mit 32 Kernen, bis zu 3 GHz Takt und mit gleich acht DDR4-2667-Speicherkanälen. Mit vier bis sechsmal so hoher Performance wie der Vorgänger soll er in die Bereiche von Xeon E5/E7 bei gleicher Energieaufnahme von 110 bis 125 Watt TDP eindringen.

Auf 550 SPECint_rate2006 (est.) taxiert ihn Applied Micro, was gemäß eines White Papers von Linley Gwennap von der LinleyGroup mehr ist als die 524 Punkte, die ein einzelner Xeon E5-2860v4 mit ebenfalls 120 Watt TDP zustande kriegt. Bei spec.org steht jener indes mit 669 SPECint_rate2006 (NEC Express5800/R120g-1M mit nur einem Prozessor) in der Liste. Selbst wenn man das mit realistischen 15 Prozent Abschlag vom Intel-Compiler auf den gcc herunterrechnet, kommt bei mir dann eher etwas um 570 heraus. Wie dem auch sei, das sind ohnehin nur Schätzwerte und die liegen zumindest in der gleichen Gegend.

ARMv8-Konkurrent Cavium gab für den ThunderX CP mit seinen 48 Kernen bei 95 W TDP etwa 350 SPECint_rate2006-Punkte an. Ein Xeon-D1540, auf gcc heruntergerechnet, liegt bei rund 238 – aber dafür verbraucht er mit 45 W TDP auch nur ein Drittel vom X-Gene 3.

Über dessen Gleitkommafähigkeit gibts bislang noch überhaupt keine Angaben. Bei SPECfp dürfte aber seine hohe Speicherbandbreite kräftig mithelfen, denn bei den 8 DDR4-2667-Kanälen ist sie mit 170 GByte/s mehr als doppelt so hoch wie bei den Broadwell-Xeons und den Cavium-Chips mit jeweils 76,8 GByte/s.

Die X-Gene-3-Konkurrenten sind allerdings bereits lieferbar oder, wie im Falle des ThunderX CP, sollten sie es jedenfalls schon längst sein. So richtig kaufen kann man ihn offenbar noch nicht, angeblich werden alle Exemplare von einem großen Kunden – sollte das vielleicht Cray sein? – aufgekauft.

Muster des bei TSMC im 16FF-Prozess gefertigten X-Gene-3-Prozessors erwartet man erst im Verlauf des zweiten Halbjahres 2016. Die Volumenproduktion dürfte dann frühestens ein Jahr später beginnen – bis dahin kann die Konkurrenz noch mächtig nachlegen.

Mit besserer Energieeffizienz gegenüber dem Xeon wird es also wohl auch mit dem X-Gene 3 noch nichts, aber vermutlich kann Applied Micro mit einem deutlich besseren Preis/Leistungsverhältnis glänzen. Intel kann kontern und hat diesbezüglich reichlich Spielraum. Um den noch weiter ausbauen zu können, hat Intel-Chef Krzanich jetzt angekündigt, sich von unprofitablen Bereichen und vor allem von unprofitablen Mitarbeitern zu trennen.

Kahlschlag

Trotz eines Netto-Quartalsgewinnes von 2,0 Milliarden US-Dollar will Intel heftig die Axt schwingen und gleich 12 000 Mitarbeiter und damit gut 11 Prozent der gesamten weltweiten Belegschaft entlassen – ob nun freiwillig oder unfreiwillig.

Dabei ist der Umsatz gegenüber dem Vorjahresquartal um 7 Prozent gestiegen. Nicht nur die derzeit noch weitgehend konkurrenzlose Data Center Group konnte um 9 Prozent draufsatteln, auch die Client Computing Group steigerte den Umsatz trotz der verlustbringenden Mobil-Sparte um 2 Prozent. Data Center, Cloud Computing, IoT und FPGAs, das sollen nun die Cash-Cows in der Zukunft sein – von PCs und Notebooks hört man da nichts mehr.

AMD plant offenbar, das „White House“ in Sunnyvale zu verlassen und etwas Kleineres zu suchen. Bild: coolcaesar (GFDL-en)

11 Prozent Personalabbau – bei einer notleidenden Firma wie AMD könnte man so einen Schritt vielleicht verstehen. Doch obwohl AMD wieder kräftig Miese gemacht hat, ist die Stimmung in Sunnyvale gut. Der Umsatz gegenüber dem Vorjahresquartal fiel um 19,6 Prozent und der Verlust stieg um 23 Millionen Dollar auf 96 Millionen an. Aber die Analysten hatten noch schlechtere Zahlen erwartet, der Ausblick aufs zweite Quartal sei zudem nicht schlecht und so sprang die Aktienkurve um fast 50 Prozent nach oben. Mit dazu beigetragen hat sicherlich die Bekanntgabe eines Deals mit der chinesischen Firma Thatic. Für knapp 300 Millionen US-Dollar will die Firma von AMD SoCs in Lizenz nehmen, höchstwahrscheinlich mit x86-Prozessorarchitektur. Vielleicht hat Patentaustauschpartner Intel das sogar abgesegnet. Feinheiten dazu weiß man nicht, gegenüber Anandtech hatte AMD lediglich klargestellt, dass es dabei weder um ARM- noch um GPU-Patente gehen soll.

AMD will daneben auch noch ein bisschen an anderer Stelle sparen und sich, so wie es ausschaut, von dem Hauptquartier, dem schönen White House in Sunnyvale, One AMD Place, verabschieden. Die über 30 000 m2 große Immobilie gehört AMD ohnehin schon seit 17 Jahren nicht mehr, sondern ist für teure 12,4 Millionen Dollar im Jahr von W. P. Carey angemietet – eine große internationale Leaseback-Firma, die als Top-Mieter Hellweg in Deutschland aufweist. Wie es heißt, seien die Headquarters derzeit um 30 bis 40 Prozent zu groß – man sucht jetzt im Silicon Valley nach was Kleinerem. Vielleicht gibt es ja was im Freedom Circle, just vis-a-vis von Intel, da wo einst Transmeta zu Hause war. (as@ct.de)