c't 10/2016
S. 132
Reportage
IPv6: Das Internet-Upgrade
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IPv6 im Griff

Das Internet-Upgrade rollt: IPv4 wird abgelöst

IPv6? Was soll ich damit? Mein Internet geht doch. Klar, surfen, mailen, whatsappen geht auch mit IPv4. Mit IPv6 geht aber mehr: Sie können beispielsweise ohne Umwege über Cloud-Dienste Ihre Daten daheim direkt erreichen oder dem Schwiegervater per Remote Desktop zur Hand gehen, auch wenn der an einem DS-Lite-Anschluss hängt.

Über IPv6 kursieren reichlich Gerüchte: Es brauche wegen seiner längeren Adressen mehr Speicherplatz, es sei langsamer, es mache Anwendungen kaputt, es sei ganz und gar unnötig. Lassen Sie sich solchen Unfug nicht einreden.

Einen stichhaltigen Grund, IPv6 im Betriebssystem komplett zu deaktivieren, gibt es nicht. Wenn eine Anwendung mit IPv6 scheitert, liegt das nicht am Protokoll, sondern an Macken in anderen Netzelementen, etwa maladen Routern (siehe folgenden Artikel) oder fehlenden Nameserver-Einträgen.

Dank eines renovierten Headers ist IPv6 sogar schneller als IPv4, wenn auch nur rund 5 Prozent. Okay, ein Quäntchen mehr RAM brauchen seine längeren Adressen tatsächlich, aber davon hat jeder PC und selbst das kleinste Smartphone mehr als reichlich für die im Maximum vielleicht hundert parallelen Verbindungen ins Internet. Das ist ein kleiner Preis für die wiedergewonnene Freiheit.

Denn mit IPv6 wird das Internet wieder so wie vor einem Vierteljahrhundert, bevor sich DSL und das damit im Router nötige NAT ausbreitete: Jeder Rechner kann prinzipiell jeden anderen direkt erreichen. Cloud-Dienste als Vermittler – und eventuelle Mitleser – des Datenaustauschs lassen sich ausklammern, wenn man will.

Der wichtigste Grund, sich mit IPv6 zu befassen, ist aber: Es kommt nicht nur unweigerlich, es ist längst da. IPv6 breitet sich seit drei Jahren kontinuierlich weiter aus, wie die Zugriffsstatistik auf heise.de belegt. Wenn der jährliche Zuwachs von knapp 6 Prozentpunkten konstant bleibt, dürfte IPv4 in fünf Jahren zum Minderheitenprotokoll werden.

Kabel-Internet-Provider müssen neue Kunden schon seit Längerem über DS-Lite (Dual Stack Lite) anbinden, das zwar natives IPv6 liefert, aber keine von außen erreichbare IPv4-Adresse. Das stellt DS-Lite-Kunden vor Probleme, wenn man unterwegs nur IPv4-Zugang hat: Fernhilfe per Remote Access wird langsam bis unmöglich, die Owncloud auf dem NAS im eigenen LAN ist von außen nicht zu erreichen. Zwar gibt es Übersetzer wie beispielsweise feste-ip.net, aber solche IPv6-Portmapper sind Krücken, die zusätzliche Gebühren kosten.

Adresskürzung

IPv6-Anteil auf heise.de

Auch gegen die lästige Länge der IPv6-Adressen ist ein Kraut gewachsen. Admins brauchen sie für Diagnosezwecke nicht per Copy & Paste aus selbst gepflegten Listen zu klauben, sondern machen sich den eigenen DNS-Server zu Diensten (Seite 144). Bessere Router für Heimeinsatz führen übrigens selbst Hostlisten, damit der Ping per Name statt Adresse klappt.

Video: Nachgehakt

Mit der Telekom hat der erste hiesige Mobilfunk-Provider IPv6 im Sommer 2015 in seinem Netz aktiviert. Bei T-Mobile USA war es schon drei Jahre früher so weit, wo es wegen anderer Technik leichter umzusetzen war. Hierzulande ist für Dualstack-Betrieb mit IPv6 parallel zu IPv4 ein LTE-fähiges Mobilgerät nötig; bei HSPA muss man eines der Protokolle wählen.

Die anderen Mobilfunker erproben IPv6 schon länger: Telefonica mochte keinen konkreten Einführungstermin nennen, Vodafone will IPv6 voraussichtlich ab Sommer 2016 zunächst für „LTE Zuhause“-Kunden anbieten. Derzeit plant keiner der Mobilfunkanbieter, IPv4 abzuschalten und sein Netz auf IPv6 only umzustellen, auch wenn das dank Übersetzungstechniken wie 464XLAT möglich wäre.

Faule Admins wie bei Twitter, das auch im April 2016 noch kein IPv6 spricht, dürfen dank DS-Lite und 464XLAT also straflos weiter schlummern. Google, Facebook, Instagram und Snapchat sind längst aufgewacht. (ea@ct.de)