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Was war. Was wird.

Alle Welt sucht das Superwort. Alle Welt? Ach, nö, nicht mal ein kleines Dorf, ist Hal Faber erleichtert. Aber weder der Zustand der Welt noch die Fähigkeiten der IT-Administratoren geben Anlass zum Aufatmen. Wie wär's dafür mit einer Kurzfassung?

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Lesezeit: 17 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Achtung. Die Wochenschau ist Text. Viel Text. Besonders viel Text sogar in dieser Woche. Und kreuz und quer und hin und her gehen die Gedanken und Links, Kraut und Rüben halt. Also, allen zur Erleichterung, die sich überfordert fühlen oder die krudes Zeug nicht mögen, dieses Mal zuerst eine Kurzfassung als Gedankenleitfaden -- wem das nun wieder zu krude erscheint, darf es gerne überblättern.

Ww.Ww.

Hal Faber mag das Superwort nicht, das der Deutsche Sprachrat sucht. Genauso wenig mag er die Softwarepatente, die Europa vor den programmierenden Fans von Mallika Sherwat retten sollen. Auf seiner nicht existierenden Website möchte er Texte ohne Bezahlung unterbringen. Er findet das Braune Buch doof, trauert um Bonnie Parker, Gesine Schwan sowie Courtney X und beklagt den Zustand der Welt im Allgemeinen und der IT-Administratoren-Welt im Besonderen. Ein letzter Gruß gilt Günter Gaus, Melvin Lasky und Elvin Jones. Wem alle Namen nichts sagen, der kann den vom WWWW peinlich genau beachteten ersten Tag der neuen Züchtigkeit SEXUALLY-EXPLICIT hier feiern. Denkt positiv!

Nun, wie auch immer: Genug geleitfadet. Wer Appetit bekommen hat, oder gleich den Weg des Überblätterns wählte, der ist hier richtig: Ab in die Vollen ...

Was war.

*** Heimat, bleiche Mutter, worin noch niemand war. Dreams of a better life. Heimat und Gemütlichkeit, das zeichnet nicht unbedingt dieses unsere Land aus, aber sehr wohl die deutsche Sprache. In ihr gibt es das Wort Heimat, das keine andere Sprache kennt, und so wunderschöne Sachen wie das Rührmichnichtan und das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz, mit dem vermautet wird, was vermautet gehört. Nach DSDS, Deutschland sucht den Superstar, gibt es nun DSDS, Deutschland sucht das Superwort. Nach dem liebsten, schönsten, kostbarsten Wort fahndet der deutsche Sprachrat. Doch die Gebauchkitzelei der Deutschtümler läuft nicht so, wie geplant. Ganz schauderbarerweise kämpft gerade "Heimat" mit dem "Sommernachtstraum" um den ersten Platz. Gar keine Chance haben die schönen deutschen Begriffe, die verzückte Programmierer und Techniker gefunden haben. Ein Mailüfterl kann es locker mit einem Sommernachtstraum aufnehmen, ein Gänseblümchen-Typenraddrucker kündet von der gehäkelten Gemütlichkeit der Bits und Bytes.

*** Ein einziger Blick in die Foren von heise online genügt und der ganze Reichtum der deutschen Sprache taucht auf: Trolle, Kupferstecher, Tübbinge und Meisterfrickler nölen und trölen und machen Kokolores. Im Flammenkrieg der Worte wird nicht gezaudert, gezetert, gewurschtelt oder lange gefackelt, hier macht keiner Fisimatenten -- stopp, halt, die visae patentes, die ordnungsgemäß geprüften Patente kommen aus Latinien, das patentierte Unglück seit dieser Woche aus Brüssel. Was bleibt, ist eine zweifelsohne starckdeutsche Verlogenheit. Dabei wird es nicht bei den Softwarepatenten bleiben. Von anschwellender Verlogenheit könnte man reden, wenn am 31. Juni die Beratungen zu Ende gehen, die sich mit der Patentierung von Geschäftsmethoden nach US-amerikanischem Vorbild befassen.

*** Welchselbige Verlogenheit mich noch einmal zum DSDS-Wettbewerb bringt, denn dieser kommt mit Teilnahmebedingungen, die von deutscher Gründlichkeit, vom einer gewissen Gediegenheit und nur einem Bröckchen Verlogenheit durchzogen sind. Schwer modern ist der Haftungsausschluss für technische Fehler oder Hacker-Angriffe. Bleibt allenfalls die Frage, ob dies junge Menschen sind, die sich an Gemütlichkeit stören und auf Heimatp und G3mütlichk3itz bestehen und vom Sup3rus3rn8tfork schwärmen. Hackt den Server, nicht die Sprache, müsste man rufen, denn was sich der Sprachrat im 6. Paragraphen an Bedingungen mit den Urheber- und Persönlichkeitsrechten erlaubt, ist schon beachtlich: Frei von allen Rechten Dritter muss Deutschlands Lieblingswort sein, für das der deutsche Sprachrat dann alle Verwertungsrechte einkassiert, einschließlich der Veröffentlichung im Internet und auf Infoscreens: Heimat, a registered trademark, copyrighted by Deutscher Sprachrat, du bist niemals mein!

*** Für uns Journalisten ist der Schlag mit dem Paragraphen-Hammer nichts Neues. Seit einiger Zeit sichern sich große deutsche Verlage mit Knebelverträgen ab, in denen sie jedes Veröffentlichungsrecht für sich einfordern, vom Infoscreen bis zur Aussendung auf den Mars. Nur das Urheberrecht bleibt unangetastet, weil es, leider, leider gesetzlich verankert ist. Doch unantastbar ist relativ und schon gar kein schönes deutsches Wort. Bei uns gibt es eine Zeitung, hinter der angeblich immer ein kluger Kopf steht. Standhaft verteidigt sie die alte deutsche Rechtschreibung und tut sich was von feudal mit ihren Autoren der Generation Golf. Nun telefoniert man herum und liefert Stichworte zur geistigen Enteignung unserer Zeit. Das Gespräch ist alles andere als ein neuer Auftrag, sondern geht etwa so: "Hiermit stellen wir Ihnen 20 Euro pauschal in Rechnung, wenn Sie für die FAZ geschriebene Artikel auf Ihrer Website veröffentlichen. Dies gilt rückwirkend für alle von Ihnen geschriebenen Artikel." So sieht sie aus, liebe Leser, die SCO-ditisierung des geistigen Eigentums. Darl McBride hätte seine helle Freude an Frank Schirrmacher und Co, die zeigen, was sie von ihren Autoren und dem Internet für alle halten. Doch wo der Moloch giert, ist das Rettende nah, wusste bereits unser aller Goethe: bald werden die Creative Commons Germany ein hilfreiches Gegengewicht sein.

*** Zur Freude von SCO gibt es noch mehr, nämlich FUD zum Lesen. Auch wenn das Veröffentlichungsdatum auf der Website täglich verschoben wird, ist bald Samiszdat, das Buch der Alexis de Tocqueville Institution zu haben, das sich mit Unix beschäftigt, dem meistgeklauten Programm aller Zeiten. Das ist jedenfalls die Meinung der Autoren, die, nach dem ersten ohne jedes Copyright freigegebenen Kapitel zu urteilen, alles in einen großen Topf geworfen haben, um Open Source zu desavouieren. "Ob es nun Reverse Engineering, Diebstahl durch Angestellte oder Rembrandt-artiges Kopieren genannt wird, das Plagiieren von Software-Programmen ist die stolze Fahne, unter der sich viele Vertreter der quelloffenen Bewegung sammeln." Mit hirnlosen Sätzen wie diesen, die selbst Reverse Engineering zum Diebstahl zählen, wird Samiszdat als das "Braune Buch" in die Geschichte der Computerei eingehen, da muss man Andrew Tanenbaum zustimmen. Oder eben dem Dichter "Trappatoni" Helpdesk.

*** Some day they'll go down together;
They'll bury them side by side;
To few it'll be grief--
To the law a relief--
But it's death for Bonnie and Clyde.

So dichtete einstmals Bonnie Parker, die im Alter von 23 Jahren heute vor 70 Jahren zusammen mit Clyde Champion Barrow erschossen wurde. In einem Text über das schießende Liebespaar hat Noam Chomsky auf das Ausmaß der Wut aufmerksam gemacht, die die Amerikaner in der Großen Depression damals beherrschte. Der Fehler der Wütenden sei es freilich gewesen, die Wut auf die Regierung und ihre Agenten zu richten, statt "Corporate America", den eigentlichen Schuldigen, ins Visier zu nehmen. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich die USA langsam in die nächste Depression begeben, ist es ein kleines Zeichen, wenn die Textmaschine Chomsky heute in Oldenburg den Carl von Ossietzky-Preis erhält. Chomskys Gedankenwelt wurde vom deutschen Anarchisten Rudolf Rocker beeinflusst, der in London das jiddische "Freie Wort" und später den "Arbeiterfreund" herausgab, damit ebenso wie Ossietzkys Weltbühne gegen die Machtmaschine anging.

*** Die Machtmaschine aber rödelt als weiter vor sich hin: Was ist eigentlich los in einer Welt, in der die groß angekündigten Befreier statt Menschenrechten lieber Folterer ganz im Stil des alten Regimes mitbringen? Was ist los in einer Welt, in der trotzdem die Prinzenhochzeit einer der reaktionärsten Monarchien der Welt zur Hauptnachricht des Tages wird? Aber selbst wenn wir einmal nicht so sind, die großen Dinge der Welt große Dinge sein lassen und uns den Kleinigkeiten dieser unserer kleinen IT-Welt zuwenden: Was ist los in einer Welt, in der Wurmprogrammier auf eine Fangemeinde mit Spendenfreudigkeit zählen dürfen? Was ist los in einer Welt, in der gestandene Administratoren sich offensichtlich nicht einmal die Allerweltsempfehlungen hinter die Ohren geschrieben haben? Es ist immer wieder beeindruckend zu lesen, welchen Schaden der neueste Virus oder Wurm angerichtet hat. Die Bundesregerierung bekommt ihre internen Hochsicherheitsnetze nicht abgeschottet, Uni-Rechenzentren kapitulieren, selbst bei Providern wie T-Online wüten intern die Schädlinge, Firmen beklagen Millionenschäden im Zusammenhang mit Sasser -- British Airways musste gar Flugverspätungen wegen Wurmbefalls hinnehmen. Aber ach, wohlfeil sind die Entschuldigungen. Was jedoch soll das pathetische Opfergehabe, wie schwer man geschädigt worden sei durch einen 18-jährigen Schüler, der lediglich schneller war als die anderen: Wie hätte denn BA auf einen richtigen Wurm reagiert, der bis an die Kiemen mit Schadroutinen vollgestopft gewesen wäre? Wenn sich Sasser in den Tastaturpuffer eingeklinkt hätte, um in unregelmäßigen Abständen die Eingabetaste zu drücken oder beliebige Zahlen in den Datenstrom einzufügen und damit Datensätze unrettbar korrumpiert hätte ... was dann? Tausende von Fehlbuchungen, möglicherweise richtiges Chaos auf den Flughäfen statt nur ein paar Verspätungen, falsche Quartalsberichte mit entsprechenden Börsenfolgen. Wenn die großen Firmen bei jedem harmlosen Wurm schon Wolf schreien, wird niemand mehr die Augenbrauen heben, wenn es dann mal wirklich kracht -- egal, ob es dann nur wieder ein geltungssüchtiges Script-Kiddie war, die Mafia auf der Suche nach erweiterten Verdienstmöglichkeiten oder gar der vielbeschworene islamistische Terror mit neuer Zielerfassung auf technische Infrastrukturen statt auf Hochhäuser. Bang, bang, he shot you down.

*** Zu klagen haben wir aber nicht nur über die Welt, sondern auch darüber, dass Manche sie verlassen mussten. Elvin Jones war der Schlagzeuger des John-Coltrane-Quartetts, als es mit Aufnahem wie A Love Supreme soziale Revolution und spirituelle Erfahrung im Jazz einer erstaunten Welt präsentierte, die sich trotzdem leider wieder dem Alltagsgeschäft zuwandte. Jones trommelte dann auch beim ersten Verzweiflungsschrei Coltranes gegen diese Welt und unterlegte nicht nur Ascension oder Kulu Se Mama mit komplexer Polyrhythmik. Ähnlich wie die "Jazz Messengers" des Hardboppers Art Blakey, des großen Kollegen an den Drums, wurde die "Jazz Machine" von Jones zum Durchlauferhitzer für diverse Musiker. Nicht nur sie werden ihn vermissen.

*** Mit Elvin Jones komme ich zu den Toten dieser Tage und damit auch zu Melvin Lasky in Berlin UND Günter Gaus in Hamburg. Zwei große Journalisten sind gestorben und konnten deshalb ihr letztes Werk nicht beenden, der eine seine Memoiren, der andere sein Buch über den Journalismus. Melvin Lasky gründete 1948 die Zeitschrift Monat, als die CIA noch das Geld in Worte steckte, nicht in Mörder. Mit diesem Geld wurden einige der besten Autoren (Raymond Aron, Ignazio Silone) ins Deutsche übersetzt. Günter Gaus gründete die unerreichbar beste Fernsehsendung der ARD und die ständige Vertretung der BRD in der DDR. Beide spuckten Feuer, Blut und Eisen, wenn es um den Journalismus ging. Was den Totalitarismus anbelangt, so hatten sie unterschiedliche Meinungen, aber den Mut zur Klarheit. Und wenn das Herz für den letzten echten Ostdeutschen Gaus schlägt, entscheidet sich der Verstand für Lasky, der in "Utopie und Revolution" schrieb:

"Niemals darf man in der Geschichte der Ideologien niemals sagen. Auf die Trauerzeiten der einen Generation folgen die Festlichkeiten der nächsten, die mit unschuldiger Begeisterung alte Dinge wiederentdeckt und sie für völlig neu hält. Ideologie ist ein Bumerang."

Auf, auf mit neuer Begeisterung, heißt es doch Monsanto & Microsoft vs. Linux und freies Saatgut!

Was wird.

Was wird, das wird, aber muss heute damit anfangen, was nicht wird: Gesine Schwan als erste Bundespräsidentin wäre nicht unbedingt das grundlegend Andere, als das sie sich gerne ausgibt, aber doch ein charmanter Ausgleich für die Zumutung, die Regierung ebenso wie Opposition bieten, wäre mehr als eine gepunktete Störung. Stattdessen kommt Horst Köhler und ein toller Vorgeschmack auf den Wechsel. Der repräsidentablen Eva Luise Köhler können wir noch anrechnen, dass sie täglich deutsche Zeitungen im Internet liest, auch wenn diese es mit ePaper geschafft haben, das digitale Toilettenpapier zu produzieren.

Ja, Toilettenpapier. Es gibt verschiedene Arten von Gedichten, es gibt die vergnüglichen Reime von Helpdesk, den Widerspruch gegen die Verurteilung als Gangsterbraut durch Bonnie Parker. Es gibt Dada, es gibt aber auch Momente, in denen das WWWW an dieser Stelle mit einem Gedicht endete, weil der Moment nicht enden wollte: "Stoppt alle Uhren!".

Heute endet die Wochenschau mit einem besonderen Gedicht. Dieses Gedicht wurde von Courtney x. vom "Slam Team" der Rio Rancho High School geschrieben, einer Poesie-Arbeitsgruppe. Bill Nevins, der als Lehrer den Club der jungen Dichter und Dichterinnen betreute, verlor seinen Arbeitsplatz. Die Mutter des Mädchens, eine Lehrerin, wurde ebenfalls den Job los, als sie sich weigerte, die Aufzeichnungen ihrer Tochter zu verbrennen. Das Gedicht ist in den USA verboten, seine Zeilen vielleicht sind längst in die Universal-Datenbank namens Multistate Anti-Terrorism Information Exchange gefüttert worden, um den Terrorquotienten HTF von Personen genauer berechnen zu können. Bei der im letzten WWWW erwähnten Debatte um die Bilder von Abu Ghraib sollten die Worte nicht vergessen werden, die vom Widerstand künden. Mögen unsere Daten vor uns "angemessen geschützt" in die Matrix fliegen, zurück kommen Worte, die gelesen werden können:

Revolution X

Bush said no child would be left behind
And yet kids from inner-city schools
Work on Central Avenue
Jingling cans that read
Please sir, may I have some more?
They hand out diplomas like toilet paper
And lower school standards
Because
Underpaid, unrespected teachers
Are afraid of losing their jobs
Funded by the standardised tests
That shows our competency
When I'm in detox.

This is the Land of the Free ...
Where the statute of limitations for rape is only five damn years!
And immigrants can't run for President.
Where Muslims are hunted because
Some suicidal men decided they didn't like
Our arrogant bid for modern imperialism.

This is the Land of the Free ...
You drive by a car whose
Bumper screams
God bless America!
Well, you can scratch out the B
And make it Godless
Because God left this country a long time ago.

The founding fathers made this nation
On a dream and now
Freedom of Speech
Lets Nazis burn crosses, but
Calls police to
Gay pride parades.

We somehow
Can afford war with Iraq
But we can't afford to pay the teachers
Who educate the young who hold the guns
Against the "Axis of Evil"

Land of the Free ...
This is the land
If you're politically assertive
They call you a traitor and
Damn you to ostracism.

Say good-bye to Johnny Walker Lindh
And his family.
Bye Bye.
American Pie.

So maybe
My ideas about this nation
Don't resolve around perfection
But at least I know
Education is more important
Than money.

Land of the Free . . .
If this was utopia
We'd have to see each other naked
Before we got married
But instead, we see each other naked all the time
Because the government has my social security number
And the name of my dog!

And then we make babies,
But don't worry, they won't be left behind
And they grow up saying
God bless America!

But they don't know who Bush is
Because they never learned the Presidents.
And they will ride the ship Amistad
To our dreamland shores
Bearing the same shackles as us.
I'm here to say that
Generation X
Is pissed and we are taking over,
Ripping down the American illusion of perfection

We are the future generation
I have my qualifications
I know it looks like Angel Soft paper,
But don't worry
It's a diploma
Do I look qualified?

You can take our toilet paper,
But you can't take our Revolution.

(Hal Faber) / (jk)