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Was war. Was wird.

Gutmenschen treffen sich überall, in Seattle, wenn die Erde bebt, und auch im Internet. Aber manchmal ruft auch ein Konzern "Love and Peace" aus und die Handys tanzen auf der Straße, befürchtet Hal Faber.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Als in Seattle die Erde bebte, hielt Bill Gates gerade eine Rede. Während das Publikum hastig zu den Ausgängen drängelte, soll Gates nach Augenzeugenberichten ruhig von der Bühne gegangen sein. Besagte Augenzeugen berichten gar, dass er ein wenig nachdenklich gewesen sei. "Wow, das war der größte PowerPoint-Crash, den ich jemals erlebt habe", soll Gates seinen Leuten erzählt haben. Auf diesem wackeligen Planeten waren in der letzten Woche vor allem die Gerichte schwer gefragt, etwa im Fall Microsoft, wo Richter Jackson geschickt in die Rolle eines plappernden Deppen manövriert wurde. Microsoft und natürlich Napster zogen die Aufmerksamkeit so an sich, dass einige kleine, feine Urteile völlig unbeachtet blieben. Fangen wir mit AOL an. Die Firma verlor vor dem Berufungsgericht in Richmond ihren Streit mit AT&T. In ihm ging es um die Frage, ob das gehauchte "You have Mail", in Deutschland als "Sie haben Post" geflüstert, eine exklusiv schützenswerte Phrase ist, die AOL gehört. Nix da, entschied das Gericht, das auch IM als Kürzel für den Instant Messenger nicht für AOL reservierte. Nur bei den "Buddy Lists", den Listen aller momentan surfenden Freunde, ließ das Gericht erkennen, das möglicherweise eine gewisse Erfindungshöhe vorhanden sei. Das Urteil erinnert etwas an unsere Tagesschau, die nach 10-jährigem Rechtsstreit in dieser Woche die Quittung bekam, dass "Tages" in Verbindung mit -report oder -blick keineswegs die Marke verletzt. Selbst ein Tages-WWWW ist erlaubt.

*** "You have Mail" ist ein freundlicher Satz im Vergleich zu "You are a loser". In exakt dieser Schreibweise im Betreff einer Mail erhielten rund 3000 Kunden der Firma Networld Solutions eine Einladung zu einem Seminar. Das musste nach dieser Einladung gestrichen werden, die im Auftrag der Networld Solutions von der International Data Group (IDG) verschickt wurde. IDG steht nun vor einer happigen Schadensersatzklage von Empfängern der Mail wie vom Auftraggeber selbst. Das Gegenteil von "You have Mail" ist vielleicht "You have no Mailer": In einer überraschenden Entscheidung hat Hewlett-Packard bekannt gegeben, dass die Firma das Mailsystem OpenMail bald nicht mehr fortführen wird. OpenMail fiel den hart streichenden Rotstiften des kriselnden Konzerns zum Opfer, weil das Mailsystem "keine Chance auf Profitabilität" besitze. Unter den Fortune 1000, die bei HP immer stolz als Nutzer des Programms aufgeführt wurden, ist der Unmut groß, auch wenn der Support für weitere fünf Jahre garantiert wird. Einige Nutzer wollen HP auffordern, OpenMail in die Open-Source-Entwicklung zu überführen. Das aber wird abgelehnt, weil OpenMail ein unternehmenskritisches Programm ist.

*** Apropos unternehmenskritisch: Love, Peace und IBM sind Dinge, die man eigentlich nicht in einem Gedanken unterbringen kann. Die Werbung macht's aber möglich. Fehlt nur noch, dass die IBM-Truppen auf die Straßen ziehen, um das Pflaster unter dem Strand zu finden und dabei trällern: "Sag mir, wo die IBM-Hosts sind, wo sind sie geblieben." Manch enttäuschter User dürfte dann allerdings fragen, wo denn OS/2 abgeblieben sei. Aber egal: Weit weniger Aufsehen erregte da eine Presse-Mitteilung von Ericsson. Der Handy-Macher, der keiner mehr ist, will die Straßen erobern und seine Techniker als "Streetfighter" ausbilden. Nicht a la mode de Fischer, sondern allein zum Wohle des Internet. Blip nennt sich das Projekt bei Ericsson, ausgeschrieben Bluetooth Infotainment Point. Jede Litfasssäule, jede Anzeigenwand, alles, was auf der Straße irgendwie wirbt, soll in Zukunft blippen. Die kreative Neuschöpfung bezeichnet den Versuch von Werbeflächen, Bluetooth-Geräte in der Umgebung zu erkennen und ihnen Werbung zu übermitteln, etwa Gutscheine für den nächsten Burgerbräter. Wenn die Streetfighter gesiegt haben, werden wir "Dancing in the Street" von den Mamas and Papas auflegen und zucken, zucken, zucken was das Zeug hält, wenn unser "Infotainment-Portal" – the device formerly known as Telefon – uns blippend im Trab hält.

*** "Macht kaputt, was euch kaputt macht", "Euch kaputt, was macht kaputt macht", "Macht macht kaputt euch" usw. usf.: Der Anspruch von Napster, alle Permutationen eines Titels zu benötigen, um ihn aus den Tauschlisten zu entfernen, dürfte noch für manchen Lacher gut sein. Wie komisch, dass Hilary Rosen von der Musikindustrie dagegen kaum Lacher mit der Schlagzeile erntete, dass die Verkaufszahlen der Plattenbranche zurückgehen. Was Rosen eigentlich nicht so gerne in der Öffentlichkeit die Runde machen sah: Diese Aussage gilt nur für Single-CDs, deren Umsatz um 39 Prozent fiel. Bei den übrigen CDs stiegen die Verkäufe. Wenn man nachrechnet, findet man heraus, dass Singles insgesamt ein Prozent des Umsatzes der Plattenbranche ausmachen. Vor weiteren Krokodilstränen wird gewarnt.

*** Bis hierhin gelesen, ohne dass ein Kleidungsstück gefallen ist? Brav. Zur Belohnung gibt es ein hübsches Faktoid über die namenlosen Helden der neuen Ökonomie. Die Karierre-Site Vault befragte 560 Karrieristen, die online einen Job suchen. 14 Prozent der Sucher gaben zu, wichtige Fakten in ihrem Lebenslauf hinzu gedichtet zu haben, 20 Prozent des Rests gestand eine gewisse Beschönigung ein. Mit der Zunahme der Kündigungen bei den Dot.Coms werden diese Raten steigen, warnt Vault in seiner Untersuchung. Mein Tipp: auf die Chinesisch-Kenntnisse achten! Sie werden wichtig. Im Jahre 2007, so verkündet gerade eine Studie von Accenture, wird Chinesisch Englisch als die dominante Sprache des Internet ablösen, ab 2010 werden RFCs nur noch in Chinesisch akzeptiert. Und "You have Mail", das war einmal.

*** Kann natürlich auch sein, dass uns das sanft gehauchte "You have Mail" erhalten bleibt: Als Schreckensruf, bei dem entsetzt zusammenzuckt, wer sich nicht sicher ist, was er da so bekommt. Denn man weiß ja nie, ob nicht selbst ernannte Internet-Säuberer gleich die Zerstörung des Rechners fordern, mit dem die Mail empfangen wurde. Viel besser ergeht es GMX momentan nicht, denn von dem Freemailer hätte eine Internet-Antifa gerne, dass er alle Accounts löscht, mit denen irgendwo Sachen gepostet wurden, die den Antifas unliebsam erscheinen. Ob die guten Leute schon einmal etwas von Rede- und Meinungsfreiheit gehört haben? Aber es ist ein kompliziertes Ding mit diesen Freiheiten – nicht immer sind sie angenehm, und Freiheiten wären es nicht, bestünden sie nur bei schönem Wetter und liebsamen Ansichten. Nicht nur die Linke bekommt Probleme, wenn sie meint, unliebsame Gedanken, so schwachsinnig sie auch immer sein mögen, verbieten zu können – denn aus den Köpfen sind sie nicht, und irgendwann brechen sie sich doch Bahn, dann meist mit Gewalt. Ans Herz gelegt sei der voluntaristischen Internet-Putzgruppe ein bisschen Lektüre: "Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden", wie eine einst berühmte, heute leider nur noch wenigen bekannte Frau bemerkte. Und noch früher erklärte ein zu seiner Zeit recht anerkannter Herr: "Ihre Meinung ist mir zwar widerlich, aber ich werde mich dafür totschlagen lassen, dass sie sie sagen dürfen." Noch nicht ganz so lange her ist der Historikerstreit, den ein gewisser Ernst Nolte vom Zaune brach. Und der wurde glücklicherweise nicht etwa unter den Tisch gekehrt, sondern ausgefochten – und Nolte verlor. Zu abstrus erschienen selbst ihm wohlmeinenden Menschen seine Thesen, die Nazis hätten nur präventiv reagiert, frei nach dem Motto, gegen die Bedrohung durch die asiatischen Horden bringen wir mal schnell ein paar Millionen Juden um. Angesichts aktueller Auswüchse des Kampfs gegen Rechts überrascht es jedoch nicht, wenn unbedarfte Zeitgenossen die Linken und die Rechtsradikalen in einen Topf werfen: Es wundert manches Mal schon, wie sich manch angeblich Linke in Dumpfbackigkeit und Zensurwut ihren ärgsten Gegnern annähern.

Was wird.

Hal wird auf alle Fälle intelligenter. Jedenfalls der Hal, der in Israel gerade das Sprechen lernt. Er soll sich so überzeugend ausdrücken wie ein 15 Monate altes Kind und liegt damit beispielsweise weit vor meiner Überzeugungskraft. Stutzig macht allein die Tatsache, dass die Ankündigung der Existenz dieses Hal etwas älter ist. Sie stammt vom VTV-Forum "Künstliche Intelligenz" auf der CeBIT des Jahres 1987. Das macht 14 Jahre Arbeit für ein 15 Monate altes Kind. Aber nach Moore beschleunigt sich ja noch der dümmste Rechner unaufhaltsam.

Ja, die CeBIT: Manch entsetzter Leser wird es schon bemerkt haben, sie naht und mit ihr die tollen Tage des Jahres. Vorher verschnaufen kann man am Besten bei Vorträgen über die "multimodale, anthropomorphe Interaktion" zwischen Mensch & Computer, die vom 5. bis 8. März in Bad Honnef geübt wird. Veranstalter ist das Embassi-Projekt, ein wirklich selbsterklärendes Kürzel für "Elektronische Multimediale Bedien- und Service-Assistenz". Gedacht ist an Geräte, die sich überzeugend ausdrücken und zuhören wie ein 15 Monate altes Kind. Wenn man also dem Videorecorder ein "Mach Video!" zurufen kann, dem Fernseher ein "Mach Web!" und dem "You have Mail" säuselnden Kühlschrank ein "Gib Bier!", dann schlägt die große Stunde der Embassadores. Wie erklären sie es so schön: "Alltagstechnik, vom Fernsehgerät bis zur Raumbeleuchtung, wird von jedem Ort innerhalb und außerhalb des Haushaltes intuitiv zu bedienen sein und die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten des Nutzers einbeziehen". Ein jeder nach seinen Bedürfnissen, ein jeder nach seinen Fähigkeiten, wer hat das bloß in seiner Powerpoint-Präsentation gehabt?

Was es nun aber mit Fähigkeiten und Bedürfnissen in der Juristenwelt auf sich hat, darüber gibt möglicherweise ein allseits berühmter Anwalt demnächst seine Ansichten online ab. Er schlug ihn den frommen Heisemenschen selbst vor, wie ich aus den gern zitierten, gewöhnlich gut unterrichten Kreisen erfahren durfte. Nun hat er ihn, den sehnlichst erwünschten Chat auf heise online, in dem er seine virtuose Kunst des Cut&Paste live zeigen kann: Am Freitag der kommenden Woche wird Rechtsanwalt Günter Freiherr von Gravenreuth Rede und Anwort stehen. In anderen Bezirken des großen Weiten Webs kündigte von Gravenreuth diesen Chat bereits in seiner unnachahmlichen Art unter Titeln wie "Der Meister" an. Das gibt zu denken – auch wenn er sich in der Mitteilung gleich von sich selbst distanziert. Der Meister jedenfalls spricht, zu allen Themen, ob Prima-Bella.de oder Msg=251. Hoffen wir, dass sich auch die psychologisch schwer besetzten Hassobjekte der "Netzindianer" und "Gutmenschen" einfinden, denen Rechtsanwalt von Gravenreuth Paroli bieten möchte. (Hal Faber) / (jk)