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Was war. Was wird.

Es ist der Geist geistloser Zustände: Einfach nur die Winterdepression oder ein Striptease im Internet, oder eher die Revolte als Napster und ein zerlegtes iBook? Hal Faber versucht eine Antwort.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es gibt nichts im Leben, das so depressiv machen kann wie das Schreiben einer Online-Kolumne. Niemandem ist es recht zu machen. Die einen lieben die Bobos, die anderen hassen sie. Die Dritten finden den Begriff vergurkt und schlagen statt dessen Yetties vor. Yetties kommt von "Young Entrepreneurial Tech-based" und bezeichnet die Internet-Gründergeneration, die eine Kampagne gegen das abwertende Bobotum gestartet hat. "Zwischen 20 und 35 – ultraflexibel und erfolgreich – erfinden und nutzen sie die neuen Technologien. Das Business ist hart, die Anforderungen sind gewaltig, doch Arbeit macht Spaß; auch 60 Stunden in der Woche", heißt es bei den Yetties. Sie gehören zu denen, um die das Internethaus Cinetic mit dem Slogan "lebenvorderafterworkparty.de" wirbt. Ja, gibt es das, ein Leben vor der Party? So etwas macht mich depressiv, so depressiv, wie sonst nur Web-Server sein können, wenn man sich Muße nimmt und ihnen zuhört. "Es ist nicht schön, wenn ein Web-Server weint."

*** Es gibt nichts im Leben, das depressiver machen kann als das Lesen einer Online-Kolumne, die sich mit Online-Kolumnen befasst, wenn man Online-Kolumnen schreibt. Da lobt die einflussreiche Online Journalism Review die kanadischen Naked News als vorbildliches Nachrichtenformat, vor allem darum, weil die Auslandsberichterstattung das sonst übliche Maß übersteigt. Das kommt daher, dass die Moderatorinnen zu den Auslandsnachrichten strippen, um die Leute bei der Stange (ähem) zu halten. "Wir bringen dem nordamerikanischen Kontinent ein Stück europäischer Sensibilität", heißt es bei den Verkünderinnen der nackten Tatsachen. Ist das deprimierend.

*** Es gibt nur einen Ausweg, in aller gebotenen europäischen Sensibilität, dieses WWWW unverzagt den Heise-Lesern nahe zu bringen: Der Text-basierte Striptease muss her. Mit ihm stellt sich ein dicker Mittvierziger der jungen weiblichen Konkurrenz. Wie schreibt doch die Review so feinsinnig: "In einer Welt voller nackter Tatsachen werden die Frauen regieren." Mann, ist das deprimierend.

*** PULLOVER AUS. "Es kommt der Tag, da muss die Säge sägen", hieß es dereinst in einem gemütlichen deutschen Heimatfilm. Eine Wahrheit, die auch in Japan gilt. Dort wartete Hirsohi Itami in aller Ruhe eine der üblichen belanglosen Reden von Steve Jobs ab, ehe er die Kettensäge startete und vor aller Augen ein iBook zerlegte. Ob Steve Jobs dies deprimierte? Vielleicht kam die große Depression erst mit einem Farbenstreit der Analysten, die uns die Welt erklären. Blue Dalmatien, Gloomy sunday.

*** HEMD AUS. Zur Kettensäge greifen wollten diese Woche die Kollegen aus der Open Source, die sich voll an ihrer OpenCola verschluckten, als sie die Worte des Microsoftlers Jim Allchin lasen, der erst Open Source, dann "genauer" die GNU General Public License als Weltübel definierte. Dabei ist die Sache einfach: Microsoft will mit Windows XP zum ersten regierungsamtlichen Softwaresystem aufsteigen und verlässt den Kurs, sich um Regierungen und ihre Antitrust-Anstrengungen einen Deut zu scheren. Die Beschreibung des "Secure Audio Path" ist ein Friedensangebot an Regierungen wie an befreundete Industrien. Wer so etwas plant, braucht einen Büttel wie Open Source, obwohl die Gefahr viel eher in Peer-to-Peer-Systemen liegt. Die Prügelfunktion kennt nicht nur Microsoft, auch Network Associates beherrscht den Trick. Dort hat der mitsamt Programm gekaufte PGP-Erfinder Philip Zimmermann das Haus verlassen und bekommt dafür Vorwürfe zu hören: "Von Anfang an kümmerte sich Phil mehr um die Benutzer der freien Version statt um die wirklich wichtigen zahlenden Kunden, die PGP und seine Weiterentwicklung überhaupt möglich machen," ist vom Marketing-Vizechef Jeff Jones zu hören, der die "wirtschaftliche Verantwortungslosigkeit" erst jetzt erkennt.

*** HOSE RUNTER. Nach einem seltsam unbeachteten Bericht der Washington Post wird hinter dem Versagen der jeweils 500.000 Dollar teuren Superbomben im Irak ein Softwarefehler vermutet. Alle 25 Superbomben vom Typ AGM-154A schlugen 15 bis 250 Meter links vom Ziel ein, nur die ungleich billigeren halbautomatischen krachten überwiegend in die richtigen Punkte. "War die Aktion perfekt? Nein. Hat sich jedes Waffensystem perfekt bewährt? Nein, aber das tun sie niemals", antwortete Presseadmiral Craig Quigley auf Fragen nach dem Programmier-Problem.

*** SOCKEN AUS. Russlands Präsident Putin war einigermaßen von den Socken, als er erfuhr, dass Amerikas Präsident Bush ihm den Spitznamen "Straußenbein" verpasst hat. Doch was ist schon Straußenbein gegen Namen wie Ampino, Timpano, Teluna, Kolambo und Somesay? Solche Namen stellte die Berlincubate im Netz zur superdemokratischen Wahl des Firmennamens eines neuen Startups. Somesay gewann die Wahl, obwohl niemand der Wähler einen blassen Schimmer davon hatte, was die neue Firma eigentlich macht. So sind Wahlen.

*** STÜTZSTRÜMPFE AUS. In Berlin betonte Edwin Black, Autor eines umstrittenen Buches über die Machenschaften von IBM zur Zeit der Dritten Reiches, keinem Interesse als dem der Auklärung gefolgt zu sein. "Ich hatte von den Klagen auf Wiedergutmachungszahlungen überhaupt keine Ahnung." Ein Forscher, der mit einer Truppe von Helfern so sehr mit der Entschlüsselung der Archive beschäftigt ist, dass er nicht mitbekommt, was die Tagespolitik über sein Forschungsinteresse verhandelt, ist schwer vorstellbar. "Wir haben niemals aufgeben, so sehr sich Big Blue drehte, log und stotterte. Wir werden niemals aufgeben, egal, was IBM tun wird", erklärte Edwin Black einmal. Nur war das anders gemeint, denn er fuhr fort: "Wir können uns gratulieren. Es wart ihr alle, die mit uns durch die Wüste des inkompetenten Marketings wanderten, die falschen Prophezeihungen und vollkommener Ignoranz am Wegesrand auswichen. Es ist wahr, ihr habt verloren. Aber ihr werdet den ultimativen Sieg feiern. Eines Tages wird die Welt genauso funktionieren, wie ihr es immer wolltet. Darum wird euer Betriebssystem OS/2 Warp niemals vergessen werden. Und ihr werdet stehen als Pioniere hoch auf dem Berg und auf die endlosen Kolonnen derer schauen, die euren Weg einschlagen. Und ihr werdet wissen, dass ihr den Weg geebnet habt. Und wenn euch eines Tages jemand fragt, warum ihr gegen den Sturm angetreten seid, so werdet ihr antworten: Weil es richtig war, zu diesem Zeitpunkt, zu dieser Zeit." Mit diesen nüchternen Worten verbschiedeten sich Edwin Black und seine Zeitschrift OS/2 Professional im Februar 1996.

*** WEG MIT DEM T-SHIRT! Von der Zeitschrift Market befragt, "ob das Internet nicht einfach nur eine Verbesserung der Produktivkräfte ist, schneller, besser, umfassender", antwortete die Künstlerin Nina Hagen in dieser Woche schlicht: "weiß Nini nicht." Gebeten, das Internet und seinen Einfluss auf die Demokratie zu beschreiben, lesen wir von "Ich Glotz TV": "Das Internet ist eine bessere Faxmaschine – nix weiter". OM Gottes Willes soll ihr neuer Film heißen, der zeigt, wie sich mit dem richtigen Glauben Scheisse zu Gold verwandelt.

*** UNTERHOSE MARSCH. In den USA wurde Robert Hanssen erwischt. Zwar angezogen, doch enttarnt als Russenspion. Seitdem ranken sich um seine Computer-Fähigkeiten immer wildere Gerüchte. Er soll ein fantastischer Programmierer in der ach so schwierigen Sprache C gewesen sein, ein Freak, der es schaffte, die Spuren 40 und 41 auf 5,25-Zoll-Floppies zu beschrieben – und ein Surfer, der regelmäßig Kriminalberichte im Web nach seinem Namen durchsuchte und über einen Palm-PDA mit den Russen verbunden war. Noch ist nicht klar, wie groß der Schaden ist, den der Über-Geek Hansen verursacht hat. Daher bringe ich, nackte Tatsachen regen auf wie ab, einen Auszug aus einem Stasi-Bericht über eine Diebold-Konferenz im Jahre 1967, wo der gute Spion aus der DDR etliche Probleme hatte: "Ein Sherman leitete die Sitzung über die Geheimhaltungsmöglichkeit bei der Datenfernübertragung ein. Er betonte, dass seiner Einschätzung nach keine Sicherheit außer einer Verschlüsselung über stoch 8er-Zahlen erreicht werden könne. Xyz revidierte seine Auffassung, dass ein Krämbler genügen würde und gab dann zu, dass man auch in den USA zu der Auffassung gelangt sei, dass mit endlichem Aufwand keine befriedigende Sicherheit erreicht werden kann. Der Rest der Konferenz verlief in englischer Sprache. Es ist zu wünschen, dass in Zukunft von unserer Seite Genossen teilnehmen, die diese Sprache beherrschen."

*** AB INS BETT. cjskäe cjsdkao rjklöv klö – "Der beste Beweis dafür, dass es im Weltraum intelligentes Leben gibt, ist, dass noch keiner von denen mit uns Kontakt aufgenommen hat", sprach Calvin zu Hobbes. Es ist alles so deprimierend...

Was wird.

Aber halt, war da nicht noch was? Vor das Bett haben die Götter der EDV die Woche der Prozesse gesetzt – kein Mensch kann mehr ruhig schlafen, stehen doch die wichtigsten Firmen der Branche vor dem Kadi. Am Montag muss sich Microsoft gegen den Vorwurf der übelsten Praktiken erwehren, und am Freitag droht dann dem Rebellen des freien Internet der Garaus. Rebellen haben es nur leider heutzutage so an sich, dass sie vor allem auf Geld aus sind – eine Frankfurter Putzgruppe dagegen lebte wenigstens nur ihre Macho-Allüren aus, und ein gewisser Che Guevara meinte es in Bolivien noch richtig ernst. Die Rebellen von gestern sind Außenminister, diejenigen von heute Bobos im Business-Dress der Internet-Ökonomie. Aber auch das Volk, das es vormals zu befreien galt, hält nicht mehr viel von Revolution: Solange es Britney Spears umsonst bekommt, ist es glücklich. Das Opium des Volkes ist nicht mehr die Religion, sondern Napster – oder höchstens noch ein Religionskrieg: "Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes." So lässt sich pfleglich streiten, ob Windows oder Linux allein selig machend sei – das Gemüt einer herzlosen Welt zeigt sich allein daran, dass manche diesen Streit wichtiger nehmen als eben diese Welt. Oder offenbart sich einfach nur der Geist geistloser Zustände? Aber nun haben wir ja George W. Bush: Er wird seine Leute schon anweisen, im Microsoft-Prozess die richtige Predigt von der Kanzel zu halten. Ist das nun das Ende oder der Anfang der Depression? (Hal Faber) / (jk)