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Was war. Was wird.

Ein berühmter Deutscher beklagte einst den Mangel an individuellen Eigenschaften so manches erbärmlichen Tropfes. Eine prophetische Klage, Bundespräsidenten, EDV-Firmen ebenso wie Wissenschaftler betreffend, befürchtet Hal Faber.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Alles neu macht der Mai,
wir bekommen Köhler,
Amerika C2.

Nein, es geht nicht. In meinen Schaltkreisen und Hartware-Abstraktions-Schichten sind keine brauchbaren poetologischen Algorithmen eingebaut. Aus mir wird niemals ein Heise-Poet, doch von denen später mehr. Eher schreibe ich als echter Informations-Junkie ein WWWW komplett in Powerpoint, weil das die Forschung knallhart analysiert hat und als technologisches Kokain brandmarkt. Powerpoint macht nicht nur blöd, sondern süchtig wie Haschplätzchen, deswegen sind viele Präsentationen auch so zugedröhnt. Wieder was gelernt, doch muss man das so unschnittig formulieren: "Nicht Powerpoint mit seiner geringen Auflösung und den Bullet-Point-Vorlagen verstümmelt womöglich den Text der Rede, ebenso kann die Versprachlichung eine ganzheitlichere Einsicht in Informationszusammenhänge verstellen -- Zusammenhänge, die besser visuell dargestellt werden sollten, mit malerischer, photographischer oder filmischer Grammatik." Hier muss ich mit einem Deprimier-Bullet unterbrechen: Malen kann ich nicht, beim Fotografieren habe ich niemals das Lomographie-Dudeln verlassen und Filmen, das überlasse ich lieber den freien Leuten von Channel 7.

*** Fangen wir noch einmal an, mit Text. Den hat der neu gewählte Präsident der Deutschen kurz vor dem Towel Day gesprochen und zwar nicht als britisches Understatement, sondern als amerikanischen Gruß: "Gott schütze unser Land." Es ist das "God bless America", aus dem im Gedicht in der vergangenen Woche das "god less America" wurde. Blicken wir also nach Amerika, dem Land der freien Rede und der besten Powerpoint-Präsentationen. Das stolze Land, das in dieser Woche C2 von der Coca-Cola Company bekommen hat, serviert mit "You Can't Always Get What You Want" von den Stones. Was immer noch eine schönere Werbung ist als das miese South African Owned bei den Bieren und die nicht abreißende Folge neuer Folter-Fotos der amerikanischen Besatzer. Bundes-Banker Köhler bewundert das Land, das präzise kalkulieren kann, wieviel der Irak-Krieg jeden Amerikaner kostet, das spaßigerweise auch berechnet, ob sich die Todesstrafe für Hacker nicht lohnen könnte. Die eigentlich fällige Gegenrechnung über die Produktion unsicherer Software wird noch vermisst.

*** Man könnte solch eine Rechnung vielleicht einmal bei Microsoft anmahnen. Das ist die Firma, bei der jeder Dollar acht weitere Scheinchen in der Branche bewegt. Erstaunlich, dass bei solchen Betrachtungen das vorgeblich älteste Gewerbe zum Vergleich herangezogen wird. Vielleicht ist dies der Jahreszeit geschuldet, wenn Pinguin-Freunde wie Apple-Fans ihre Maß-Stäbe aus der Erfahrung mit der Prostitution anlegen. Vielleicht ist es auch nur Ausdruck der Tatsache, dass die Welt immer nuttiger wird und neue Abhängigkeiten alte Süchte nach den Powerpoints ablösen. Begrüßen wir darum die Ankunft der Naked News auf den Mobilgeräten, wo sie vielleicht helfen, über den Zustand der Welt aufzuklären. Glaubt man der angezogenen Nachrichten-Figurine Ananova, so tut Aufklärung Not, wenn der Verstand stark ist, das Fleisch aber desorientiert. Keusch wie ein Pinguin, so könnte die Devise lauten, wenn ich nun doch zur den Dichtern komme, die die Muse, jawohl, die Muse geküsst hat. Von ihnen ist Shakespeare bekanntlich der Größte oder, seufz, hat er doch nur den Größten gehabt?

*** Kein anderer als Shakespeare war es, der an dieser Stelle mit seinen Königsdramen die verschiedenen Schachzüge kommentierte, mit denen die Neue Santa Cruz Operation das amerikanische Rechtssystem auf die Probe stellt. Nun schweigt der Barde, aber seine Nachfolger im Geiste beglücken uns mit schönen Gesängen. Gedichte zur Theorie des Schwarzen Loches und zur Heisenbergschen Unschärferelation, all dies nur wegen einiger vermeintlich geklauter Codezeilen, das ist fast mehr als die von Linus so gescholtene Smoke Crack Organization produziert. Erst recht, wenn man die unermüdlichen Anstregungen von Groklaw, Grokdoc und Grokline berücksichtigt.

*** Mit der de Toqueville Institution ist seit kurzer Zeit ein weiterer Proponent aufgetreten, der sich historisch mit dem Codeklau befasst. Seit letzter Woche ist "Samiszdat" überfällig, ein Buch, das haarklein davon berichtet, wie Auftrags-Geschichte made in the USA gemacht wird. Doch wo bleibt das versprochene Buch? Zwischen 92 und 96 Seiten hat eine PDF-Datei, die die Institution verschickt, während das Buch weder bei Amazon noch sonstwo zu haben ist. Für 27,99 Dollar kann man das Werk von Kenneth Brown bei einem Versender ordern, der es leicht abschätzig als "technical paper" verkauft und doch nur das ziemlich unfertige PDF als Ausdruck verschickt, der von einem 9-Nadel-Drucker stammen könnte. Aber bitte, halten wir fest: Klauen tun immer nur die anderen. Und geistiges Eigentum ist flüchtig.

*** Flüchtig aber sind glücklicherweise die Werke, die unter den Auspizien der Rechteverwalter fürs geistige Eigentum veröffentlicht werden, nur in mancher Hinsicht -- im digitalen Zeitalter ist vielen verborgenen Perlen ein plötzlicher neuer Glanz beschert. Und während alle Welt ein großes Ballyhoo um das -- hochverdiente -- Label Blue Note macht, geht heimlich, still und leise die Musik der leider nur in bestimmten Kreisen ebenso berühmten Leo Records online -- das Label veröffentlicht seinen Katalog bei EMusic. Man mag mir die mittlerweile mehrmalige Erwähnung dieses Dienstes verzeihen -- im Unterschied zu überteuerten und mit DRM versauten Online-Musikshops, mit denen die EDV-Branche im Bund mit den Majors die Leute über den Tisch zieht und bei denen man jenseits des Mainstreams kaum fündig wird, freut es mich hier, die Werke etwa von Anthony Braxton, Cecil Taylor, Sun Ra oder Evan Parker als unbeschränkte MP3s und zu annehmbaren Kosten wieder erleben zu dürfen und nebenbei auch einmal in HipHop-, World- und anderen Welten stöbern zu können. Gibt es etwa wirklich die Möglichkeit für ein faires Angebot, bei dem der Respekt vor den Künstlern und das Bedürfnis ihrer gerechten Entlohnung nicht mit rigidem Rechteregime bestraft wird? Die Frage steht im Raum.

*** Geistiges Eigentum ist übrigens eine Größe, zu der es Geist braucht. Mit seiner Aktion, auf eBay einen Aufsatz zum Mitschreiben anzubieten, hat William Tozier mit der Erdös-Zahl 4 für einen Aufschrei der Empörung im Feuilleton gesorgt. Es darf nicht sein, was sehr wohl sein kann, wenn sich einer nichts aus einer "heiligen Konvention" der Mathematik macht. Heilig und Mathematik, da hätte selbst Erdös seinen Koffer getreten. Schwer erschüttert bleibt der Wissenschaftsbetrieb zurück, der die Schnapsidee der Erdös-Zahl viel zu Ernst nimmt. Wie sagte schon Feynman? "Schnauze halten und rechnen!" Ach, er sagte es nicht? Stehen wir nicht alle auf den Schultern von Zwergen? Das lassen wir so stehen am 40. Todestag des großen Physikers Leo Szilard, der mithalf, das Bit auf der Erde heimisch zu machen. Und, was die Erdös-Aktion anbelangt, so gibt es längst eine eigene Ökonomie, die einfach nur Bits verscheuert.

*** Die Versteigerungsaktion von Tozier wäre sicher nach dem Geschmack unser heutigen Geburtstagskindes gewesen. Michail Bakunin, der als erster Hegel ins Russische übertrug und sicher zu aktuellen Ereignissen seine bissigen Kommentare gerne abgegeben hätte -- ein Anarchist, der die vermeintlichen Erzfeinde Russen und Polen zum gemeinsamen Sturz des Zarenregimes aufruft, ließe sich weder von ein Land liebenden und Gott herbeiwünschenden deutschen Bundespräsidenten noch von amerikanischen Präsidenten ins Bockshorn jagen, die folternde US-Soldaten in Abu Ghraib mit den GIs des D-Day vor 60 Jahren in einen Topf werfen. Präsidenten übrigens, die in ihrer momentanen Inkarnation den US-Libertären, die in Deutschland leider allzu oft mit den Anarchisten in einen Topf geworfen werden, weit näher stehen als Bakunin je vermutet hätte. Die absoluten, freien Gesetze des Marktes werden es schon richten: Eine Horrorvorstellung für jemanden, der zwar die Vernichtung alles Bestehenden für notwendig hielt, aber nur als Voraussetzung für die Selbstverwaltung der Menschen in einer föderativen Gesellschaft. In Erinnerung an den großen Anarchisten, aber auch angesichts dieses unseres Köhlerlandes und der Gefahr, mit Kerrybush oder Bushkerry noch lange leben zu müssen, fällt mir ausgerechnet wieder einmal einer der deutschesten aller deutschen Philosophen ein. Mit Schopenhauer hatte Bakunin als bekennender Hegelianer zwar so gar nichts am Hut, er hätte ihm aber in diesem Fall wohl nur zu gerne zugestimmt: "Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verräth in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz seyn könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen theilt. Jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz seyn könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu seyn." Wem solcherart Gedanken nun endgültig zu kompliziert werden, darf es auch mal mit neuer deutscher Pop-Lyrik versuchen: "Und du gehst Rüssel an Schwanz hinterher; Trampelpfade, Hintermann, was brauchst du mehr."

*** Mangel an individuellen Eigenschaften? Erbärmlicher Tropf? War da nicht was? Nein, nicht Erich Honecker ist gemeint, dessen Todestag sich gestern zum zehnten Mal jährte, auch nicht Anke Engelke und ihre verzweifelten Late-Night-Versuche -- darüber bereiten wir an dieser Stelle vorerst den gnädigen Mantel des Schweigens. Denn es geht noch schlimmer als selbst eine noch schlechtere Standup-Comediante sich zu träumen wagte: Mit Hängen und noch mehr Würgen rafft sich Deutschland zu einem Zuwanderungsgesetz auf, nachdem die Zuwanderung zur Chefsache erklärt wurde. Untermalt von drastischen Warnungen vor der kommenden Katastrophe und der nicht richtig funktionierenden Abwanderung des Herrn Kaplan wäre einmal die Frage zu stellen, welches Ausländerbild in den Behörden gepflegt wird. Ein Jahr war ein Gutachten der Datenschützer unter Verschluss, das vor dem ungezügelten Einsatz der Biometrie in "Ausländerausweisen" warnt. Insofern ist die SPD wieder einmal spät dran. Und die CDU hat mit ihren weichgespülten Konservativismus für manchen etwas eifernden politischen Kommentator zu sehr die Angst vor den 68ern kultiviert -- die wiederum ihre Angst vor den bösen Islamisten so weit treiben, dass sie jeden ehemals gehegten Freiheitsgedanken gepflegt ad acta legen und die Axt an die Wurzeln des Rechtsstaats legen. Vielleicht hätte die CDU doch ihren Martin Hohmann reaktivieren sollen -- in diesem Land, dessen Einwohner den Juden Auschwitz nicht verzeihen können, hätte man sich von SPD bis CSU möglicherweise doch noch auf den Tätervolk-Besinger als Repräsentanten eines Staates einigen können, der möglichst schnell in die vorderste Front der Terrorbekämpfer aufsteigen will -- Rechtsstaat hin, Menschenrechte her. Ja, wird mancher sich sarkastisch fragen, warum nicht wieder tätowiert werden darf im Lager Deutschland, unter Gottes Schutz. Ein Vorschlag von ausgleichender Gerechtigkeit: Nach den Vorstellungen des Forschungsministeriums und der deutschen Bekleidungsindustrie soll jedermann seine persönliche Figurine, seinen digitalen Zwilling im Internet bekommen. Ergänzt um die biometrischen Merkmale bekommen wir den perfekten Körper, den sich Behörden und Bekleider teilen. Bleibt die Frage an die Datenschützer, wem die Daten aus den Body-Scannern gehören.

Was wird.

Wenn die USA ihren Memorial Day begehen, will Sun Microsystems mit dem größten Produktlaunch aller Zeiten beginnen. Was sich hinter dem Event voller Network Computing und RFID-Chips verbirgt, weiß niemand so genau. Mit der neuesten Kampagne gegen Red Hat und das schlimme, proprietäre Red-Hat-System würde der Firma eine Auffrischung ihrer Gedanken und Produkte zu Gute kommen. Schließlich will Scott McNealy in der Wall of Fame nicht mit seinen Witzchen aufgenommen werden.

Trotz allem aber: Allen Lesern noch ein schönes, sonniges und vor allem gesundes Pfingsten. Die Zeit der Flash-Vergiftungen ist vorüber, die der Pilz-Vergiftungen hat noch nicht begonnen ... (Hal Faber) / (jk)